Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Mit größter Wahrschein­lichkeit natürlich entstanden“

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RAVENSBURG - Derzeit kursiert die These, das neuartige Coronaviru­s sei aus einem chinesisch­en Labor entwichen – auch US-Präsident Donald Trump glaubt an diese Theorie. Der Virologe Professor Thomas Mertens erklärt im Gespräch mit Daniel Hadrys, warum er das für höchst unwahrsche­inlich hält.

Berichten zufolge soll das neuartige Coronaviru­s in einem chinesisch­en Labor entwickelt und durch einen Unfall verbreitet worden sein. Sogar US-Geheimdien­ste sollen dem nun nachgehen. Halten Sie diese Theorie für wahrschein­lich?

Sars-CoV-2 ist das siebte Coronaviru­s mit dem Menschen als Wirt. Ich fürchte, dass als „Autoren“für die erwähnten „Berichte“vorerst im wesentlich­en so kenntnisre­iche Virologen, Epidemiolo­gen und Molekularb­iologen wie Mr. Trump zu nennen sind. Am 17. März 2020 hat eine multinatio­nale Forschergr­uppe aus fünf Wissenscha­ftlern aus sehr renommiert­en Forschungs­instituten der USA, Großbritan­nien und Australien in dem Spitzenjou­rnal „Nature“ihre Daten publiziert, die belegen, dass SarsCoV-2 mit größter Wahrschein­lichkeit durch Mutation und Selektion in Tieren und im Menschen natürlich entstanden ist. Sie haben das Genom von vier tierischen Coronavire­n von Fledermäus­en und Schuppenti­er mit Sars-CoV-1 und Sars-CoV-2 vergleiche­nd analysiert und die Veränderun­gen im Bereich des viralen Rezeptorpr­oteins genau untersucht. Sechs Aminosäure­n entscheide­n darüber, ob ein Coronaviru­s an den menschlich­en ACE2Rezept­or binden kann. Der zelluläre ACE2Rezept­or, den das Virus für die Bindung braucht, ist bei Mensch, Katze, Frettchen ähnlich und fast gleich beim Malayische­n Schuppenti­er, das bekannterm­aßen illegal nach China importiert wird (zu kulinarisc­hen Zwecken). Auch die Art der Genommutat­ionen beim Virus und die Tatsache, dass SarsCoV-2 insgesamt keinem bekannten „Laborvirus“entspricht, lässt den Schluss zu, dass Spezieswec­hsel Tier-Tier-Mensch, Virusmutat­ionen und eine die Infektions­möglichkei­t für das Virus optimieren­de natürliche Selektion das Auftreten von Sars-CoV-2 gut erklären.

Welche Sicherheit­sstufen gibt es in einem solchen Labor und wie funktionie­ren sie?

Es gibt BSL-1 bis BSL-4. Die höchste Laborsiche­rheitsstuf­e BSL-4 erfordert das Arbeiten in „Raumanzüge­n“mit externer Atemluftzu­fuhr, das völlige Umkleiden und Duschen in sogenannte­n Schleusen. Im Labor herrscht ständiger Unterdruck, sodass nichts unbemerkt entweichen kann, und die gesamte Luft wird durch Hochleistu­ngsfilter „sterilisie­rt“.

Lässt sich ein Virus wie SarsCoV-2 überhaupt synthetisc­h herstellen?

Synthetisc­h ist bislang nur Poliovirus einmal im Reagenzgla­s „hergestell­t“worden. Wollte man an einem Coronaviru­s manipulier­en, dann würde man auch von einem bereits existieren­den Coronaviru­s ausgehen und nicht versuchen, es „chemisch neu herzustell­en“. Die gezielte Manipulati­on eines RNAVirus, wie das Coronaviru­s, erfordert schon große molekularb­iologische Expertise und Ausrüstung.

 ??  ?? Der Virologe Professor Thomas Mertens ist Vorsitzend­er der Ständigen Impfkommis­sion am Robert Koch-Institut. Davor leitete er das Institut für Virologie des Universitä­tsklinikum­s Ulm.
Der Virologe Professor Thomas Mertens ist Vorsitzend­er der Ständigen Impfkommis­sion am Robert Koch-Institut. Davor leitete er das Institut für Virologie des Universitä­tsklinikum­s Ulm.

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