Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Wo Integration wächst und gedeiht
In den interkulturellen Gärten in Aalen und Ulm säen, jäten und ernten Einheimische und Menschen mit Migrationshintergrund Seite an Seite
AALEN/ULM - Manche Beschreibungen drängen sich geradezu auf. Von „Wurzeln schlagen“und „Nährboden im wahrsten Sinne des Wortes“ist deshalb oft die Rede, wenn über den interkulturellen Garten gesprochen wird. In Aalen genauso wie in Ulm. Abgedroschen wirken diese Redewendungen in diesem Zusammenhang trotzdem nicht. Treffen sie doch den Nagel auf den Kopf.
Die interkulturellen Gärten in Aalen und Ulm sehen auf den ersten Blick aus wie gewöhnliche Schrebergarten-Anlagen. Doch wer genau hinschaut, entdeckt deutliche Unterschiede. Im idyllischen Hirschbachtal am Stadtrand Aalens stechen zuerst die vielen Nationalflaggen und die bunten Sprechblasen ins Auge, die am Zaun und über dem Gartentürchen hängen. „Herzlich willkommen! Lasst uns zusammen Heimat teilen“, steht in einer. Auch in den Beeten stecken Schilder mit aufgemalten Flaggen – welche aus der Türkei, aus Polen, Frankreich, Deutschland, Ghana, Palästina, Syrien, den USA, Aserbaidschan und andere kann der Zaungast entdecken. Die Erde aufgeteilt in kleine Parzellen. Oder anders ausgedrückt: Die weite Welt harmonisch vereint im Grünen. Und genau das ist es, was interkulturelle Gärten erreichen wollen: Menschen verschiedener Nationen und aus unterschiedlichen Kulturkreisen über ein gemeinsames Hobby – das Gärtnern – zusammenzuführen und so zum besseren gegenseitigen Verständnis beizutragen.
In den Beeten des interkulturellen Gartens in Aalen wachsen nebst Salat, Gurken und Radieschen deshalb auch exotische Kräuter, Okraschoten und Bittermelonen. Die Mischung in den Beeten ist genauso bunt wie die Herkunft ihrer Besitzer. Aus 15 Ländern kommen die Familien, die den Garten im Hirschbachtal bewirtschaften. Insgesamt zählt der gemeinnützige Verein rund 100 Mitglieder, sein Vorstand heißt Idris Mahmood und stammt aus Pakistan.
Das Gespräch übernimmt aber der Pole Stanislaw Widz, der sich zusammen mit seiner französischen Frau bereits seit zwölf Jahren in dem rund 5000 Quadratmeter großen interkulturellen Garten engagiert. Das Gelände wurde den Hobbygärtnern von der Stadt Aalen zur Verfügung gestellt. Nur ein Drittel davon ist in acht mal sechs Meter große Parzellen aufgeteilt, die von jeweils einer Familie bepflanzt und gepflegt werden. „Und ohne Kunstdünger auskommen müssen. Das ist uns besonders wichtig, wir setzen auf biologischen Anbau“, erklärt Stanislaw. Der Rest, bestehend vor allem aus einer riesigen Spielwiese mit alten Bäumen, Trampolin, Schaukel und Rutsche sowie einer überdachten Terrasse, einem Backhaus, einem kleinen Aufenthaltsraum und mehreren Geräteschuppen, ist Allgemeingut, auf dem gespielt, gefeiert und oft einfach nur miteinander geredet und diskutiert wird. Im Moment ist dies wegen des Coronavirus allerdings nicht möglich, doch alle hoffen, möglichst schnell zur Normalität zurückkehren zu können.
Denn trotz Unkraut jäten, Rasen mähen oder Blumen gießen stehen der soziale Kontakt, das Miteinander und das gegenseitige Verstehen und Weiterhelfen im Mittelpunkt. „Man spricht eben nicht nur darüber, wie man am besten Bohnen zieht oder Rosen züchtet, sondern erzählt auch aus seiner Heimat. Und dann sieht die Welt schon ein bisschen anders aus“, berichtet der 53-jährige Stanislaw. Für ihn, seine Frau und seine sechs Kinder ist der interkulturelle Garten längst ein Stück Heimat geworden. Aber der Pole verbindet damit auch eine Erinnerung an sein früheres zu Hause. „Ich bin auf dem Dorf groß geworden. Dort hatte jeder einen Garten“, erzählt der Familienvater.
Am besten gefällt es Stanislaw, wenn sich die Hobbygärtner nach getaner Arbeit gemeinsam an den großen Tisch auf der Terrasse setzen und miteinander den Tag ausklingen lassen: „Das ist dann wie in einer großen Familie.“In einem Video auf der Internetseite des Vereins erzählt Marta aus Ghana mit einem Strahlen im Gesicht: „Obwohl wir verschiedene Sprachen sprechen, verstehen wir uns gut und fühlen uns hier Zuhause.“Auch für Shirin aus Aserbaidschan bedeutet der interkulturelle Garten ein Ort „an dem ich mich wohl fühle. Und ich bin stolz darauf, ein Teil davon zu sein.“
Grund dazu haben sie und ihre Mitstreiter durchaus. Nicht nur, dass der interkulturelle Garten in Aalen, in dem 2006 der erste Spatenstich getan wurde, der erste seiner Art in Baden-Württemberg war. Er wurde auch schon mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht. Unter anderem 2011 mit dem
Preis für Demokratie und Toleranz des Bundesinnenministeriums und 2013 mit dem Integrationspreis der Evangelischen Landeskirche. Viktoria aus der Ukraine hat dafür eine so einfache wie gute Erklärung: „Mit dem interkulturellen Garten können wir zeigen, dass Migranten auch gute Sachen machen können, nicht nur Kopfschmerzen bereiten.“
Dies kann auch als Motto über dem interkulturellen Garten in Ulm stehen. Er wurde vor zehn Jahren auf einer brachliegenden Pferdewiese auf dem Safranberg angelegt und ist mittlerweile 2700 Quadratmeter groß. Ringsum liegen Schrebergärten, am Hang stehen schicke Einfamilienhäuser. Eine durchaus wohlhabende Wohngegend also, in deren Mitte sich regelmäßig (Corona-Zeiten mal ausgenommen) Hobbygärtner aus aller Herren Länder treffen, um Erdbeeren, Salat, Rote Bete oder Blumen anzupflanzen.
„Rund 60 Prozent unserer 75 Mitglieder haben einen Migrationshintergrund, kommen zum Beispiel aus Uganda, Kenia, Italien, Bangladesch, Afghanistan oder Syrien. Mittlerweile haben wir sogar zwei jesidische Familien bei uns. Die anderen 40 Prozent sind Deutsche“, erklärt Eckart Hauff, der vor zehn Jahren zu den Mitbegründern des Ulmer interkulturellen Gartens gehörte. Das Gelände, das die Stadt dem Verein verpachtet (wobei dieser nur für das verbrauchte Wasser bezahlen muss), ist etwas anders aufgeteilt als jenes in Aalen. Hier gibt es kleine Parzellen zwei mal zwei oder zwei mal vier Meter groß, die von den Familien individuell bepflanzt werden können. Gerne auch mit Gemüse, Kräutern oder Blumen aus ihren Heimatländern. Daneben aber liegen die allgemeinen Parzellen, für die Paten zuständig sind und auf denen zum Beispiel Kartoffeln, Zucchini oder Beeren für alle angebaut werden.
Aber auch in Ulm gilt: Das soziale Miteinander steht im Fokus und ist viel wichtiger als die eigentliche Gartenarbeit. Beliebter Treffpunkt ist deshalb der Sitzplatz unter der großen Pergola, die übrigens wie die Beetbegrenzungen und das Brombeergestänge von der Ulmer Gruppe der „Ingenieure ohne Grenzen“gebaut und gespendet wurde. „Hier sitzen wir nach getaner Arbeit zusammen, frühstücken einmal im Monat gemeinsam oder basteln mit den Kindern“, erzählt Hauff. Darin sieht er „ganz sanfte Integrationsschritte“, bei denen sich die Menschen langsam öffnen können. Für ihn ist es selbstverständlich, im interkulturellen Garten nicht nur über Samen, Unkraut, Tomatenernte und Baumschnitt zu reden, sondern ganz konkret alle möglichen Probleme zu diskutieren und im Bedarfsfall zu helfen. „Wir füllen dann schon mal gemeinsam Formulare aus, unterstützen bei Hausaufgaben oder gehen auch mal mit zum Arzt oder zur Behörde“, schildert Hauff.
Ihm ist bewusst, was der interkulturelle Garten vor allem für die Mitglieder mit Migrationshintergrund bedeutet. So habe ihm ein syrischer Vereinskamerad wehmütig erzählt, dass ihn die begrünte Pergola sehr an seine Weinlaube zu Hause in Aleppo erinnere. „Viele kommen aus landwirtschaftlich geprägten Gebieten. Für sie wird dieser Garten schnell zu einem Stück Heimat“, weiß Hauff. Doch nicht nur die Menschen, die aus weiter Ferne nach Ulm gekommen sind, profitieren vom Miteinander im Garten. Es funktioniert auch andersherum, wie Hauff erfahren hat: „Die vielen persönlichen Gespräche ermöglichen den Blick über den Gartenzaun. Und dann staunt man nicht selten.“Die Verwunderung war zum Beispiel groß, als ein indischer Hobbygärtner bass erstaunt fragte, warum die Deutschen das Kraut der Radieschen auf den Kompost werfen und nur die rote Frucht essen. „Wir in Indien machen aus dem Kraut einen feinen Salat“, erklärte der Mann und trat selbstverständlich sofort den Beweis an.