Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wenn das virtuelle Klassenzim­mer zur Normalität wird

Neue Strukturen und viel Schreibarb­eit gestalten den Corona-Alltag für Lehrer und Schüler

- Von Anne Laaß

STETTEN AM KALTEN MARKT/ MESSKIRCH/PFULLENDOR­F - Der Weg ins virtuelle Klassenzim­mer ist für die Lehrer des Schulzentr­ums Stetten am kalten Markt zum Alltag geworden. Bereits am 4. März stellte die Schule eine Task-Force zusammen, die zwei Notfallplä­ne erarbeitet­e, einer von ihnen wird nun umgesetzt. Es wirkt normal, wenn Maria Montalbano ihren Englischun­terricht auf einer Videoplatt­form abhält. Gemeinsam erarbeiten die Zehntkläss­ler einen kurzen Bericht. Die Schüler selbst sehen in der Konferenz den Vorteil, dass klar kommunizie­rt wird und so weniger Missverstä­ndnisse bei den Aufgaben entstehen. Der Nachteil ist, dass sich nicht alle daran beteiligen. Es ist keine Pflicht, anwesend zu sein.

Für die Lehrer ist der Videochat dennoch mit das beste Mittel, erklären Montalbano und ihre Kollegin Annemarie Ziegler. Am besten sei zurzeit eine Mischung aus schriftlic­hen Aufträgen und Meetings, fügt Ziegler an. Diese Meetings bieten nämlich einen strukturie­rten Ablauf für alle Beteiligte­n. So sehe der Moderator in kleinen Kästchen die Teilnehmer und könne so anhand von Mimik und Gestik einschätze­n, wer noch an der Aufgabe arbeitet, wer es verstanden hat oder wo vielleicht noch eine Frage ist. Dafür muss auch die Technik mitspielen. Beim Wiederholu­ngskurs von Marijke Hörger waren die verschiede­nen Zeitformen dran. Für die künftigen Englischpr­üflinge keine leichte Aufgabe, wenn die Verbindung abbricht. Doch die Schüler trotzen den technische­n Aussetzern und sind teils motiviert und teils schon mit den Gedanken in den Ferien. Doch bevor es soweit ist, animiert sie ihre Klassenleh­rerin und bietet auch ein zusätzlich­es Meeting für die an, die Lust haben. Die Ferien sollten die Prüflinge nutzen, um am Ball zu bleiben. Neben den Erklärunge­n der unterschie­dlichen Zeitformen und Tipps, wie diese zu erkennen sind, ist auch Zeit für Gespräche. Dafür ist Schule da, zum Austausch und um Freunde zu treffen, wenn auch momentan nur virtuell.

„Ich würde allerdings lieber im Klassenzim­mer stehen", sagt Montalbano. Damit ist sie nicht allein. Jenny Schmid, Leiterin der Pfullendor­fer Grundschul­e Am Härle, bestätigt das. „Es geht jeder Lehrkraft so“, aber zurzeit bliebe ihnen nichts anderes übrig, als den Unterricht digital zu gestalten. Der Kontakt wird vor allem per E-Mail gehalten. Die Eltern wurden über die Schulschli­eßung informiert und die noch fehlenden

Kontaktdat­en eingeholt. „Die Kinder haben dann Aufgabgenp­akete erhalten“, berichtet Schmid. Aus den Rückmeldun­gen entnehme sie, dass es eine gute Alternativ­e sei. Zudem stünden die Lehrer per E-Mail und Telefon bereit, um Fragen zu klären. Allerdings sei es schwierig, den Lernstand der Schüler zu greifen. Es gebe zwar Telefonate, wo bei den Eltern nachgefrag­t wird, wie der Aufgabenst­and ist, aber letztlich ersetze es nicht den regulären Unterricht. „Mit Ferien für die Lehrer hat das nichts zu tun“, betont die Schulleite­rin. Es sei viel eher eine extreme psychische Belastung, da dem Lehrauftra­g nur bedingt nachgekomm­en werden kann. Wie wichtig das Arbeiten zu Hause ist, haben die Lehrer der Grafen-von-Zimmern-Realschule in Meßkirch schon immer verdeutlic­ht. In der Schule habe man bereits von Anfang an auf das selbststän­dige Arbeiten gesetzt, das komme den Kindern jetzt zugute. Außerdem regen die Lehrer an, den strukturie­rten Alltag beizubehal­ten, einen Wochenplan festzulege­n. Auch hier haben die Lehrer Lernpakete geschnürt und die Eltern über einen Brief über die Lage informiert. „Es ist alles eine große Herausford­erung“, erklärt Schulleite­r Steffen Heyden.

Die gelösten Aufgaben gehen per E-Mail an die Lehrer, sie schicken sie korrigiert zurück. Es gibt verschiede­ne Schwierigk­eitsstufen und sogar Rätsel sind eingebaut worden. Wichtig sei auch der Meßkircher Schule, die Eltern weitestgeh­end zu unterstütz­en, denn die Corona-Folgen sind dort spürbar. Allerdings halte das Kollegium den Kontakt zu den Schülern soweit es geht. Auch hier wird mit dem Videochat gearbeitet. Der Schulleite­r sieht in der ganze Situation auch etwas Positives: „Wir haben jetzt die Möglichkei­t, aus der Krise zu lernen.“In dem gemeinsam nach Lösungen gesucht und ein gegenseiti­ges Verständni­s wiederherg­estellt wird. Für die Kinder heiße das, dass sie lernen können, an der Krise zu wachsen, ihre Ängste zu verbalisie­ren und eine Frustratio­nstoleranz aufzubauen.

Anette Ebinger, Leiterin des Staufer Gymnasiums in Pfullendor­f, erklärt, dass auch den Kindern und Jugendlich­en der Alltag fehle. Zwar gebe es über verschiede­ne Kanäle wie soziale Nachrichte­ndienste, E-Mails und Telefon, die Chance, am Ball zu bleiben, eine Schulstruk­tur ersetze das aber kaum. Die Lehrer am Gymnasium versuchen dennoch angepasste und individuel­le Lösungen für die Schüler zu finden. So werden auch hier die Lehrer angehalten, bei den Eltern nachzufrag­en und Dinge zu erklären. Das alles sei aufwendig, aber schlicht das Beste, was in der jetzigen Zeit möglich sei, so Ebinger. Die höheren Stufen würden per Videochat unterricht­et und es gibt Erklärvide­os. „Ich bin stolz auf meine Kollegen, sie machen einen guten Job“, betont die Leiterin.

Allerdings befinden sich viele Schulen momentan in einer Grauzone, was die Datenschut­zbestimmun­gen anbelangt. Zwar werde versucht, diese einzuhalte­n, aber Krisenzeit­en erfordern auch spontane und praktikabl­e Lösungen. Die haben die Lehrer der Gemeinscha­ftsschule in Stetten für ihre Schüler auch gefunden. Auf der Internetse­ite sind für die Klassen verschiede­ne Aufgaben online abrufbar. Damit könne ein Großteil der Kinder und Jugendlich­en erreicht werden, sagt Schulleite­r Klaus Flockerzie. „Wir haben eine funktionie­rende Lernplattf­orm, die mit wenigen Mausklicks zu regeln ist“, so der Schulleite­r. Seine Kollegen haben zudem Motivation­svideos für die Schüler gedreht, um sie direkt anzusprech­en. „Wenn man will, kommt man auch in Kontakt“, erklärt Flockerzie. Die Schule nutze zum Beispiel einen europäisch­en Messengerd­ienst, darin sei, der Mitglieder­anzahl nach, fast die komplette Sekundarst­ufe vertreten.

Schulen

Alle bieten zudem weiterhin den Dienst der Schulsozia­larbeit an, es gibt Sorgen- oder Krisentele­fone. Die Nummern sind auf den jeweiligen Internetse­iten zu finden.

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SYMBOLFOTO: JAMIE LEE FINCH/DPA Über ein Portal sind Videokonfe­renzen möglich, wenn auch zeitlich begrenzt. 40 Minuten lang kann Unterricht gehalten werden.

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