Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Online an der Demokratie mitwirken
Grüne organisieren Webinar über Politik in Zeiten von Corona
BAD SAULGAU/SIGMARINGEN - Es gibt sie doch noch, die politischen Diskussionsveranstaltungen, allerdings im virtuellen Raum. Der Kreisverband Sigmaringen der Grünen hat ein Webinar über Politik in Zeiten von Corona mit rund 30 Teilnehmern veranstaltet. Prominenter Gast in der Runde war die Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner, parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion der Grünen im Bundestag und Obfrau im Europaausschuss.
An einiges müssen sich Teilnehmer und Moderatoren noch gewöhnen. Während die Moderatoren auf dem Bildschirm im Bild präsent bleiben, werden die Fragen per Chat in die Runde gegeben. Werden die Fragesteller aufgerufen, wird das Video freigegeben. Das klappt nicht immer. Bis auf diese Tücken der Technik funktioniert die alternative Form der Mitwirkung erstaunlich gut. Alternativen wie Versammlungen gibt es in Zeiten von Corona nicht.
„Lasst uns das Beste aus dieser Situation machen“, fordert in ihrer Begrüßung die Landtagsabgeordnete der Grünen, Andrea Bogner-Unden, und lobt diese Premiere. Für Franziska Brantner sind digitale Formen der Kommunikation gerade jetzt eine schiere Notwendigkeit. Die CoronaKrise werde unter der Hand zu einem Wettbewerb zwischen autoritären und demokratischen Systemen. Wer habe die besseren Rezepte für Lösungen? „Wir wollen als Demokratie gut durch die Krise kommen“, sagt Brantner. Dass fehlende Möglichkeiten
der Mitwirkung Gefahren bergen, zeigt sich für sie an der unbefristeten Ermächtigung von Ministerpräsident Viktor Orbán durch das Parlament in Ungarn.
Auf kommunaler Ebene sorgt der Verzicht auf Sitzungen und Versammlungen nicht nur für Orientierungslosigkeit. Auch hier lauert die Gefahr, Kompetenzen an die Verwaltung auf Dauer zu delegieren. So berichtete der Bad Saulgauer Stadtrat der Grünen, Michael Köberle, dass in der vorerst letzten Sitzung des Gemeinderats in Bad Saulgau beschlossen wurde, den Betrag für eigenständige Vergaben durch die Verwaltung auf 30 000 Euro zu verdoppeln. Die Vorlage sah keine zeitliche Befristung der erweiterten Kompetenzen vor. „Eine Kollegin aus einer anderen Fraktion hat das dann bemerkt“, so Köberle. Die Befristung kam doch noch in den Beschluss. Ina Schultz, Beisitzerin im Kreisvorstand der Grünen und Organisatorin des Webinars,
war sich nicht sicher, ob der Gemeinderat einem Bürgermeister in der Pandemie so weitreichende Rechte übertragen könne, dass er quasi alleine entscheiden könne. Von Beschlüssen im Umlaufverfahren, aber auch von viel Arbeit, die liegen bleibt, berichtete Ursula Voelkl, Stadträtin der Grünen in Sigmaringen. Sie bedauert, dass vor der Krise niemand die Möglichkeit von „Politik durch Videokonferenzen auf dem Schirm hatte“.
Johannes Kretschmann, Kreisrat der Grünen, befürchtet, dass nach der Krise für Freiwilligkeitsleistungen auf Kreisebene und damit für „unsere Themen wie ein ambitionierter Klimaschutz“schlicht das Geld fehlt. Auch die Frage, ob die Menschen nach der Pandemie wieder die umweltfreundlichen Verkehrsmittel Bus und Bahn benutzen werden, treibt ihn um. „Niemand kann sagen, ob diese Delle nachher wieder ganz ausgebeult wird.“
Nach Corona würden sich auch soziale Fragen neu stellen, meint Franziska Brantner. „Diejenigen, die uns gerade den Arsch retten, sind nicht die Wohlhabenden, sondern die Pflegerinnen, der Lkw-Fahrer und die Kassiererinnen.“
Ein insgesamt gutes Zeugnis stellt die grüne Bundestagsabgeordnete der Bundesregierung bei der innenpolitischen Bewältigung der Krise aus. Fatal sei dagegen, dass Deutschland die EU-Partner Italien, Frankreich und Spanien durch ein Exportverbot für Schutzmasken zunächst einmal im Stich gelassen habe. China sprang bereitwillig ein. Die Hilfe kam dann zwar doch noch, aber, so Brantner, zu spät. Jetzt komme es darauf an, den Partnern über die bereits beschlossene finanzielle Unterstützung hinaus zu helfen. Mit der Möglichkeit, dass Italien und Spanien über die Europäische Union (EU) Kredite auf dem Kapitalmarkt aufnehmen können, müsse den am stärksten betroffenen Ländern geholfen werden. Das Wort CoronaBonds nahm sie dabei nicht in den Mund.