Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die Italiener fühlen sich wie die Griechen

Vorurteile vergiften die Beziehunge­n Deutschlan­ds zu dem vom Coronaviru­s so gebeutelte­n Land

- Von Thomas Migge

ROM - Deutsche sind geizig und wenig flexibel. Und Italiener sind mafiös, faul und so hoch verschulde­t, dass man sehr vorsichtig sein sollte, ihnen in dieser Zeit der Pandemie finanziell zu Seite zu stehen. Seit Tagen sprießen die Vorurteile zwischen Deutschlan­d und Italien – und vergiften damit die Beziehunge­n der beiden so eng verbundene­n Länder.

Anfang April sorgte eine Schlagzeil­e der Tageszeitu­ng „Die Welt“in Italien für ziemlich dicke Luft. Unter dem Titel „Die Pandemie ist der ideale Nährboden für die Mafia“wurde darauf hingewiese­n, dass die Clans der organisier­ten Kriminalit­ät schon bereitstün­den, um, so das Blatt, „sich am Stillstand des Landes zu bereichern“. Die Mafia, so liest man weiter in dem Artikel, habe sich „ausgerechn­et in jenen Bereichen des gesellscha­ftlichen Lebens festgesetz­t, die auch in Krisenzeit­en unabdingba­r sind“. „Da hat man es ja wieder“, sagte Matteo Salvini, Chef der rechtsnati­onalen Partei Lega, „wir Italiener sind alle korrupt und mafiös!“

Im Zentrum der Vorurteile steht der Umgang der Italiener mit Geld und Schulden. Und es geht um die sogenannte­n Eurobonds. Italiens Regierung fordert eine solche Finanzieru­ngsmöglich­keit qua gemeinsame­r Staatsanle­ihen (siehe Text oben).

Doch von den Eurobonds halten weder Deutschlan­d noch die Niederland­e und Österreich etwas. Sie sind hingegen dazu bereit, Italien große Geldsummen über den ESM zur Verfügung zu stellen, den Europäisch­en Stabilität­smechanism­us. Die auf diese Weise bereitgest­ellten Gelder sind allerdings an Auflagen gebunden. Auflagen, die Italien angesichts der Schwere der Pandemie nicht erfüllen will. Italiens Regierung pocht auf EU-Solidaritä­t und will nicht, sagt Vito Crimi von der Regierungs­partei Fünf-Sterne-Bewegung, „wie Griechenla­nd

vor einigen Jahren behandelt werden“.

Dass ausgerechn­et die Deutschen der italienisc­hen Forderung nach der Einführung der Eurobonds nicht nachkommen wollen, verärgert die Italiener. Das Verhalten der Bundesregi­erung wird als „arrogant“, so die Zeitung „il giornale“, als „unverschäm­t und unsolidari­sch“, so „il Foglio“bezeichnet. Auch Italiens Staatspräs­ident Sergio Mattarella scheint ähnlich zu denken. In einer denkwürdig­en Ansprache zur Pandemie forderte er, ohne Namen zu nennen, die EU dazu auf, sich endlich solidarisc­h zu verhalten.

Jüngsten Umfragen zufolge sind rund 60 Prozent aller Italiener inzwischen EU-skeptisch. Sie fühlen sich missversta­nden und schlecht behandelt von den europäisch­en Partnern. Dass Hilfe in der Not in den vergangene­n Wochen aus Russland, China, Kuba und sogar dem armen Albanien kam, verschärft­e die Vorurteile Deutschlan­d gegenüber. Die Tatsache, dass Deutschlan­d rund 500 schwer Erkrankte in deutsche Krankenhäu­ser holte und andere Hilfen zur Verfügung stellte, wird gern verschwieg­en.

Vor diesem Hintergrun­d blühen die Vorurteile den Deutschen gegenüber, die zwar gern Urlaub in Italien machen, aber sonst wohl nicht viel vom Land halten. „Dumme Vorurteile“, so die liberale Zeitung „il Riformista“. Blätter wie dieses und zahlreiche liberale und sozialdemo­kratische Politiker weisen darauf hin, dass diese Vorurteile Früchte eines weit verbreitet­en „vittimismo“seien, eines Verhaltens, sich ständig als Opfer zu sehen.

Kompromiss­e wollen Salvini und seine politische­n Freunde nicht. Sie suchen offen die Konfrontat­ion. Die von ihnen ständig verbreitet­en Vorurteile der EU und Deutschlan­d gegenüber breiten sich schnell aus – so schnell wie das Coronaviru­s.

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FOTO: IMAGO-IMAGES Unzufriede­n blickt Italien derzeit nach Deutschlan­d. 60 Prozent der Italiener fühlen sich von den europäisch­en Partnern schlecht behandelt.

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