Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Kein Geld für Helden
Handelsverband lehnt höheres Kurzarbeitergeld für Verkäufer ab – und wird noch drastischer
BERLIN - „Einfach danke“steht in bunten Buchstaben auf dem weißen Laken, das neben dem Tor zum Parkplatz des Baumarktes hängt. Kunden bekunden so dem Verkaufspersonal Anerkennung für die Arbeit in Krisenzeiten. Immer häufiger sieht man an den Eingängen zu Apotheken, Supermärkten oder Bäckereien solche Botschaften auf selbstgebastelten Schildern und Transparenten. In diesen Geschäften sind Verkäuferinnen und Verkäufer derzeit besonders im Stress und wegen des Coronavirus großen Gefahren für ihre Gesundheit ausgesetzt. Oftmals werden sie daher in dieser Krise als „Helden des Alltags“gefeiert. Wie das Personal in Kliniken und Pflegeheimen.
Es hat sich inzwischen auch herumgesprochen, dass Kassiererinnen an der Supermarktkasse wahrlich keine üppigen Gehälter beziehen. Das durchschnittliche BruttoMonatseinkommen für Verkäufer und Verkäuferinnen im Einzelhandel liegt laut Lohnspiegel der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung bei gerade einmal 1890 Euro. In der letzten Gehaltsgruppe kann es auf 2579 Euro steigen.
Vor diesem Hintergrund haben einige wenige Supermarktketten angekündigt, Beschäftigten wegen der aktuellen Belastungen einen Bonus zu zahlen. Einmalig 400 oder 500 Euro sind im Gespräch. Also deutlich weniger als Bundesfinanzminister Olaf Scholz bereit ist, steuerfrei zu stellen. Der Vizekanzler hält 1500 Euro als Anerkennungsprämie der Gesellschaft für angemessen. Bis zu dieser Grenze bleiben Sonderzahlungen wegen der Corona-Krise steuerfrei.
Der Arbeitgeberverband des Einzelhandels schlägt dagegen ganz andere Töne an und bringt damit die Gewerkschaft Verdi auf die Palme. „Unverantwortlich“sei der Kurs vom Handelsverband Deutschland (HDE), erklärt Verdi-Vorstand Stefanie Nutzenberger. Der Handelsverband lehnt nämlich nicht nur die Forderung der Gewerkschaft ab, per Tarifvertrag für ein höheres Kurzarbeitergeld
zu sorgen, sondern hat auch eine Verschiebung der ausgehandelten Lohnerhöhung ins Gespräch gebracht.
2019 hatten Verdi und HDE einen Tarifvertrag vereinbart, der die Gehälter im Handel mit seinen bundesweit rund drei Millionen Beschäftigten zum 1. Juli letzten Jahres um drei Prozent erhöhte und als zweite Stufe eine Steigerung um weitere 1,8 Prozent jetzt im Frühjahr 2020 vorsieht. Sollen darauf jetzt ausgerechnet die neuen Helden des Alltags verzichten? Kategorisch stellt Verdi fest: „Eine Absenkung der Gehälter im Einzelhandel kommt nicht in Frage.“
Nach ersten negativen Berichten bemüht sich HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan
Gent nun um Schadensbegrenzung. Die vorgeschlagene Verschiebung der vereinbarten Lohnerhöhung solle nur für „Handelsunternehmen in
Not“gelten. Aber wo fängt die Not an? Es solle „eine unkomplizierte und auch schnelle Möglichkeit für tarifgebundene Unternehmen mit akuten Liquiditätsproblemen“sein, sagt Gent: „Es geht hier lediglich um eine Notoperation, um bedrohte Unternehmen zu retten.“Firmen, die nicht in finanziellen Schwierigkeiten seien, müssten die anstehende Tariferhöhung „selbstverständlich an ihre Mitarbeiter bezahlen.“
Eine so klare Differenzierung fehlte in der ersten Erklärung zu einem „Nothilfe-Tarifvertrag“. Den fordert
Stefan Gent, HDE-Hauptgeschäftsführer
der HDE mit Blick auf die vielen geschlossenen Geschäfte in den Innenstädten. Die „Helden des Alltags“in den Supermärkten waren dabei aus dem Blick geraten. Für Verdi kommt „ein Tarifvertrag zur Senkung vereinbarter Standards nicht in Frage“. Der Arbeitgeberverband blende aus, dass Bundes- und Landesregierungen den Unternehmen mit Milliarden Euros unter die Arme griffen, sagte ein Sprecher dieser Zeitung. Firmen, die dennoch in Notlagen kämen, könne man unter Umständen mit einem betrieblichen Sanierungsvertrag helfen, nicht aber mit Gehaltskürzungen für eine ganze Branche.
„Es geht hier nur um eine Notoperation, um bedrohte Unternehmen zu retten.“