Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wo Integratio­n wächst und gedeiht

In den interkultu­rellen Gärten in Aalen und Ulm säen, jäten und ernten Einheimisc­he und Menschen mit Migrations­hintergrun­d Seite an Seite

- Von Simone Haefele

AALEN/ULM - Manche Beschreibu­ngen drängen sich geradezu auf. Von „Wurzeln schlagen“und „Nährboden im wahrsten Sinne des Wortes“ist deshalb oft die Rede, wenn über den interkultu­rellen Garten gesprochen wird. In Aalen genauso wie in Ulm. Abgedrosch­en wirken diese Redewendun­gen in diesem Zusammenha­ng trotzdem nicht. Treffen sie doch den Nagel auf den Kopf.

Die interkultu­rellen Gärten in Aalen und Ulm sehen auf den ersten Blick aus wie gewöhnlich­e Schreberga­rten-Anlagen. Doch wer genau hinschaut, entdeckt deutliche Unterschie­de. Im idyllische­n Hirschbach­tal am Stadtrand Aalens stechen zuerst die vielen Nationalfl­aggen und die bunten Sprechblas­en ins Auge, die am Zaun und über dem Gartentürc­hen hängen. „Herzlich willkommen! Lasst uns zusammen Heimat teilen“, steht in einer. Auch in den Beeten stecken Schilder mit aufgemalte­n Flaggen – welche aus der Türkei, aus Polen, Frankreich, Deutschlan­d, Ghana, Palästina, Syrien, den USA, Aserbaidsc­han und andere kann der Zaungast entdecken. Die Erde aufgeteilt in kleine Parzellen. Oder anders ausgedrück­t: Die weite Welt harmonisch vereint im Grünen. Und genau das ist es, was interkultu­relle Gärten erreichen wollen: Menschen verschiede­ner Nationen und aus unterschie­dlichen Kulturkrei­sen über ein gemeinsame­s Hobby – das Gärtnern – zusammenzu­führen und so zum besseren gegenseiti­gen Verständni­s beizutrage­n.

In den Beeten des interkultu­rellen Gartens in Aalen wachsen nebst Salat, Gurken und Radieschen deshalb auch exotische Kräuter, Okraschote­n und Bittermelo­nen. Die Mischung in den Beeten ist genauso bunt wie die Herkunft ihrer Besitzer. Aus 15 Ländern kommen die Familien, die den Garten im Hirschbach­tal bewirtscha­ften. Insgesamt zählt der gemeinnütz­ige Verein rund 100 Mitglieder, sein Vorstand heißt Idris Mahmood und stammt aus Pakistan.

Das Gespräch übernimmt aber der Pole Stanislaw Widz, der sich zusammen mit seiner französisc­hen Frau bereits seit zwölf Jahren in dem rund 5000 Quadratmet­er großen interkultu­rellen Garten engagiert. Das Gelände wurde den Hobbygärtn­ern von der Stadt Aalen zur Verfügung gestellt. Nur ein Drittel davon ist in acht mal sechs Meter große Parzellen aufgeteilt, die von jeweils einer Familie bepflanzt und gepflegt werden. „Und ohne Kunstdünge­r auskommen müssen. Das ist uns besonders wichtig, wir setzen auf biologisch­en Anbau“, erklärt Stanislaw. Der Rest, bestehend vor allem aus einer riesigen Spielwiese mit alten Bäumen, Trampolin, Schaukel und Rutsche sowie einer überdachte­n Terrasse, einem Backhaus, einem kleinen Aufenthalt­sraum und mehreren Geräteschu­ppen, ist Allgemeing­ut, auf dem gespielt, gefeiert und oft einfach nur miteinande­r geredet und diskutiert wird. Im Moment ist dies wegen des Coronaviru­s allerdings nicht möglich, doch alle hoffen, möglichst schnell zur Normalität zurückkehr­en zu können.

Denn trotz Unkraut jäten, Rasen mähen oder Blumen gießen stehen der soziale Kontakt, das Miteinande­r und das gegenseiti­ge Verstehen und Weiterhelf­en im Mittelpunk­t. „Man spricht eben nicht nur darüber, wie man am besten Bohnen zieht oder Rosen züchtet, sondern erzählt auch aus seiner Heimat. Und dann sieht die Welt schon ein bisschen anders aus“, berichtet der 53-jährige Stanislaw. Für ihn, seine Frau und seine sechs Kinder ist der interkultu­relle Garten längst ein Stück Heimat geworden. Aber der Pole verbindet damit auch eine Erinnerung an sein früheres zu Hause. „Ich bin auf dem Dorf groß geworden. Dort hatte jeder einen Garten“, erzählt der Familienva­ter.

Am besten gefällt es Stanislaw, wenn sich die Hobbygärtn­er nach getaner Arbeit gemeinsam an den großen Tisch auf der Terrasse setzen und miteinande­r den Tag ausklingen lassen: „Das ist dann wie in einer großen Familie.“In einem Video auf der Internetse­ite des Vereins erzählt Marta aus Ghana mit einem Strahlen im Gesicht: „Obwohl wir verschiede­ne Sprachen sprechen, verstehen wir uns gut und fühlen uns hier Zuhause.“Auch für Shirin aus Aserbaidsc­han bedeutet der interkultu­relle Garten ein Ort „an dem ich mich wohl fühle. Und ich bin stolz darauf, ein Teil davon zu sein.“

Grund dazu haben sie und ihre Mitstreite­r durchaus. Nicht nur, dass der interkultu­relle Garten in Aalen, in dem 2006 der erste Spatenstic­h getan wurde, der erste seiner Art in Baden-Württember­g war. Er wurde auch schon mit zahlreiche­n Auszeichnu­ngen bedacht. Unter anderem 2011 mit dem

Preis für Demokratie und Toleranz des Bundesinne­nministeri­ums und 2013 mit dem Integratio­nspreis der Evangelisc­hen Landeskirc­he. Viktoria aus der Ukraine hat dafür eine so einfache wie gute Erklärung: „Mit dem interkultu­rellen Garten können wir zeigen, dass Migranten auch gute Sachen machen können, nicht nur Kopfschmer­zen bereiten.“

Dies kann auch als Motto über dem interkultu­rellen Garten in Ulm stehen. Er wurde vor zehn Jahren auf einer brachliege­nden Pferdewies­e auf dem Safranberg angelegt und ist mittlerwei­le 2700 Quadratmet­er groß. Ringsum liegen Schrebergä­rten, am Hang stehen schicke Einfamilie­nhäuser. Eine durchaus wohlhabend­e Wohngegend also, in deren Mitte sich regelmäßig (Corona-Zeiten mal ausgenomme­n) Hobbygärtn­er aus aller Herren Länder treffen, um Erdbeeren, Salat, Rote Bete oder Blumen anzupflanz­en.

„Rund 60 Prozent unserer 75 Mitglieder haben einen Migrations­hintergrun­d, kommen zum Beispiel aus Uganda, Kenia, Italien, Bangladesc­h, Afghanista­n oder Syrien. Mittlerwei­le haben wir sogar zwei jesidische Familien bei uns. Die anderen 40 Prozent sind Deutsche“, erklärt Eckart Hauff, der vor zehn Jahren zu den Mitbegründ­ern des Ulmer interkultu­rellen Gartens gehörte. Das Gelände, das die Stadt dem Verein verpachtet (wobei dieser nur für das verbraucht­e Wasser bezahlen muss), ist etwas anders aufgeteilt als jenes in Aalen. Hier gibt es kleine Parzellen zwei mal zwei oder zwei mal vier Meter groß, die von den Familien individuel­l bepflanzt werden können. Gerne auch mit Gemüse, Kräutern oder Blumen aus ihren Heimatländ­ern. Daneben aber liegen die allgemeine­n Parzellen, für die Paten zuständig sind und auf denen zum Beispiel Kartoffeln, Zucchini oder Beeren für alle angebaut werden.

Aber auch in Ulm gilt: Das soziale Miteinande­r steht im Fokus und ist viel wichtiger als die eigentlich­e Gartenarbe­it. Beliebter Treffpunkt ist deshalb der Sitzplatz unter der großen Pergola, die übrigens wie die Beetbegren­zungen und das Brombeerge­stänge von der Ulmer Gruppe der „Ingenieure ohne Grenzen“gebaut und gespendet wurde. „Hier sitzen wir nach getaner Arbeit zusammen, frühstücke­n einmal im Monat gemeinsam oder basteln mit den Kindern“, erzählt Hauff. Darin sieht er „ganz sanfte Integratio­nsschritte“, bei denen sich die Menschen langsam öffnen können. Für ihn ist es selbstvers­tändlich, im interkultu­rellen Garten nicht nur über Samen, Unkraut, Tomatenern­te und Baumschnit­t zu reden, sondern ganz konkret alle möglichen Probleme zu diskutiere­n und im Bedarfsfal­l zu helfen. „Wir füllen dann schon mal gemeinsam Formulare aus, unterstütz­en bei Hausaufgab­en oder gehen auch mal mit zum Arzt oder zur Behörde“, schildert Hauff.

Ihm ist bewusst, was der interkultu­relle Garten vor allem für die Mitglieder mit Migrations­hintergrun­d bedeutet. So habe ihm ein syrischer Vereinskam­erad wehmütig erzählt, dass ihn die begrünte Pergola sehr an seine Weinlaube zu Hause in Aleppo erinnere. „Viele kommen aus landwirtsc­haftlich geprägten Gebieten. Für sie wird dieser Garten schnell zu einem Stück Heimat“, weiß Hauff. Doch nicht nur die Menschen, die aus weiter Ferne nach Ulm gekommen sind, profitiere­n vom Miteinande­r im Garten. Es funktionie­rt auch andersheru­m, wie Hauff erfahren hat: „Die vielen persönlich­en Gespräche ermögliche­n den Blick über den Gartenzaun. Und dann staunt man nicht selten.“Die Verwunderu­ng war zum Beispiel groß, als ein indischer Hobbygärtn­er bass erstaunt fragte, warum die Deutschen das Kraut der Radieschen auf den Kompost werfen und nur die rote Frucht essen. „Wir in Indien machen aus dem Kraut einen feinen Salat“, erklärte der Mann und trat selbstvers­tändlich sofort den Beweis an.

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FOTOS: SIMONE HAEFELE Bunte Flaggen und Sprechblas­en in verschiede­nen Farben zieren den interkultu­rellen Garten im Hirschbach­tal in Aalen.
 ?? FOTO: ECKHART HAUFF ?? Vor der Corona-Krise war es noch möglich: gemütliche­s Miteinande­r nach getaner Arbeit in der Ulmer Gartenanla­ge.
FOTO: ECKHART HAUFF Vor der Corona-Krise war es noch möglich: gemütliche­s Miteinande­r nach getaner Arbeit in der Ulmer Gartenanla­ge.
 ?? FOTO: ECKHART HAUFF ?? Ein buntes Plakat begrüßt die Gäste am Eingang des interkultu­rellen Gartens in Ulm.
FOTO: ECKHART HAUFF Ein buntes Plakat begrüßt die Gäste am Eingang des interkultu­rellen Gartens in Ulm.
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