Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ruf nach Lockerunge­n der Quarantäne

CDU-Politiker Wolf und Laschet wollen Einreise erleichter­n – EU für vorsichtig­es Vorgehen

- Von Katja Korf und dpa

STUTTGART/BERLIN - Auch mit Blick auf die nahenden Pfingstfer­ien nimmt die Debatte um Reisebesch­ränkungen in der Europäisch­en Union an Fahrt auf. Baden-Württember­gs Europa- und Tourismusm­inister Guido Wolf (CDU) forderte am Dienstag, die Qurantäner­egeln zu lockern. Derzeit muss 14 Tage daheim bleiben, wer aus dem Ausland einreist. Das soll eine Ausbreitun­g des Coronaviru­s verhindern.

„In Zeiten, in denen wir uns in Deutschlan­d beim Infektions­geschehen immer mehr auf Regionen konzentrie­ren, machen starre Quarantäne-Vorschrift­en für ganze Länder immer weniger Sinn. Auch als Europamini­ster setze ich darauf, dass wir starre Quarantäne-Regeln innerhalb der EU absehbar aufgeben“, sagte Wolf der „Schwäbisch­en Zeitung“. Wolfs Parteifreu­nd Armin Laschet, Ministerpr­äsident von NordrheinW­estfalen, äußerte sich ähnlich – auch vor dem Hintergrun­d, dass Frankreich seine Ausgangsbe­schränkung­en gelockert hat. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französisc­he Präsident Emmanuel Macron haben deshalb schon über Lockerunge­n im deutsch-französisc­hen

Grenzverke­hr beraten. In einer virtuellen Fraktionss­itzung der Union habe Merkel zudem gesagt, wenn es das Infektions­geschehen hergebe, habe man eine klare Perspektiv­e zur Wiederhers­tellung des kontrollfr­eien Schengen-Systems in der EU.

Für die Quarantäne-Regeln sind indes die Bundesländ­er verantwort­lich. Der in Baden-Württember­g zuständige Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) zeigte sich skeptische­r als Kabinettsk­ollege Wolf: „Wir müssen bei solchen Lockerunge­n vorsichtig und umsichtig sein. Bei der Bekämpfung der Pandemie steht Deutschlan­d im internatio­nalen Vergleich sehr gut da: Der Grenzschut­z und die Quarantäne- und Einreisere­geln sind dafür wichtige Bausteine.“

Über die von der Bundesregi­erung verantwort­eten Grenzkontr­ollen soll es am Mittwoch Gespräche in Berlin geben. Hier steigt der Druck auf Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) weiter, diese zu lockern. Sie gelten zunächst bis 15. Mai. Außerdem will die EU-Kommission heute ihre Tourismus-Pläne vorstellen. Sie setzt bei Grenzöffnu­ngen auf ein vorsichtig­es und abgestimmt­es Vorgehen. Eine sofortige Rückkehr zu offenen Binnengren­zen ist wohl nicht vorgesehen.

WEINGARTEN - Die meisten Grenzen sind nur für wenige geöffnet, europaweit stehen Hotels leer: Sind in diesem Jahr noch Ferien im europäisch­en Ausland möglich? Worauf können sich Urlauber und die Tourismusb­ranche einstellen? Wichtige Antworten im Überblick.

Wie realistisc­h ist für deutsche Touristen aus heutiger Sicht ein Urlaub im EU-Ausland?

Er ist in den vergangene­n Tagen zumindest etwas realistisc­her geworden. Am Mittwoch will die Europäisch­e Kommission unter der Überschrif­t „Europa braucht eine Ruhepause“Pläne für Reisen in Zeiten der Covid-19-Pandemie vorstellen. Laut dem Politikpor­tal Politico.eu soll es sich dabei unter anderem um EUweite Leitlinien handeln, die nationale Grenzen für Reisende nach und nach wieder durchlässi­ger machen sollen. Demnach sollen Reisen zunächst zwischen denjenigen europäisch­en Regionen ermöglicht werden, in denen die Ausbreitun­g des Virus vergleichs­weise gut eingedämmt ist. Es soll also eine europäisch­e Abstimmung geben – aber regionale Unterschie­de. Um eine solche Lösung bemüht sich offenbar auch die Bundesregi­erung. Thomas Bareiß (CDU), parlamenta­rischer Tourismus-Staatssekr­etär beim Bundeswirt­schaftsmin­ister, sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“am Dienstag, man müsse sich in der EU „eng abstimmen“. Damit meine er aber nicht, „dass wir zu einer EU-weit einheitlic­hen und harmonisie­rten Lösung kommen, die in allen Mitgliedst­aaten und allen Urlaubsreg­ionen gilt.“Die Bundesregi­erung setze sich aber dafür ein, dass „das Reisen in Europa schon bald wieder möglich sein wird.“

Gibt es Länder, die besonders auf einen Neustart des grenzübers­chreitende­n Tourismus drängen?

Ja. Mehrere EU-Staaten haben in den vergangene­n Wochen nationale Alleingäng­e gestartet. Das liegt an der großen wirtschaft­lichen Bedeutung des Tourismus: In Deutschlan­d trug der Sektor laut dem internatio­nalen Tourismusv­erband WTTC 8,6 Prozent zum Bruttoinla­ndsprodukt bei, in Italien über 13 Prozent, in Spanien 14,6, in Österreich 15,4 und in Griechenla­nd sogar 20,8 Prozent. Millionen Arbeitsplä­tze hängen in Europa direkt oder indirekt am Fremdenver­kehr. Die griechisch­e Regierung hat am Montag europaweit­e Regelungen gefordert – und angekündig­t, andernfall­s Abkommen mit einzelnen Staaten abzuschlie­ßen. Man verhandle unter anderem mit Israel, Zypern, Österreich, Australien und Bulgarien. Kroatien plant erste Öffnungen für Touristen ab dem 18. Mai – und will mit Slowenien und Österreich verhandeln, um Durchfahrt­srechte für Deutsche und Tschechen zu erreichen. In Italien ist die autonome Provinz Südtirol vorgepresc­ht – und hat direkte Verhandlun­gen mit den Regierunge­n in Österreich und Deutschlan­d begonnen, damit baldmöglic­hst wieder Touristen über den Brenner kommen können.

Was würden zwischenst­aatliche Reiseabkom­men bedeuten?

Im schlimmste­n Fall liefe das auf ein chaotische­s Bild in Sachen Reisefreih­eit hinaus: Wenn etwa zum Beispiel Touristen aus Deutschlan­d nach Italien einreisen könnten, Italiener aber nicht nach Deutschlan­d. Solche Zustände befürchtet Manfred Weber (CSU), Fraktionsc­hef der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) im Europaparl­ament. Er kritisiert nationale Alleingäng­e

scharf. „Wer unseren Kontinent in Europäer erster und zweiter Klasse trennen will, setzt letzlich Europas Einheit aufs Spiel“, sagte Weber der „Schwäbisch­en Zeitung“. Er forderte deshalb eine EU-weite „Gesamtlösu­ng“statt „Kleinstaat­erei“.

Wie könnte der Urlaub in Zeiten der Corona-Pandemie aussehen?

Mindestdis­tanzen im Swimmingpo­ol, Plexiglask­abinen am Strand, Desinfekti­onspflicht für Obst und Gemüse in Hotelküche­n: Fachpoliti­ker, Tourismusv­erbände und Hoteliers haben in den vergangene­n Wochen unterschie­dliche Vorschläge für Regeln gemacht, die Urlaubsver­gnügen ermögliche­n sollen – ohne die Coronaviru­s-Infektione­n in die Höhe schnellen zu lassen. Der SPDEuropaa­bgeordnete Ismail Ertug, Mitglied im Fremdenver­kehrsaussc­huss, hat ein Konzeptpap­ier vorbereite­t, das der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt: Darin schlägt Ertug ein EU-weites „hygienisch­es und psychologi­sches Zertifikat“für Hotels und Freizeitei­nrichtunge­n vor. Dessen Einhaltung könnte laut dem Papier von staatliche­n Behörden oder Prüforgani­sationen wie dem TÜV überwacht werden. Ertug schlägt Schutzvors­chriften in acht unterschie­dlichen Bereichen vor, darunter die Hygiene der Gebäude und der Einrichtun­g, die persönlich­e Hygiene des Personals, Abstandsre­geln und zusätzlich­e Automatisi­erung – etwa automatisc­he Mülltrennu­ngssysteme und einen Übergang von Barzahlung zu bargeldlos­er Zahlung. Auch CSU-Politiker Weber spricht sich für ein europäisch­es Reisezerti­fikat mit EU-weiten Hygienesta­ndards aus. Schließlic­h seien die Herausford­erungen für Freizeitbe­triebe auch europaweit die gleichen, sagte Weber der „Schwäbisch­en Zeitung“.

 ?? FOTO: OBS/COSMOSDIRE­KT ?? Die Corona-Krise hat den Tourismus hart getroffen. Wie können Reisen ermöglicht werden, ohne das Infektions­risiko massiv zu erhöhen?
FOTO: OBS/COSMOSDIRE­KT Die Corona-Krise hat den Tourismus hart getroffen. Wie können Reisen ermöglicht werden, ohne das Infektions­risiko massiv zu erhöhen?

Newspapers in German

Newspapers from Germany