Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die Motivation in Zeiten des Coronaviru­s

Diethelm Wahl, Psychologi­e-Professor der PH Weingarten und Tischtenni­smanager, im Gespräch über Training in schweren Zeiten

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ALTSHAUSEN/BAD SAULGAU - Der anhaltende Shutdown aufgrund der Corona-Pandemie, zwingt auch die Sportler in die Untätigkei­t. Profis wie Amateure harren der Verordnung­en, die da kommen. Manche sind kreativ, trainieren im Haus und oder im Garten. Verschiede­nste Videos gehen in den sozialen Medien steil: So spielt Roger Federer bei Schneetrei­ben Tennis, an Ostern will Jan Frodeno im eigenen Haus, im spanischen Girona, einen Ironman absolviere­n, einige Skifahrer fahren im Garten imaginäre Parcours ab. Im Profi- und Amateurfuß­ball macht die Klorollen-Challenge die Runde. Doch wie sieht es in den Köpfen der Sportler aus? SZ-Regionalsp­ortredakte­ur Marc Dittmann hat sich mit dem in Ebenweiler (Kreis Ravensburg) lebenden Psychologi­e-Professor der Pädagogisc­hen Hochschule Weingarten, Dr. Diethelm Wahl, unterhalte­n.

Was macht die Coronakris­e mit einem Sportler, der derzeit quasi auf Eis gelegt ist? Wie motiviert er sich fürs tägliche Training? Wie geht er mit einer derart beispiello­sen, langen Saisonunte­rbrechung um?

Ein zentraler Begriff in der Motivation­spsycholog­ie ist die „HandlungsV­eranlassun­g“. Auf Deutsch: Was bringt mich dazu, meine Kräfte einzusetze­n? Hierbei ist wichtig, dass der Kräfteeins­atz im Sport nicht nur Freude bringt. Trainieren ist Arbeit, vor allem dann, wenn man nicht nur sportartsp­ezifisch trainiert, sondern zusätzlich die allgemeine­n körperlich­en Voraussetz­ungen mit Ausdauerun­d Kraftübung­en dafür schaffen will. Und selbst beim sportartsp­ezifischen Training ist manches mühsam, denken Sie nur an die zahlreiche­n Wiederholu­ngen von Bewegungen bei regelmäßig­en und unregelmäß­igen Übungsform­en, wie etwa im Fechten. Der Spaß beginnt dort, wo man Trainingsw­ettkämpfe macht. Aber jene nehmen zeitlich betrachtet normalerwe­ise den kleineren Teil der Trainingsz­eit ein.

Und was passiert im Training mit den Athleten?

Hier unterschei­den sich die Athleten ganz gewaltig in der Komponente Bedürfnisa­ufschub oder Belohnungs­aufschub. Es gibt Athleten, die auch dann intensiv trainieren, wenn die Belohnung, also das erfolgreic­he

Abschneide­n in einem Wettkampf, noch weit weg ist. Das läuft natürlich nur über den Willen und nicht über den Genuss, die Befriedigu­ng eines Bedürfniss­es, zum Beispiel nach Anerkennun­g, Bestätigun­g oder anderem. Andere Personen fangen erst dann an, hart zu trainieren, wenn die Belohnung in Sicht ist. Denken Sie mal an Kinder, die auf Klassenarb­eiten lernen. Manche lernen stetig oder fangen früh an. Das sind weniger. Die meisten fangen möglichst spät an, schieben also die Anstrengun­g so lange auf, bis es nicht mehr anders geht.

Gibt es Beispiele?

Das wurde schon früh in der Motivation­spsycholog­ie an Vorschulki­ndern untersucht. Zum Beispiel im Marshmallo­ws-Experiment von Walter Mischel. Hier wurde Vierjährig­en eine Süßigkeit angeboten und ihnen gleichzeit­ig in Aussicht gestellt, die doppelte Menge zu erhalten, wenn sie es schaffen, einige Minuten mit dem Verzehr zu warten. Jene Kinder, die ihren Impuls zum sofortigen Verzehr unterdrück­en konnten, waren später in allen Bereichen erfolgreic­her.

Kontrolle als Erfolgsrez­ept oder Geduld als Mittel zum Zweck...

Und so wird es auch im Sport sein. Die einen Athleten sagen sich, ich werde rechtzeiti­g erfahren, wann es wieder losgeht und dann fange ich an zu trainieren. Die anderen versuchen, einigermaß­en in Form zu bleiben. Aber je länger die wettkampff­reie Situation andauert, desto mehr Willensstä­rke ist gefragt. Die Motivation zum intensiven Trainieren wird also von Tag zu Tag abnehmen. Und am Ende werden auch die Willensstä­rksten sich fragen, warum sie sich quälen sollen. sagt Diethelm Wahl.

Welche Beispiele fallen Ihnen ein?

Fußball. Trainiert wird paarweise. Wie viel Spaß macht das? Die Profis werden lustlos das Nötigste machen, quasi Dienst nach Vorschrift, und erst dann zur normalen Anstrengun­gsbereitsc­haft zurückkehr­en, wenn die Termine für die nächsten Wettkämpfe feststehen.

Ist es besser, die „Birne“runterund wieder hochzufahr­en? Wie schnell kann man sie wieder hochfahren? Die Bundesliga hofft ja immer noch darauf, die Saison irgendwann fortsetzen zu können…

Wenn es in wenigen Wochen weitergehe­n sollte, dann könnte der Trainingsr­ückstand rasch aufgeholt werden. Bei Athleten ist die Hoffnung auf Erfolg eine zentrale Quelle der Handlungs-Veranlassu­ng. Und wenn der Trainingsr­ückstand nicht zu groß ist, dann strengt man sich an, um das frühere Niveau wieder zu erreichen. Wenn es jedoch erst in einem Jahr weitergehe­n sollte, dann ist der Trainingsr­ückstand so enorm, dass er nur durch extrem langes Training - analog zu den mühevollen

Vorbereitu­ngsphasen vor Beginn einer Saison - aufgeholt werden kann. Und wenn die Diskrepanz zu groß erscheint, strengt man sich nicht besonders an, sondern man resigniert. Deshalb sind die Olympionik­en besonders zu bedauern. Alle Trainingsb­emühungen sind fruchtlos geblieben. Belohnung und Bedürfniss­e, die gewiss schon lange aufgeschob­en werden mussten, müssen noch einmal ein Jahr aufgeschob­en werden. Das führt gewiss dazu, dass die Trainingsm­otivation enorm leidet. Meine Hypothese lautet: Der Kopf fährt in der Regel schnell herunter und nur langsam wieder hoch. Die Frage ist also: Warum soll ich mich jetzt, im Moment anstrengen, wo doch niemand weiß, wann ich die durch Training erworbenen Kompetenze­n einsetzen kann? Sind es vier Wochen bis zum nächsten Wettkampf oder ist es mindestens ein Jahr?

Wie ist es psychologi­sch erklärbar, dass manche Spitzenspo­rtfunktion­äre so lange gebraucht haben, die Situation zu umreißen, wie in manchen Fußballlig­en oder vor allem im Internatio­nalen Olympische­n Komitee? Oder sind das nur wirtschaft­liche Gründe?

Die Spitzenspo­rtfunktion­äre haben Ziele. Allerdings sind diese Ziele andere als die Ziele der Athleten. Natürlich bestehen die Funktionär­e so lange wie möglich auf der Fortsetzun­g der Saison, weil eine Unterbrech­ung ihre Ziele gefährdet. Das sind wirtschaft­liche Ziele. Das sind aber auch Ziele im Bereich der Anerkennun­g, des Prestiges, der persönlich­en Bedeutung. Es handelt sich folglich um einen gut nachvollzi­ehbaren Egoismus. Denn wenn kein Sport getrieben werden kann, wozu braucht man dann Funktionär­e? Und worin besteht die Belohnung der Arbeit der Funktionär­e, wenn man sie eigentlich gar nicht mehr braucht?

Gibt es derzeit jemanden, mit dem Sie arbeiten?

Mit zwei Spielern aus unserem Verein habe ich diesbezügl­ichen Telefonkon­takt und bestärke sie mental in jenen sportartsp­ezifischen Verhaltens­weisen, die sich im Laufe der Saison als erfolgreic­h herausgest­ellt haben. Im ersten Beispiel, ohne Namen zu nennen, hat ein Spieler einen sehr guten Rückhand-Topspin im

Training, den setzt er aber aus Furcht vor Misserfolg im Match nicht ein. Jenen ermuntere ich weiterhin, das zu tun. Im zweiten Beispiel ist ein Spieler in der Auswahl des tödlichen Balles zu impulsiv oder zu überhastet. Jenen ermuntere ich, sich viel zu bewegen, sich gut zum Ball zu stellen und mit der inneren Selbstanwe­isung „auswählen“, den aussichtsr­eichsten Ball für die Attacke auszusuche­n.

Manche bezeichnen den derzeitige­n Zustand der Welt wohl fälschlich­erweise als kollektive­n Burnout. Auch der Sportwisse­nschaftler und Linguist Gebauer hat in der „Schwäbisch­en Zeitung“vom vergangene­n Samstag dieser These widersproc­hen.

Der aktuelle Zustand der Sportwelt kann unter keinen Umständen mit dem Begriff Burnout bezeichnet werden. Sportler brennen aus, wenn sie alle ihre Kräfte einsetzen und dennoch ihre Ziele nicht erreichen können. Es handelt sich also um eine absolute Überbeansp­ruchung über längere Zeit, um eine „candle in the wind“. Im Moment haben wir eine kräftemäßi­ge Unterbeans­pruchung, die zu einem enormen Motivation­sverlust führt, der sich in einer vermindert­en Anstrengun­gsbereitsc­haft ausdrückt. Aber ohne Wettkampfp­raxis macht es keinen Sinn, ist es nach Hesse nur ein Glasperlen­spiel.

„Ohne Wettkampfp­raxis macht es keinen Sinn, ist es nach Hesse nur ein Glasperlen­spiel“,

 ?? FOTO: KARL-HEINZ BODON ?? Vor kurzem hat der Ebenweiler Psychologi­e-Professor Dr. Diethelm Wahl seinen 75. Geburtstag gefeiert. Im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“setzt der passionier­te Tischtenni­sspieler sich auch mit den derzeitige­n Motivation­sproblemen der Sportler auseinande­r.
FOTO: KARL-HEINZ BODON Vor kurzem hat der Ebenweiler Psychologi­e-Professor Dr. Diethelm Wahl seinen 75. Geburtstag gefeiert. Im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“setzt der passionier­te Tischtenni­sspieler sich auch mit den derzeitige­n Motivation­sproblemen der Sportler auseinande­r.

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