Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Biberacher Forscher suchen nach Corona-Antikörpern
Boehringer Ingelheim bringt drei Erfolg versprechende Moleküle in erste Labortests – Erfolgreiches Jahr 2019
INGELHEIM/BIBERACH - Die Corona-Krise bestimmt auch das Geschäft des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim. Zum einen arbeiten fast 40 000 der weltweit mehr als 51 000 Mitarbeiter aktuell von zu Hause aus. Zum anderen beschäftigt sich ein seit Januar stetig wachsendes Team von mehr als 100 Wissenschaftlern im Haus mit Behandlungsmöglichkeiten gegen die Lungenkrankheit Covid-19, teilte das Unternehmen am Mittwoch anlässlich der Präsentation der Geschäftszahlen für 2019 mit.
„Wir alle suchen neue Antworten auf die Frage, wie wir das Virus bekämpfen können“, sagte der für die Covid-19-Forschung bei Boehringer Ingelheim zuständige Wissenschaftler Cyrille Kuhn. Das Familienunternehmen setzt dabei nicht auf Impfstoffe, sondern auf Antikörper, die das Virus Sars-CoV-2 bekämpfen und neutralisieren können.
Forschern aus dem oberschwäbischen Biberach, dem größten Forschungsund Entwicklungsstandort von Boehringer Ingelheim mit aktuell fast 6400 Beschäftigten, ist es nun gelungen, drei erfolgversprechende Antikörper zu identifizieren. Die Moleküle seien in dieser Woche in die Labortests gegangen, sagte Firmensprecher Matthias Michael Reinig im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Ob und wann daraus ein Medikament gegen die Lungenkrankheit Covid-19 auf den Markt komme, ließ Reinig aber offen. Das sei nicht seriös zu prognostizieren.
Boehringer Ingelheim kann sich bei der Suche nach Antikörpern auf eine umfangreiche Moleküldatenbank mit mehr als einer Million Substanzen und Softwarehilfe stützen. Damit lässt sich die Selektion Erfolg versprechender Moleküle, der Basis neuer Wirkstoffe, von ursprünglich 13 Wochen auf sechs bis sieben Wochen halbieren.
Parallel dazu beteiligen sich die Ingelheimer auch an mehreren internationalen Forschungskonsortien, um die Pandemie zu bekämpfen – zum Beispiel an einer von der Billund-Melinda-Gates-Stiftung geleiteten Initiative. Die Zusammenarbeit soll die Entwicklung, Herstellung und Bereitstellung von Impfstoffen, Diagnostika und Behandlungen für Covid-19 beschleunigen.
Zusätzlich zu den Forschungsaktivitäten hat das Unternehmen einen
Spendenfonds in Höhe von 5,8 Millionen Euro für Corona-Nothilfemaßnahmen aufgelegt und stellt seine Beschäftigten auf Wunsch bis zu zehn Tage für eine ehrenamtliche Mitarbeit bei Hilfsorganisationen frei. „Boehringer Ingelheim ist ein aktiver Partner im weltweiten Kampf gegen Covid-19“, sagte der Vorsitzende der Unternehmensleitung, Hubertus
von Baumbach. Dank einer soliden Entwicklung der eigenen Geschäfte in den vergangenen Jahren könne der Konzern nicht nur die Folgen der Pandemie abfedern, sondern sich auch an der Suche nach einer Lösung zur Bekämpfung des Virus beteiligen. Dennoch seien diese Zeiten außergewöhnlich, gestand von Baumbach. Boehringer Ingelheim setze alles daran, den Produktionsbetrieb für alle Medikamente aufrechtzuhalten und die Auslieferung sicherzustellen.
Wie sich die Pandemie auf die Geschäfte des Pharmakonzerns mit Sitz im rheinland-pfälzischen Ingelheim auswirkt, sagte von Baumbach nicht. Die solide Entwicklung der vergangenen Jahre ließe es aber zu, das Investitionsniveau zu halten. Im vergangenen Jahr investierte Boehringer Ingelheim eine Rekordsumme von 1,1 Milliarden Euro in Sachanlagen.
Davon profitiert auch Biberach, wo gerade für 230 Millionen Euro ein neues Biopharma-Entwicklungszentrum aufgebaut wird. Die Biopharmazie gilt als Feld der Zukunft, wenn es darum geht, neue Medikamente, etwa gegen Krebs zu entwickeln. Rund 40 Prozent der gesamten Wirkstoff-Pipeline von Boehringer Ingelheim basiert schon heute auf biopharmazeutisch hergestellten Wirkstoffen, Tendenz steigend.
Im Geschäftsjahr 2019 hatte Boehringer Ingelheim Gewinn und Umsatz gesteigert, teilte von Baumbach weiter mit. Der Gewinn lag bei 2,7 Milliarden Euro – nach 2,1 Milliarden im Jahr zuvor, die Erlöse kletterten währungsbereinigt um 5,7 Prozent auf 19,0 Milliarden Euro. Fast 3,5 Milliarden Euro gab das Unternehmen für Forschung und Entwicklung aus, was einer Quote von mehr als 18 Prozent vom Umsatz entspricht.
Das Geschäft mit Medikamenten für Menschen wuchs währungsbereinigt um acht Prozent und steuerte mit 14 Milliarden Euro fast drei Viertel zum Gesamtumsatz bei. Das meiste Geld spülten Mittel gegen Atemwegserkrankungen sowie gegen Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen in die Kasse.
In der zweitgrößten Sparte Tiergesundheit sanken die Erlöse währungsbereinigt um ein knappes Prozent auf vier Milliarden Euro. Negativ wirkte sich von Baumbach zufolge der Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest in China aus, der den Absatz des Schweineimpfstoffs Ingelvac einbrechen ließ.
In der biopharmazeutischen Auftragsproduktion, die vor allem am Standort Biberach konzentriert ist, legten die Umsätze währungsbereinigt um gut sieben Prozent auf 786 Millionen Euro zu.