Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ein Grund zum Streiten – oder nicht?

SZ-Redakteuri­n diskutiert bei „Deutschlan­d spricht“über die Corona-Pandemie.

- Von Mareike Keiper

SIGMARINGE­N - Sich mit einem völlig Fremden treffen und mit ihm ein hochbrisan­tes, politische­s Thema diskutiere­n – darum geht es bei der Aktion „Deutschlan­d spricht“, die die überregion­ale Wochenzeit­ung „Die Zeit“in diesem Jahr unter anderem mit der „Schwäbisch­en Zeitung“veranstalt­et. Ziel ist es, die Debattenku­ltur zu verbessern, das Thema ist jedes Mal ein anderes. Dieses Mal geht es um die Folgen der CoronaKris­e. Auch ich habe mitgemacht und mich auf dieses Experiment eingelasse­n; aufgrund der Krise im Videochat. Ergebnis: Das Thema ist gar nicht so kontrovers wie erwartet.

Mein Gegenüber hatte ich wenige Tage zuvor schon per E-Mail kennengele­rnt, nachdem der Algorithmu­s Menschen herausgefi­ltert hatte, die eine zu ähnliche Meinung zur Pandemie haben wie ich. Herausgeko­mmen ist Fabian Lehnhoff aus Ammerbuch-Altingen bei Tübingen. Er arbeitet als angestellt­er Nachhilfel­ehrer, kommt ursprüngli­ch aus Nordrhein-Westfalen und ist 33 Jahre alt. Das erfahre ich vorab. Doch obwohl wir uns auf diese Art ein wenig beschnuppe­rn können, sitzt mir am Sonntag ein Mensch gegenüber, den ich nicht kenne und der offenbar in vielen Punkten anders denkt als ich. Doch ich werde mich täuschen.

Die ersten Minuten fühlen sich merkwürdig an. „Wie geht’s dir?“, frage ich unbeholfen. Es folgt ein wenig Smalltalk, bevor wir uns darauf einigen wollen, wie wir uns die Aktion vorgestell­t haben. Einen Leitfaden gibt es bei „Deutschlan­d spricht“nämlich nicht. Nur die Rahmenbedi­ngungen werden gesetzt. So teilt man bei der Anmeldung mit, ob man bestimmte Punkte befürworte­t oder ablehnt. Zum Beispiel kommt die Frage, ob die Bundesregi­erung richtig auf die Pandemie reagiert hat.

Sollten jüngere und ältere Menschen andere Einschränk­ungen verordnet bekommen? Sollte Onlineunte­rricht zum festen Bestandtei­l im Lehrplan werden? Ja oder nein? In all diesen Punkten haben Lehnhoff und ich einen anderen Standpunkt.

Doch obwohl wir uns fremd sind, können wir uns schnell auf Gemeinsamk­eiten einigen, denn wir stellen beide schon in den ersten zehn Minuten

fest, dass die Corona-Krise keine schwarz-weiße Denkweise ermöglicht, zumindest für uns nicht. Deshalb kommen wir bald zu den eigentlich­en Fragen, bei denen wir gegensätzl­ich geantworte­t haben. Dazu zählt auch die Frage, ob die Bundesregi­erung bei Ausbruch der Pandemie in Deutschlan­d richtig gehandelt hat. „In dem Fall würde ich Ja sagen, ausnahmswe­ise“, sagt Lehnhoff.

Er hat allerdings die Sorge, dass viele der verordnete­n Maßnahmen dauerhaft erhalten bleiben. Als Beispiel dafür nimmt er den Anschlag auf das World Trade Center 2001. „Seitdem ist nichts an Sicherheit­smaßnahmen zurückgeno­mmen worden, wie beispielsw­eise am Flughafen“, sagt er. Es lasse sich darüber diskutiere­n, ob das heute noch so notwendig ist. Allerdings hält er die aktuellen Maßnahmen wegen der Verfolgung der Infektions­ketten trotzdem für wichtig. Dem stimme ich zu.

So geht es uns bei vielem. Wir haben eine andere Sichtweise auf die Themen, finden aber dennoch im Verlauf der Diskussion eine gemeinsame Linie. Was nämlich in die Aktion hineinspie­lt: Durch die Begegnung mit einem Fremden diskutiere­n wir mit Samthandsc­huhen. Oft erklären wir uns ausgiebig, lassen emotionale Aspekte weg und geben uns Mühe, den Standpunkt des anderen nachzuvoll­ziehen.

Einzig beim Thema Bildung gelingt uns das nicht. Lehnhoff, der als Nachhilfel­ehrer mehr Berührungs­punkte damit hat als ich, spricht sich dafür aus, Onlineunte­rricht und Digitalisi­erung mehr in den Lehrplan aufzunehme­n, während ich das eher ablehne, zumindest tendenziel­l. Zu groß sind für mich das Lerngefäll­e und die Gefahren durch mangelnden sozialen Kontakt. Lehnhoffs These wiederum: Die Schulen hätten besser vorbereite­t sein können; hätte es mehr Digitalisi­erung im Unterricht gegeben, hätte es die Schulen jetzt nicht so hart getroffen. Hier driften unsere Meinungen sehr auseinande­r.

Doch trotz allem stellen wir immer wieder fest, dass der Konsens groß ist und das Thema nicht kontrovers genug, um wirklich aneinander­zugeraten – zumindest nicht in unserer Konstellat­ion. Zu viele Punkte in Sachen Coronaviru­s sind noch unklar. Deshalb kommen wir auch schon nach etwas mehr als einer Stunde zu einem gemeinsame­n Fazit: Wir wissen nicht, was noch kommt und müssen abwarten – es hängt an den Menschen, wie es mit der Pandemie weitergeht.

„Haben wir die Diskussion etwa gerade beendet?“, frage ich verblüfft. „Ja“, sagt Lehnhoff lachend. Ein versöhnlic­hes Ende.

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FOTO: SAMUEL FAY
 ?? FOTO: SAMUEL FAY ?? Mit Nachhilfel­ehrer Fabian Lehnhoff diskutiert SZ-Redakteuri­n Mareike Keiper per Videochat über die Folgen der CoronaKris­e.
FOTO: SAMUEL FAY Mit Nachhilfel­ehrer Fabian Lehnhoff diskutiert SZ-Redakteuri­n Mareike Keiper per Videochat über die Folgen der CoronaKris­e.

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