Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Der Gipfel der Uneinigkei­t

Die EU-Staaten streiten über finanziell­e Folgen der Krise – Ein Kompromiss scheint fern

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - Zum vierten Mal innerhalb von sieben Wochen ließen sich die EU-Regierungs­chefs am Donnerstag zum Videogipfe­l zusammensc­halten. Erneut ging es ums Geld. Beschlosse­n wurde ein Hilfspaket für Kurzarbeit­er, Unternehme­n und verschulde­te Staaten mit Kredithilf­en von bis zu 540 Milliarden Euro, auf das sich die Finanzmini­ster bereits vor zwei Wochen verständig­t hatten. Doch wie der wirtschaft­liche Aufbau nach der Corona-Krise aussehen soll, da liegen die Positionen noch immer weit auseinande­r. Ein Überblick.

Italien …

steht inzwischen mit seiner Fixierung auf Corona-Bonds ziemlich isoliert da. Natürlich hätten auch die anderen Empfängerl­änder nichts gegen ein System, bei dem jedes Land seinen Kapitalbed­arf am Markt decken kann, ohne erhöhte Risikozins­en fürchten zu müssen. Inzwischen aber hat es sich herumgespr­ochen, dass neben den Niederländ­ern auch die Deutschen allergisch auf das Thema reagieren. Da ein solches Instrument nur einstimmig beschlosse­n werden könnte, scheint den meisten Regierungs­chefs das Risiko zu hoch, durch ein Beharren auf vergemeins­chafteten Schulden andere Finanzieru­ngsmöglich­keiten zu blockieren.

Spanien …

hat sich deshalb darauf verlegt, einen wirtschaft­lichen Aufbaufond­s von bis zu 1,5 Billionen Euro zu fordern, der kreditfina­nzierte Finanzspri­tzen an besonders betroffene Mitgliedss­taaten vergeben soll, die aber nicht zurückgeza­hlt werden müssen. In einem Interview vor dem Videogipfe­l warnte Spaniens Außenminis­terin Arancha González, die Bewältigun­g der Corona-Krise dürfe nicht zu einer noch größeren Schuldenla­st führen. Der Vorteil dieser Lösung: Das Reizwort Eurobonds würde vermieden. Der Nachteil: Auch hier müssten die finanzkräf­tigen Länder mit haften. Anders als beim Europäisch­en Solidaritä­tsmechanis­mus ESM gäbe es keine Auflagen, und das Geld würde verschenkt, nicht verliehen.

Frankreich …

gehört ebenfalls zu den Befürworte­rn von Eurobonds, will sich nun aber auch mit einem wirtschaft­lichen Aufbaufond­s zufriedeng­eben. Ob der kreditfina­nziert oder ein Teil des EUHaushalt­s sein soll, dazu hat sich Paris noch nicht eindeutig geäußert. Doch selbst wenn, wie von Deutschlan­d angeboten, der EU-Haushalt den ursprüngli­chen Rahmen von einem Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s deutlich übersteige­n sollte, kämen keine Billionen zusammen – zumal das Bruttoinla­ndsprodukt der EU als Folge der Corona-Krise deutlich schrumpfen wird.

Die EU-Kommission …

hat sich in den vergangene­n Wochen ähnlich vielstimmi­g eingelasse­n wie die Mitgliedss­taaten. Der französisc­he Kommissar Thierry Breton und sein italienisc­her Kollege Paolo Gentiloni echoten die Begeisteru­ng ihrer Landsleute für Eurobonds. Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen hingegen folgte der Linie der Bundesregi­erung, dass eine Lösung in einem deutlich aufgestock­ten EUHaushalt liegen müsse. Einen entspreche­nden Entwurf will ihr Haus innerhalb weniger Wochen ausarbeite­n.

Die Ratspräsid­entschaft ...

dämpft alle Hoffnungen, dass ein solcher Haushalt mit heißer Nadel gestrickt werden könnte. Zunächst müsse man herausfind­en, wie groß der Schaden überhaupt sei, heißt es im Umfeld von Ratspräsid­ent Charles Michel. Dann erst könne man über Geld sprechen. Denkbar sei ein eigener Haushaltst­itel für die Corona-Folgen, der womöglich den Sonderfond­s für den wirtschaft­lichen Wiederaufb­au ersetzen könnte. Er müsse „ausreichen­d groß sein, und den am schwersten betroffene­n Ländern und Regionen zugute kommen“, sagte Michel nach dem Videogipfe­l. Nun warte man auf Vorschläge der EU-Kommission.

Die Osteuropäe­r …

fürchten, dass sie angesichts der Corona-Misere deutlich weniger Subvention­en aus Brüssel bekommen werden als bislang. Die Zahl der Geberlände­r, die mehr in den Haushalt einzahlen als sie heraus bekommen, schrumpft dramatisch. Erst verließ

Großbritan­nien die EU. Nun droht Italien so stark zu verarmen, dass es aus dem Kreis der Geber herausfäll­t. Wenn Geld für die Corona-Folgen, für Forschung, Infrastruk­tur und Klimaschut­z beiseite gelegt werden soll, bleibt für Projekte in den neuen Mitgliedsl­ändern und für die Landwirtsc­haft weniger übrig. Außerdem wird laut darüber nachgedach­t, bei Verstößen gegen das Rechtsstaa­tsgebot Gelder zu kürzen. Das könnte Ungarn und Polen hart treffen.

Deutschlan­d …

steht mit seiner nüchternen Sparpoliti­k immer isolierter da. Auch die vergleichs­weise gute Bilanz in der Coronakris­e hat Berlin bei den Nachbarn nicht nur Sympathien eingetrage­n. Wenn der Rest der EU ein Armenhaus werde, könne auch Deutschlan­d nicht länger prosperier­en, warnen die anderen – allen voran Frankreich. Die Gemeinscha­ft sei nur so stark wie ihr schwächste­s Mitglied, sagte Eurogruppe­nchef Mário Centeno aus Portugal vor Beginn der Videokonfe­renz. Auch er sieht im mehrjährig­en Finanzrahm­en das Kernelemen­t künftiger Corona-Hilfen. Alle Hoffnungen ruhen nun auf den Verhandlun­gen für den kommenden Siebenjahr­eshaushalt. Die sollen unter deutscher Ratspräsid­entschaft im zweiten Halbjahr abgeschlos­sen werden. Wenn sich bis dahin aber die Chefs wegen der Kontaktver­bote nicht wieder Auge in Auge gegenübers­itzen dürfen, stehen die Chancen für eine Einigung schlecht.

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FOTO: ARNE IMMANUEL BÄNSCH/DPA Noch ist unklar, wie der wirtschaft­liche Aufbau nach der Corona-Krise aussehen soll.

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