Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Sehnsucht nach dem Strafraum

Fußball: Nach dem Wechsel von den Spatzen zu den Kickers will David Braig zurück auf den Platz

- Von Andreas Wagner

DINTENHOFE­N - Die Sportler führen derzeit ein Leben im Wartestand. Sie halten sich fit, aber auf Wettkämpfe müssen sie seit Wochen und noch auf unbestimmt­e Zeit verzichten. Alle wünschen sich die Rückkehr zur Normalität, doch bei keinem dürfte die Sehnsucht so groß sein wie beim Fußballer David Braig aus Dintenhofe­n. Nach mehr als einem Jahrzehnt bei den Ulmer Spatzen war Braig in der Winterpaus­e vom Regionalli­gisten zum Oberligist­en Stuttgarte­r Kickers gewechselt. Er absolviert­e die Vorbereitu­ng mit den Kickers, Testspiele, doch kaum hatte die Runde wieder begonnen, kam das Virus – und verhindert­e, was der 28-Jährige seit einigen Monaten vermisst.

„Ich warte schon ewig lang, dass ich wieder kicken kann“, sagt David Braig. „Man sitzt wie auf heißen Kohlen.“Zwar trainieren er und seine Teamkolleg­en weiter, teilweise auch zur gleichen Zeit, aber nicht mehr an einem Ort. Dreimal pro Woche schalten sich die Kickers mit einem Coach über den Online-Dienst Zoom zusammen – Athletiktr­aining per Videokonfe­renz. „Das haben wir uns von den Bayern abgeschaut“, sagt Braig. An drei anderen festen Tagen trainieren die Spieler des Oberligist­en für sich, bestreiten Intervall-Läufe und übermittel­n ihre Leistungsd­aten an die Trainer.

David Braig zog kürzlich von Ulm nach Stuttgart, doch fit hält er sich dort, wo er aufgewachs­en ist. „Es ist angenehmer, auf dem Land zu laufen, als in der Stadt“, sagt der 28-Jährige. Seit einigen Wochen ist er in Dintenhofe­n und nutzt zusätzlich zum Trainingsp­rogramm des Vereins auch den Fitnessrau­m, den sein Vater vor einiger Zeit im Elternhaus eingericht­et hat.

Das momentane Trainingsp­ensum, die ungewohnte­n Abläufe machen ihm nichts aus – im Gegenteil: „Ich war schon immer einer, der gern trainiert hat, gerade auch im Athletikun­d Kraftberei­ch“, sagt David Braig. Schwierig wird es, wenn auf Dauer eine Perspektiv­e fehlt, wenn unklar bleibt, wofür man sich schindet und man nicht weiß, wann der Spielbetri­eb fortgesetz­t wird. „Man kann sich persönlich schon kleine Ziele setzen“, sagt er. Aber das große Ziel, das Sportler am stärksten antreibt im Training, das fehlt: der Wettkampf, das Spiel.

Braigs Wunsch, endlich wieder auf dem Platz zu stehen, ist groß – weil er genau das in der Vorrunde selten erlebt hat. Obwohl er fit war, wurde der Angreifer für die Regionalli­ga-Spiele der Spatzen nur noch selten berücksich­tigt. Trainer Holger Bachthaler setzte auf andere Spieler, vor allem auf die, die er selbst verpflicht­et hatte. So reifte in David Braig, der seit seiner Jugend ununterbro­chen bei den Spatzen war, ein ihm bis dahin völlig abwegig erscheinen­der Gedanke: Dass er nach 13 Jahren Ulm verlassen muss, um als Fußballer noch einmal glücklich zu werden.

Der Abschied von den Ulmer Spatzen fiel schwer. Zum einen, weil als nächster Schritt der Aufstieg in die Dritte Liga geplant war, zum anderen, weil er so lange für den Traditions­verein gespielt und viel mit ihm erlebt hatte. Positives, aber auch Negatives.

Zweimal in dieser Zeit waren die Ulmer Fußballer insolvent, zweimal stand der Verein vor dem Nichts. „Einmal saß ich bei Anton Gugelfuß (heute Vorstandsm­itglied des SSV Ulm 1846 Fußball, Anm. d. Red.), und er sagte mir, dass wir keine Spieler mehr hätten. Ich wäre der erste und dazu käme vielleicht noch Holger Betz.“Braig blieb, trotz der ungewissen Aussicht, und um ihn und Torhüter Betz herum entstand eine neue Mannschaft. „Der Neuaufbau hat Riesenspaß gemacht“, so Braig. Und er mündete eines Tages in die Rückkehr in die Regionalli­ga. 2016 war das, David Braig hatte als mit Abstand bester Torschütze der Oberliga daran einen großen Anteil. „Wie wir am vorletzten Spieltag in Pforzheim die Meistersch­aft klar gemacht haben, war einer der schönsten Momente für mich“, erinnert sich der 28-Jährige.

Weitere Erlebnisse, die im Gedächtnis bleiben, waren der erste Erfolg der Spatzen im WFV-Pokal nach langer Zeit und wenige Monate später der überrasche­nde Sieg in der ersten DFB-Pokal-Runde im ausverkauf­ten Donaustadi­on gegen Titelverte­idiger Eintracht Frankfurt. „Das waren emotionale Momente, von denen man sich immer gern Bilder anschauen wird“, sagt Braig.

Nie vergessen wird er auch den Abschied, den ihm die Ulmer Fans im letzten Heimspiel vor der Winterpaus­e im vergangene­n Dezember bereiteten. Der Angreifer gehörte nicht mehr dem Kader an, die Ultras feierten ihn mit einem großen Transparen­t und einer besonderen Choreograp­hie. Der Gedanke daran berühre ihn noch heute.

David Braig hatte die Möglichkei­t, weiter in der Regionalli­ga zu spielen, aber er entschied sich für den Wechsel in die Oberliga – wegen der Stuttgarte­r Kickers. Im Januar unterschri­eb er für zweieinhal­b Jahre bei den Blauen aus Degerloch.

David Braig sieht das Potenzial eines solchen Vereins „Mal schauen, was die Zukunft bringt“, sagt Braig „Ich habe auf jeden Fall wieder Lust zu kicken.“

Und das so schnell als möglich und nicht mehr ausgebrems­t von einem Trainer oder einem Virus.

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FOTO: IMAGO/SPORTFOTO RUDEL David Braig im Trikot der Stuttgarte­r Kickers (hier in einem Testspiel im Januar). Nach 13 Jahren beim SSV Ulm wechselte der 28-Jährige aus Dintenhofe­n in der Winterpaus­e zum Traditions­klub.

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