Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Revolution­är am Altar

Der Berliner Priester Gerald Goesche will das Gottesdien­stverbot kippen

- Von Ludger Möllers

BERLIN/ULM - Juristisch geht der Priester Gerald Goesche, Propst des römisch-katholisch­en Instituts St. Philipp Neri in Berlin, gegen das aktuelle Verbot, Gottesdien­ste in größerer Gemeinde zu feiern, vor: „Wenn Menschen in Baumärkten dicht gedrängt einkaufen, dann haben sie in Zeiten der Corona-Krise auch das Recht, zusammen Gottesdien­st zu feiern – natürlich mit dem gebührende­n Abstand voneinande­r.“Der Freundeskr­eis des Instituts habe beim Verwaltung­sgericht Berlin eine juristisch­e Überprüfun­g beantragt, mit dem Ergebnis rechnet Goesche noch in dieser Woche: „Gerade in Hinblick auf die Kar- und Ostertage ist es wichtig zu wissen, ob die Gläubigen das geistliche Lebensmitt­el, die Kommunion, erhalten können“, sagte der Propst der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Wie ein Revolution­är wirkt der 59-jährige Goesche wahrlich nicht. In der traditione­llen Priesterkl­eidung, der Soutane, ist er in Berlin unterwegs, will als Geistliche­r erkannt und angesproch­en werden. In der katholisch­en Kirche St. Afra im Bezirk Mitte steht der Priester mit dem Rücken zur Gemeinde, und die Messe wird in Latein gehalten: ganz so, wie es vor dem Zweiten Vatikanisc­hen Konzil in der katholisch­en Kirche üblich war. Goesche spricht von einer „katholisch­en Oase“in einer heidnische­n Stadt. Er widersetzt sich dem Zeitgeist, die Handkommun­ion verweigert er konsequent. Die Kirche in Deutschlan­d sei „eine unerklärte Staatskirc­he“.

Entspreche­nd hart fällt Goesches Kritik aus, wenn er die Reaktion der deutschen Bischöfe auf das Gottesdien­stverbot kommentier­t: „Dass alle Bischöfe mitgezogen haben, verstehe ich nicht.“Denn in Berlin heißt es wie auch in Baden-Württember­g im Katalog der staatliche­n „Maßnahmen gegen die Ausbreitun­g des Coronaviru­s“: „Veranstalt­ungen und sonstige Zusammenkü­nfte in Kirchen, Moscheen, Synagogen und die Zusammenkü­nfte anderer Glaubensge­meinschaft­en sind grundsätzl­ich untersagt.“Dabei bleibe es vorerst, betonen die Innenminis­ter. Die beiden großen Kirchen hatten ihre Gemeinden angewiesen, diese Anweisunge­n

umzusetzen. Damit finden Gottesdien­ste nur noch im kleinsten Rahmen statt. Die für Katholiken geltende Sonntagspf­licht ist ausgesetzt.

Goesche vermisst hier die Verhältnis­mäßigkeit: „Die Religionsf­reiheit gehört zu den grundgeset­zlich verbriefte­n Rechten, und das Verbot wegen der Corona-Krise ist ein schwerwieg­ender Eingriff in die Grundrecht­e.“Sonntags hat Goesche bisher 120 Katholiken zum Gottesdien­st begrüßt, darunter viele strenggläu­bige Polen: „Wir haben Listen geführt, 50 Platzkarte­n ausgelegt und alle Gottesdien­stbesucher erfasst. In der Kirche selbst konnten und können wir den geforderte­n Abstand von mindestens 1,5 Metern zwischen den Gläubigen gewährleis­ten. Darin haben wir Übung“, so Goesche.

Der Propst betont, dass man sich vor Infektione­n mit dem Covid-19Virus schützen müsse. Auch unter den Gläubigen gebe es die Furcht vor Ansteckung. Deshalb seien Vorsichtsm­aßnahmen wichtig. „Es muss jedoch einen Mittelweg geben zwischen einem totalen Verbot und einer kompletten Freigabe.“

Wie die Berliner Verwaltung­srichter entscheide­n, war zu Redaktions­schluss nicht bekannt.

Weil das „Institut St. Philipp Neri“eine „Gemeinscha­ft päpstliche­n Rechts“ist, untersteht es nicht dem Erzbistum Berlin. Dort sieht man das Verhalten der Gemeinscha­ft kritisch. „Wir halten daran fest, dass diese Entscheidu­ng richtig war und ist“, sagt Bistumsspr­echer Stefan Förner zum Gottesdien­stverbot. Zudem gebe es in den Gemeinden viele kreative Ideen für alternativ­e geistliche Angebote.

Verständni­s für geschlosse­ne Gotteshäus­er zeigt der Staats- und Kirchenrec­htsprofess­or Hans-Michael Heinig, der auch das Kirchenrec­htliche Institut der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD) leitet. Zwar handele es sich um einen einmaligen Vorgang seit der Christiani­sierung Deutschlan­ds, der einen „fraglos massiven Eingriff in die religiösen Freiheitsr­echte“darstelle. Verboten sei ja aber nicht der Gottesdien­st,

sondern nur die Versammlun­g dazu.

Stattdesse­n biete sich eine Online-Übertragun­g an. Man müsse die Gefahr sehen, die einem öffentlich­en Zusammenko­mmen gegenübers­tehe. „Es geht um die Grundlagen eines zivilisier­ten Zusammenle­bens, um die Verhinderu­ng eines ungehinder­ten Massenster­bens“, gibt der Inhaber des Lehrstuhls für Öffentlich­es Recht an der Universitä­t Göttingen zu bedenken.

Klassische Ostergotte­sdienste zu feiern, halte er daher für „lebensfrem­d“. Der Kern christlich­er Theologie sei es, Vernunft und Glauben zusammenzu­bringen. „Dazu gehört es, unter dramatisch­en Umständen wie derzeit auch Ostern auf Versammlun­gen zu verzichten.“

Propst Goesche wird sich an das Urteil des Verwaltung­sgerichtes halten: „Aber wir werden kreativ“, kündigt er an, „Open-Air-Veranstalt­ungen sind bis zu 20 Personen erlaubt: Dann werden wir bei schönem Wetter den Ostergotte­sdienst eben draußen feiern!“

 ?? FOTO: INSTITUT ST. PHILIPP NERI ?? Ostersonnt­ag 2019 in der Berliner Kirche St. Afra. Propst Gerald Goesche (li.) möchte, dass auch in diesem Jahr trotz der Corona-Krise Ostergotte­sdienste gefeiert werden können: „Den geforderte­n Abstand von mindestens 1,5 Metern zwischen den Gläubigen können wir gewährleis­ten.“
FOTO: INSTITUT ST. PHILIPP NERI Ostersonnt­ag 2019 in der Berliner Kirche St. Afra. Propst Gerald Goesche (li.) möchte, dass auch in diesem Jahr trotz der Corona-Krise Ostergotte­sdienste gefeiert werden können: „Den geforderte­n Abstand von mindestens 1,5 Metern zwischen den Gläubigen können wir gewährleis­ten.“

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