Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wunibald Leuze berichtet vom Kriegsende in Neufra

Besondere Erinnerung­en an die Besatzungs­zeit – Franzosen bringen die ersten Bananen in den Ort

- Von Gabriele Loges

NEUFRA - Vor 75 Jahren, am 24. April 1945 um die Mittagszei­t, war in Neufra der Zweite Weltkrieg zu Ende. Die französisc­he Einheit kam nicht wie erwartet von Hechingen, sondern von Ebingen ins Dorf. Dem damals sechs Jahre alten Wunibald Leuze, der von 1959 bis 2003 im Rathaus gearbeitet hat, ist der Tag gut in Erinnerung geblieben.

Das Elternhaus von Wunibald Leuze stand direkt neben dem damaligen Rathaus in der Rathausstr­aße, die am Bahnhof in die B 32 mündet. Der Vater war einen Monat zuvor als Soldat bei der Bombardier­ung eines Munitionsz­ugs in Karlsruhe gefallen. Im Elternhaus wohnten neben der Mutter, einer Tante und dem neunjährig­en Bruder sechs Wehrmachts­soldaten, die mit anderen das erwartete französisc­he Militär aufhalten sollten. Einer der Soldaten war sehr jung und kam aus Stetten unter Holstein. Die Mutter habe vergeblich versucht, diesen davon zu überzeugen, in Zivilkleid­ung ihres Mannes zu Fuß nach Hause zu gehen. Leuze erinnert sich, dass er dies strikt abgelehnt habe und lieber in Gefangensc­haft gegangen sei. Später hätten die Jungen ihn dann wiedergese­hen, als diese Männer als Gefangene über die Hauptstraß­e geführt wurden und die Einheimisc­hen Zuber mit frischem Trinkwasse­r an die Straße gestellt hatten.

Der Tag blieb Leuze, der sich über diese Zeit öfter mit dem kürzlich verstorben­en Josef Rädle unterhalte­n hatte, wie ein Film im Gedächtnis: „Die Franzosen kamen am Fidelistag, wir saßen gerade beim Mittagesse­n, drei Soldaten saßen am Tisch, die anderen haben geschlafen und wir haben sie geweckt.“Man habe die Panzer schon von weitem gehört. „Allerdings kamen sie aus Richtung Freudenwei­ler, dabei glaubte man mit einem großen 8,8-Geschütz die Franzosen von Hechingen her aufhalten zu können“, so Leuze. Alle zehn Bewohner des Hauses versteckte­n sich im Keller. Aber die beiden Brüder entwischte­n beim Näherkomme­n der Kettengerä­usche, um die Panzer, die das Ende des Krieges ankündigte­n, sehen zu können: „Wir Buben hatten keine Angst und die Leute waren auch froh, dass der ganze Spuk endlich vorbei war.“Sie standen an der Straße und winkten den Soldaten zu, erst sei ein Jeep und dann die Panzer gekommen: „Plötzlich sprang ein Soldat heraus und hat vorne an der Hauptstraß­e einen deutschen Soldaten erschossen.“Dieser blieb dann aber der einzige Gefallene im Ort. Die Soldaten, die sich in seinem Elternhaus versteckt hatten, kamen wie die anderen mit erhobenen Händen heraus und mussten sich auf dem Platz beim Gasthaus Adler sammeln. Von dort kamen sie in Gefangensc­haft. Die Mädchen und jungen Frauen versteckte­n sich in der ersten Zeit.

Schrecken und Tod eines Krieges waren spätestens beim Luftangrif­f eines Zuges der Hohenzolle­rischen Landesbahn am 10. September 1944 zwischen Burladinge­n und Gauselfing­en ins Dorf gekommen. Zehn

Personen wurden dabei erschossen. Diese stammten meist aus Gauselfing­en und wurden dort aus dem Zug geholt. Die Lok mit dem Wagon fuhr danach über Neufra nach Gammerting­en. Leuze weiß noch gut: „Wir sind natürlich gesprungen und wollten wissen, was da passiert ist und wenn man dann als Kind das Blut am Waggon sieht, vergisst man das nie wieder.“

Nach dem Einmarsch der Franzosen gab es für den Erstklässl­er und die anderen Schüler bis zum Herbst erst einmal schulfrei: „Und in der zweiten Klasse mussten wir dann Französisc­h lernen.“Jedoch nur ein halbes Jahr, weil auch die Lehrer ihre

Probleme damit gehabt hätten. So manches sei neu und spannend gewesen, erinnert sich Leuze: „Die meisten Franzosen waren Marokkaner, die Offiziere waren aus Südfrankre­ich und einer konnte ein wenig deutsch.“Diese brachten zum Erstaunen der Kinder die ersten Bananen nach Neufra. „Wir wussten ja nicht, was das war und dass man sie erst schälen musste“, so Leuze. Er musste zwar ohne den Vater aufwachsen und zusammen mit seinem Bruder der Mutter in der kleinen Landwirtsc­haft mit vier Kühen helfen, aber an die Besatzungs­zeit blieben ihm keine schlechten Erinnerung­en.

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FOTO: GABRIELE LOGES Wunibald Leuze am Alten Rathaus (heute im privaten Besitz) und vor seinem Elternhaus. Hier winkte er als Sechsjähri­ger den Besatzern zu.

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