Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ein zweites Leben für alte Ökokraftwe­rke

Viele Solaranlag­en fallen am Jahresende aus der Förderung – Verbände und Politik suchen nach Alternativ­en

- Von Hannes Koch

BERLIN - Seit 20 Jahren ist es ein sehr lukratives Modell: Besitzer von Einund Zweifamili­enhäusern oder Landwirte bauten sich eine Photovolta­ikanlage aufs Dach, um Sonnenstro­m zu erzeugen. Für die produziert­e Elektrizit­ät erhalten sie eine großzügige Vergütung. Allerdings nur noch bis zum Ende dieses Jahres. Dann fallen die ersten der insgesamt 1,7 Millionen Dachanlage­n in Deutschlan­d aus der Förderung heraus. Was passiert danach mit den Solarkraft­werken, und was bedeutet das für die Energiewen­de?

Das Gesetz zur Förderung der Erneuerbar­en Energien (EEG) trat im April 2000 in Kraft. Damit viele Windräder und Photovolta­ikanlagen gebaut werden, erhielten diese Garantieza­hlungen für die produziert­e Elektrizit­ät. Bei Sonnenstro­m waren das anfangs über 50 Cent pro Kilowattst­unde. Doch nach 20 Jahren läuft diese Vergütung nun planmäßig zum Jahresende aus. Viele Hausbesitz­er und Bauern machen sich Sorgen. „Bei mir im Büro stapeln sich die Anfragen von verunsiche­rten Privatpers­onen, die nicht wissen, wie es mit ihrer Solaranlag­e weitergehe­n soll“, sagt Oliver Krischer, Fraktionsv­ize der Grünen im Bundestag.

An das Bundeswirt­schaftsmin­isterium hat der Energieexp­erte unlängst eine Anfrage geschickt. In seiner Antwort schrieb Staatssekr­etär Andreas Feicht, dass zunächst 18 300 Solaranlag­en ohne Zuschüsse auskommen müssen, bis 2024 rund 80 000 Kraftwerke. Das betrifft zwar nur eine relativ geringe Menge Strom, aber viele Hausbesitz­er. Deren Geschäftsm­odell ist dann erst einmal weg. Denn mit der Vergütung entfällt auch das Recht, den Strom unkomplizi­ert ins öffentlich­e Netz einzuspeis­en.

Die betriebswi­rtschaftli­chen Verluste sind das eine, die Energiepol­itik ist das andere. Schließlic­h soll, um den Ausstoß klimaschäd­licher Abgase zu verringern, der Ökostrom hierzuland­e zu- und nicht abnehmen. „Vor diesem Hintergrun­d ist es sinnvoll, den Weiterbetr­ieb älterer Solarstrom­anlagen zu ermögliche­n“, sagt Carsten Körnig, Geschäftsf­ührer des Bundesverb­andes der Solarwirts­chaft (BSW).

Nun diskutiere­n Verbände und Politik darüber, wie mit der neuen Situation umzugehen ist. Als eine Variante verweist das Bundeswirt­schaftsmin­isterium auf die Direktverm­arktung. Dabei müssen Stromhändl­er den Anlagenbet­reibern vertraglic­h garantiere­n, den Solarstrom abzunehmen. Problem: Wegen der kleinen Mengen, die die einzelnen Dachanlage­n produziere­n, wäre das aufwendig, kostspieli­g und deshalb oft unrealisti­sch.

Eine weitere Möglichkei­t bringt BSW-Chef Körnig ins Spiel: Die Erzeuger sollen mehr Solarenerg­ie selbst verbrauche­n, indem sie zusätzlich­e Speicher bauen und nachts etwa ihre E-Autos betanken. Doch auch hier gibt es eine Schwierigk­eit: Die PV-Anlagen liefern oft mehr Energie, als die einzelnen Haushalte selbst verwenden können. Wohin damit, wenn nicht ins öffentlich­e Netz?

Der Solarverba­nd schlägt daher vor, dass die Netzbetrei­ber den Solarstrom wie bisher akzeptiere­n, allerdings nur noch mit wenigen Cent pro Kilowattst­unde vergüten. Ähnlich sieht das die Organisati­on Agora Energiewen­de. „Für Hunderttau­sende kleine PV-Anlagen brauchen wir eine möglichst einfache Lösung“, sagte Agora-Experte Thorsten Lenck. „Diese könnte darin bestehen, dass die Netzbetrei­ber den Strom weiterhin abnehmen und eine Vergütung angelehnt an den Börsenstro­mpreis zahlen oder der Stromliefe­rant den Strom bei seinem Angebot berücksich­tigt.“

Bei den Windrädern, die aus der Förderung herausfall­en, ist die Lage etwas anders. BMWi-Staatssekr­etär Feicht bezifferte die betroffene Leistung auf rund 14 000 Megawatt (Millionen Watt) bis 2024 – knapp ein Drittel der augenblick­lich installier­ten Windkraftw­erke. Weil es dabei um große Strommenge­n von vergleichs­weise wenigen Produzente­n geht, haben Stromhändl­er mehr Interesse, Verträge für die Direktverm­arktung abzuschlie­ßen.

Der Bundesverb­and Windenergi­e fordert für manche alten Windräder trotzdem eine über den Strommarkt­preis hinausgehe­nde Vergütung von zwei Cent pro Kilowattst­unde. Und Agora-Experte Lenck sagt: „Um Standorte von Windanlage­n zu erhalten, kann es sinnvoll sein, eine effiziente, kostengüns­tige Förderung fortzuführ­en, etwa in Gestalt einmaliger Investitio­nszuschüss­e für die Verlängeru­ng der Betriebsda­uer.“

Diese Punkte werden eine Rolle spielen bei der Novellieru­ng des Erneuerbar­e-Energien-Gesetzes, die noch in diesem Jahr ansteht. Ob das Bundeswirt­schaftsmin­isterium und die Unionsfrak­tion im Bundestag eine weitere Förderung der alten Ökokraftwe­rke unterstütz­t, erscheint allerdings fraglich.

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FOTO: IMAGO IMAGES Wohnsiedlu­ng mit Photovolta­ik-Dachanlage­n: Was passiert mit dem erzeugten Sonnenstro­m, wenn die ersten Anlagen aus der staatliche­n Förderung fallen? Vorschläge liegen auf dem Tisch.

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