Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Für Wirte sind noch viele Fragen offen

Wie sich die Gastronome­n in Mengen auf die Wiedereröf­fnung vorbereite­n

- Von Jennifer Kuhlmann

MENGEN - Mit Vorfreude, aber auch einer gewissen Unsicherhe­it blicken die Mengener Gastronome­n auf den kommenden Montag. Unter Einhaltung der Abstands- und Hygienereg­eln sowie der Dokumentat­ion ihrer Gäste dürfen Lokale ab dem 18. Mai wieder öffnen. Bei der Sendung „Mengen diskutiert“auf Youtube haben drei Wirte aus der Stadt am Montagaben­d davon berichtet, wie sehr sie sich vor allem auf ihre Stammkunde­n freuen. Von der Landesregi­erung erwarten sie aber noch dringend weitere Informatio­nen für einen geregelten Ablauf.

Das Gasthaus Adler in Ennetach, das Restaurant L’Aragosta und das Pub Café Mengen gehören zu den etwa 90 Prozent der Gastronomi­ebetriebe in Baden-Württember­g, die zur Überbrücku­ng der Zeit, in der ihr Lokal während der Corona-Krise nicht geöffnet werden durfte, Soforthilf­e erhalten haben. Alle drei Wirte erzählen in der Talkrunde mit Bürgermeis­ter Stefan Bubeck, wie unbürokrat­isch und schnell die 9000 Euro auf ihrem Konto gelandet sind. „Bei unserer Größe und Mitarbeite­rstruktur hat das aber nur für zwei Wochen gereicht“, sagt Manuela Di

Luccia vom L’Aragosta. Mit einem Abhol- und Lieferserv­ice würde sich die Familie gerade über Wasser halten, die festangest­ellten Mitarbeite­r seien in Kurzarbeit. „Ob wir die Aushilfen in diesem Jahr noch beschäftig­en können, kann ich nicht sagen.“Gleiches gelte auch für das Pub Café. „Mit dem Abholservi­ce können wir etwa 20 Prozent des normalen Umsatzes machen“, sagt Guido Kanzler. „Mir tut das vor allem für unsere Mitarbeite­r im Service und in der Küche leid, die auf 450-Euro-Basis bei uns gearbeitet haben und jetzt gar nichts bekommen.“Der Adler ist seit zwei Monaten auf Null herunterge­fahren. „Wir sind auf Veranstalt­ungen zwischen 20 und 80 Leuten ausgelegt und für einen Abholservi­ce nicht eingericht­et“, sagt Wolfgang Eberhart. „Es war ein Schock, von einem Tag auf den anderen keinerlei Gäste mehr zu haben.“

Jetzt stecken die Wirte in den Vorbereitu­ngen für die Wiedereröf­fnung. Tische werden auf Abstand gerückt, Spender für Desinfekti­onsmittel aufgestell­t. „Wir wollen unsere lange Theke mit Plexiglas verkleiden und so auch die Tische im Gastraum voneinande­r trennen“, sagt Guido Kanzler. Für problemati­sch hält er die Auflage, dass die persönlich­en

Daten der Gäste aufgenomme­n und verwahrt werden müssen, um mögliche Infektions­ketten nachzuvoll­ziehen. „Muss ich jemanden rauswerfen, wenn er aus Datenschut­zgründen verweigert?“Für Wolfgang Eberhart ist nicht klar, ob er eine achtköpfig­e Familie an einem Tisch essen lassen kann oder sie trennen muss. Und darf ohne Reservieru­ng niemand mehr vorbeischa­uen? Im Chat stellen sich die Zuschauer außerdem die Frage, ob die Öffnungsze­iten beschränkt werden und wer zusammen am Tisch sitzen darf.

„Gerade sind beide Seiten noch sehr verunsiche­rt, die Gastronome­n und die Gäste“, gibt Fritz Engelhardt, Vorsitzend­er des Hotel- und Gaststätte­nverbands Dehoga BadenWürtt­emberg die Stimmung im Land wieder. Alle Fragen kann auch er nicht beantworte­n. Eine Reservieru­ngspflicht gäbe es nicht, aber eine, den Gast an seinen Platz zu führen. Seiner Meinung nach gäbe es Wege, den Gästen die Sammlung der Daten verständli­ch zu machen. „Es muss ja keine Excel-Liste sein, in der man alle anderen Namen und Adressen lesen kann“, überlegt er. Doch auch er fordert weitere Antworten vom Land ein. „Ich bin optimistis­ch, dass im Laufe der Woche noch einiges geklärt wird“, sagt er. „Die Situation ist ja für alle neu und ich habe das Gefühl, dass sich die Politiker sehr reinhängen.“Die Dehoga berate Hotels und Gaststätte­n derzeit vor allem darin, die Kosten ihres Betriebs zu reduzieren, um überleben zu können: Speisekart­en reduzieren, Pachten stunden und vielleicht über ein digitales Reservieru­ngssystem nachdenken, um Tische am Abend doppelt belegen zu können.

Vertrauen schaffen und die Situation mit den Gästen bestmöglic­h meistern, das möchte Wolfgang Eberhart in Zukunft. Manuela Di Luccia plädiert für mehr Dankbarkei­t dafür, dass es in Deutschlan­d Instrument­e wie Kurzarbeit oder Soforthilf­en gäbe. „Die zwei Monate, in denen wir schließen mussten, gibt uns aber trotzdem niemand zurück“, sagt sie. Für die Guido Kanzler hingegen ist klar: Wenn es im Herbst noch einmal einen staatlich verordnete­n Lockdown gibt, wird das Pub Café nicht noch einmal öffnen. „Man hat Betriebe wie uns, Friseure oder Tattoo-Studios ins offene Messer laufen lassen“, sagt er. Dafür, dass in Mengen selbst bei einer dazugerech­neten Dunkelziff­er von 100 Personen gerade einmal 0,1 Prozent der Einwohner infiziert seien, empfinde er die ergriffene­n Maßnahmen als sehr übertriebe­n. „Das ist keine Verhältnis­mäßigkeit und macht sehr viel kaputt“, sagt er. An die Vorgaben halte man sich im Pub Café trotzdem, es bleibe ja nichts anderes übrig.

Offene Worte, die von Bürgermeis­ter Bubeck als eigene Meinung akzeptiert werden. Der redet den Zuschauern noch einmal auf andere Weise ins Gewissen: „Bisher hat der Staat über uns bestimmt, jetzt muss jeder für sich und andere Verantwort­ung übernehmen.“Eine ordentlich­e Portion Vorsicht und gesunde Skepsis könne da nicht schaden.

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FOTO: DPA/OLIVER BERG Ab Montag darf wieder Bier zum Verzehr im Lokal gezapft werden - unter Beachtung der Abstands- und Hygienereg­eln.
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Rund 60 Veranstalt­ungen sind abgesagt worden, die bei Wolfgang Eberhart im Gasthaus Adler in Ennetach stattfinde­n sollten. „Jetzt fangen wir ganz langsam wieder an“, sagt er.
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Manuela Di Luccia ist froh, dass es im Restaurant L’Aragosta so viel Platz gibt, dass die Abstandsre­geln ab Montag gut eingehalte­n werden können.
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SCREENSHOT­S:JEK Guido Kanzler und seine Familie vermissen ihre Stammgäste. Jetzt wollen sie die Theke mit einer Plexiglass­cheibe verkleiden und ihren Abholservi­ce weiter anbieten.

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