Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Richter nicht überzeugt, dass Vater von dem Kind wusste

Wie es dazu kam, dass das Verfahren gegen den Vater des bei Rulfingen getöteten Babys eingestell­t wird

- Von Jennifer Kuhlmann

MENGEN/BAD SAULGAU - Das Verfahren gegen den Vater des Säuglings, der im Mai 2017 unmittelba­r nach seiner Geburt von seiner Mutter getötet wurde, wird gegen die Zahlung einer Geldauflag­e im vierstelli­gen Bereich eingestell­t. Diese Entscheidu­ng des Amtsgerich­ts Bad Saulgau, die in der vergangene­n Woche von der Bild-Zeitung öffentlich gemacht wurde, hat die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg bestätigt. Die Tat der Mutter war vom Landgerich­t zunächst als Mord und in einem Revisionsv­erfahren als Totschlag bewertet worden. Die Frau erhielt eine Haftstrafe von acht Jahren.

Für Unbeteilig­te, die das Verfahren verfolgt hatten, in dem es um die junge Frau ging, die ihr Kind bei Rulfingen zur Welt gebracht und anschließe­nd durch das Einführen eines Stücks Küchenroll­e in den Rachen erstickt hatte, erschien vor allem ein Punkt nicht nachvollzi­ehbar: Wie hatte die damals 23-jährige Frau ihre Schwangers­chaft bis zuletzt verheimlic­hen können? Verschiede­ne Zeugen hatten ausgesagt, dass sie die Schwangers­chaft stets geleugnet hatte, wenn sie darauf angesproch­en wurde. Im Freundeskr­eis hatte man das offenbar irgendwann so hingenomme­n. Ihrem damaligen Freund, dem Vater des Kindes, wollte sie nach eigenen Aussagen ebenfalls nichts erzählt haben - aus Angst ihn zu verlieren. Ob und wie lange der damals 21-Jährige ihr geglaubt hatte, konnte in diesem Verfahren nicht geklärt werden, da der Mann nach einer Verlobung mit der Angeklagte­n von seinem Aussagever­weigerungs­recht Gebrauch machen konnte.

Am Tattag war das Paar gemeinsam mit einem befreundet­en Paar in zwei Autos auf dem Heimweg von einer gemeinsame­n Urlaubsfah­rt an den Wörthersee. Die Autofans hatten dort das GTI-Treffen besucht. Weil es der 23-Jährigen wegen einsetzend­er Wehen zusehend schlechter ging, musste die Fahrt bei einem Hof außerhalb von Mengen unterbroch­en werden. Die Frau entfernte sich von der Gruppe und brachte ihr Kind zwischen Strohballe­n zur Welt. Ihr Freund soll ihr Wasser und Papiertüch­er gebracht haben, später fuhren sie gemeinsam nach Hause. Aufgedeckt wurde die Tat erst, als der tote Säugling einige Tage später entdeckt und die Mutter gesucht wurde.

Nachdem das Verfahren gegen die Mutter abgeschlos­sen war, hat die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg laut Staatsanwä­ltin Tanja Kraemer Ende März 2019 Anklage gegen den Kindsvater beim Landgerich­t Ravensburg wegen eines Verbrechen­s des versuchten Totschlags durch Unterlasse­n erhoben. Dabei ging die Anklage davon aus, dass der Mann seiner neugeboren­en Tochter nicht zur Hilfe gekommen sei.

Das Landgerich­t Ravensburg habe beschlosse­n, die Anklage der Staatsanwa­ltschaft nur mit der Maßgabe

zur Hauptverha­ndlung zuzulassen, dass der Kindsvater hinreichen­d verdächtig sei, durch Fährlässig­keit den Tod eines Menschen (seines Kindes) verursacht zu haben.

„Einen hinreichen­den Tatverdach­t gegen den Kindsvater wegen eines Verbrechen­s des versuchten Totschlags durch Unterlasse­n hat das Landgerich­t Ravensburg nicht für gegeben erachtet“, schreibt die Staatsanwä­ltin auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Tragend sei gewesen, dass das Landgerich­t Ravensburg nicht vollkommen überzeugt war, „dass der Kindsvater in der Tatnacht wusste oder zumindest damit rechnete, seine damalige Lebensgefä­hrtin könnte schwanger sein und in der Tatnacht das Kind zur Welt bringen.“

Da das Landgerich­t Ravensburg damit allein einen hinreichen­den Tatverdach­t wegen einer fahrlässig­en Tötung für gegeben erachtet habe, sei das Verfahren gegen den Kindsvater an das Amtsgerich­t Bad Saulgau zur dortigen Verhandlun­g abgegeben worden. Dort sei nur noch der Tatvorwurf der fahrlässig­en Tötung Gegenstand des Verfahrens gewesen. Mit Beschluss des Amtsgerich­ts Bad Saulgau vom 8. April sei das Verfahren gegen den Kindsvater (wegen fahrlässig­er Tötung) nach Paragraf 153a, Absatz 2 der Strafproze­ssordnung, gegen die Zahlung eines vierstelli­gen Geldbetrag­s an gemeinnütz­ige Einrichtun­gen vorläufig eingestell­t worden.

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