Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Wider den schönen Schein
Die Corona-Krise wird unsere Gesellschaft verändern – Auch Körperkult und Ichbezogenheit stehen vor einer Zäsur, meinen Experten
Dort, wo Kopf und Körper sonst zur Baustelle werden, herrscht ungewohnte Ruhe. Auch die Bodenseeklinik in Lindau, malerisch in Ufernähe gelegen, wurde von der Entschleunigung im Zuge der Pandemie erfasst. Keine Prominenten, die vor Deutschlands größter Klinik für Schönheitschirurgie ihren Limousinen entsteigen, um per Skalpell Fett und Falten verbannen zu lassen. Keine „Normalbürger“, die auf die Insel Lindau pilgern, um danach endlich aus der Masse der Menschen hervorzustechen, und sei es nur durch eine hübsche Nase. Die Selbstoptimierung macht Pause.
Nicht ganz freiwillig, wie Professor Werner Mang am Telefon erläutert: „Alle planbaren Operationen sind derzeit untersagt“, erklärt der Chef der Bodenseeklinik, womit ästhetische Eingriffe an sogenannten Problemzonen wie Bauch, Beine oder Po aktuell tabu sind. Stattdessen hält die Klinik seit Ende März 24 Betten für Nicht-Corona-Patienten frei, falls andere Krankenhäuser überlastet würden. „In diesen Tagen müssen wir alle zusammenhalten“, sagt Mang, der die Maßnahmen für richtig hält und nicht nur das: „Ich freue mich“, sagt der 70Jährige. „Gesundheit kommt jetzt vor Schönheit. Und vielleicht kommen nun manche auch wieder zur Besinnung.“
Doch wo Besinnung eintreten soll, muss vorher Besinnungslosigkeit herrschen. Und die ist in der Gesellschaft allenthalben zu beobachten: Die Menschen geben sich Körperkult und Schönheitswahn hin, und das nicht erst seit gestern. Sie piercen, tätowieren und trainieren ihre Bodys, sie rennen in Fitnessund Schönheitsstudios, machen Diäten, schlucken Pillen – und lassen sich das lähmende Nervengift Botox spritzen, um Sorgenfalten und Krähenfüße wegzuglätten. Der nächste Schritt ist nur ein kleiner, er führt in den OP-Saal.
Werner Mang, von den Medien gerne tituliert als der „NasenPapst“, als der „Karl Lagerfeld der plastischen Chirurgie“oder der „Falten-Terminator“, er kann berichten über Frauen, die sich Megabrüste wünschen, über Ganzkörper-Rundumerneuerungen, die dazu dienen sollen, eine Ehe zu retten. „In unserem Beruf muss man fast ein guter Psychologe sein“, beklagt Mang.
Der plastische Chirurg als Seelenklempner, als Ersatz zu Psychotherapie und geistiger Heilung, das beobachtet auch Mangs österreichischer Kollege Artur Worseg, der über sein Berufsleben ein Buch geschrieben hat („Deine Nase kann nichts dafür. Wie wir uns vor dem Schönheitswahn retten“). Dem Magazin „Stern“sagte er: „Es kommen Leute, die wären früher zum Friseur gegangen, um sich zu verändern. Heute wollen sie operiert werden.“Schönheitschirurgen hätten dabei ständig mit psychologischen Überlagerungen zu tun. Worseg erzählt von Männern wie von Frauen, die ihn aus Angst vor Einsamkeit aufsuchen, die fürchten, im Alter keine Blicke mehr auf sich zu ziehen oder auf der Arbeit nicht mehr gefragt zu sein. „Dann wollen sie durch eine Operation erreichen, dass die Krise sofort verschwindet. Das geht natürlich nicht“, sagt Worseg, der davon ausgeht, dass mindestens 50 Prozent der Leute, die zu einem Schönheitschirurgen kommen, „etwas erwarten, das nicht erfüllt werden kann. So einfach ist das.“Oder auch so schwer.
Nicht zuletzt für junge Menschen, die inzwischen in Scharen bei der Schönheit nachhelfen wollen. „Jedes dritte 14-jährige Mädchen ist mit seinem Aussehen unzufrieden“, sagt Mang. Schuld daran sei der „ganze Instagramund Follower-Wahn, das ist völlig verrückt“. Verrückt, weil bisweilen Jugendliche erst ein Foto von sich mit Filtern bearbeiten, es auf Instagram posten, um dann das geschönte Abbild ihrer selbst dem plastischen Chirurgen zu zeigen, der sie nach diesem Vorbild operieren soll. „,Macht lieber Sport, macht Schule’, sage ich den 14oder 15-Jährigen, wenn sie zu mir kommen“, berichtet Mang. Manchmal hören sie sogar auf ihn.
Um diesen Wahn bei Jung wie auch bei Alt weiß Ada Borkenhagen, die Psychologin forscht an der Universität Magdeburg zu medizinischen Schönheitseingriffen. „Heute definieren wir uns sehr viel mehr über das Äußere und drücken damit unsere Identität aus“, sagt sie der „Schwäbischen Zeitung“. War früher die Rolle als Arbeiter, Angestellter oder Hausfrau für den eigenen Wert entscheidend, werde heute über das Aussehen die Fitness und die Leistungsfähigkeit
im Beruf signalisiert, genauso wie die Attraktivität bei der Partnersuche und die Stellung in der Gesellschaft. „Das Paradigma zur Selbstoptimierung ist zum Sozialcharakter unserer Kultur geworden.“
Dieser Körperkult dient inzwischen schon als Ersatzreligion, meint der Soziologe Robert Gugutzer: „Wir leben in einer ,Erlebnisgesellschaft’, in der Ethik zunehmend durch Ästhetik ersetzt wird“, analysiert er für die Bundeszentrale für politische Bildung. „Der Sinn des Lebens liegt heutzutage für immer mehr Menschen im Streben nach einem guten Leben, und dass der Körper hierbei eine zentrale Rolle spielt, ist naheliegend. Das Schöne tritt an die
Stelle des Guten.“So war es bisher. Und nun wird sich alles, oder zumindest manches, ändern?
Immerhin, ein Teil der Branche, verunsichert durch Pandemie und Krise, in Selbstverständnis und Verhaltenskodex infrage gestellt, gibt sich nachdenklich. So meint die Influencerin Ann-Kathrin Hitzler, die wegen ihres schwachen Immunsystems zu den Risikopatienten zählt: „Die Beautywelt wird sich verändern, weil wir merken, auf welche Werte es jetzt wirklich ankommt.“Es sei gefährlich, wenn sich junge Mädchen mit Beautybloggerinnen vergleichen und deren Körper als Standard sehen. Ähnlich äußert sich die Pharmazeutin Cordula Niedermaier-May: „Die Beautybranche hatte ihre erfolgreiche Zeit, aber jetzt sorgen sich die Menschen um viel wichtigere Dinge. Die Wirtschaft geht den Bach runter, viele haben Angst vor dem Virus und der Zukunft, plötzlich ist die Gesundheit wieder in den Fokus gerückt.“Eine Entwicklung, die vor niemandem halt mache, meint Werner Mang: „Die Bussi-BussiGesellschaft wird es in dieser Form nicht mehr geben.“Der respektvolle Umgang sei jetzt gefragt, die Balance zwischen inneren und äußeren Werten.
Nicht weniger als einen Paradigmenwechsel sieht auch der Zukunftsforscher
Horst Opaschowski. „Die Corona-Krise verändert uns und die Gesellschaft grundlegend“, sagt er im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Die Menschen würden sich zu einer neuen Gemeinschaft auf Gegenseitigkeit entwickeln, weil sie mehr denn je aufeinander angewiesen seien. „Egoisten haben keine Zukunft mehr“, ist der Zukunftsforscher überzeugt. „Die Ära der Ichlinge geht zu Ende.“Und damit auch die Zeit von Selbstbespiegelung und Selbstdarstellung?
Die Psychologin Ada Borkenhagen mag daran nur zum Teil glauben: „Corona wird vieles verändern, jedoch nicht unseren Drang zu Schönheit und Attraktivität.“Eine Verschiebung der Verhältnisse hält die Wissenschaftlerin aber für möglich: „Wir sind ein besonderes Volk, wenn es um Schönheitsoperationen geht.“Natürlichkeit sei hierzulande das höchste Schönheitsideal, zudem geben die Deutschen, etwa im Vergleich zu Südeuropäern, weniger Geld für die körperliche Ästhetik aus. „Daher kann die wirtschaftliche Krise durchaus zu einem Einbruch bei Schönheitsoperationen führen.“
Eine Bereinigung seiner Branche prophezeit auch Werner Mang, er rechnet damit, dass manche Schönheitspraxis die Krise nicht überlebt. Die Bodenseeklinik sieht er dagegen gut aufgestellt. „50 Prozent der Operationen bei uns sind ohnehin medizinisch indiziert“, darunter Eingriffe im Brustbereich nach Krebs, Bauchdecken wegen Übergewicht oder Nasenrekonstruktionen bei einem Tumor. „Und vielleicht wird sich jetzt auch der Schönheitswahn etwas hinten anstellen.“
Man wird sehen. Schon ab Mitte Mai darf in Bayern wieder planbar operiert werden, dann kann es für Männer wie für Frauen erneut um Bauch, Beine oder Po gehen, um Fett, Falten und Facelifting. Dann wird sich zeigen, ob das Gute tatsächlich ein Stück weit an die Stelle des Schönen tritt. Oder ob alles einmal mehr nur ein schöner Schein bleibt.
„Die Bussi-BussiGesellschaft wird es in dieser Form nicht mehr geben.“
Schönheitschirurg Werner Mang
„Egoisten haben keine Zukunft mehr. Die Ära der Ichlinge geht zu Ende.“
Zukunftsforscher Horst Opaschowski