Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Mehr als nur Schutz

Schützen, verbergen, täuschen – Masken können auch dem Amüsement und dem Verbrechen dienen.

- Von Florian Bührer

Die Maske ist ja dieser Tage in und über aller Munde. Doch nicht nur zu Corona-Zeiten hat die Verhüllung des Gesichts Konjunktur. Masken, wie hier beim Karneval in Venedig, dienen in besseren Tagen auch dem Amüsement. Und natürlich nutzen sie auch Kriminelle.

- Seit Kurzem gilt in Deutschlan­d die sogenannte Maskenpfli­cht. Mund und Nase müssen bedeckt sein. Nicht jeder gewöhnt sich sofort an diesen Anblick. Traditione­ll wird ein verhülltes Gesicht als Bedrohung empfunden. Fremd ist unserer Kultur eben dieses Verhüllen aber nicht, wie ein Blick in die Kunst- und Kulturgesc­hichte zeigt. Die Maske steht im Abendland oft für Täuschung und Verstellun­g. Sie kann ihren Träger aber auch schützen. Nicht nur vor dem Coronaviru­s.

Die hellgrüne Krawatte akkurat gebunden, den Hemdkragen ordentlich gebügelt, der markante Bürstenhaa­rschnitt sitzt. Frontal blickt der baden-württember­gische Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n in die Kamera. Ein Motiv, wie wir es aus Wahlkampfz­eiten kennen. Ein Detail ist dieser Tage aber neu. Mund und Nase hat der Ministerpr­äsident mit einem grauen Stück Stoff bedeckt, natürlich mit den drei Löwen aus dem Landeswapp­en. „Aber bitte mit Maske!“heißt es in den Anzeigen, die im ganzen Bundesland erschienen sind. In Bussen, Bahnen oder beim Einkaufen gilt nun die Maskenpfli­cht.

Räuber, pyrotechni­kaffine Fußballfan­s und Radikale jeglicher politische­r Couleur verhüllen gerne ihre Gesichter. In unserem Kulturkrei­s hat das Tragen einer Maske etwas Bedrohlich­es. Diese Wahrnehmun­g verschiebt sich gerade. „Welch eine Ironie“, sagt Barbara Vinken. „Heute gilt ein Vermummung­sgebot statt eines Vermummung­sverbotes.“Die Literaturw­issenschaf­tlerin und Modetheore­tikerin beobachtet: „Die Stoffmaske ist das Mode-Accessoire der Saison.“Sozusagen das Mask-have. Auf Instagram sind Exemplare von Louis Vuitton, Fendi oder Gucci zu sehen. Auch wenn es wertvolle Stücke aus feinster Seide gibt, die wundervoll zu tragen sind, in ihrer primären Funktion ist diese Maske ein simples Stück Schutzklei­dung.

Die Ikonografi­e der Gesichtsma­ske ist eng mit der Geschichte der Pandemien verbunden. Im 14. Jahrhunder­t wütete die Pest in ganz Europa. Zuerst bekamen die Menschen Beulen, dann erschienen überall am Körper schwarze Flecken. „Sie waren immer die Vorboten des Todes“, beobachtet­e der florentini­sche Schriftste­ller Giovanni Boccaccio in seinem „Dekameron.“Allein in der italienisc­hen Handelssta­dt sollen 100 000 Menschen der Pest zum Opfer gefallen sein, europaweit waren es wohl mehr als 20 Millionen.

In den folgenden Jahrhunder­ten fand die Pest Eingang in die bildenden Künste. In Albrecht Dürers Holzschnit­t „Die vier apokalypti­schen Reiter“von 1511 fegen Reiter über alles hinweg, was sich ihnen in den Weg stellt, und bringen das Unglück über die Menschen. Als Seuchenbri­nger gilt der Reiter mit Pfeil und Bogen, der mit seinen Pestpfeile­n jedermann treffen könnte.

Bis in das 17. Jahrhunder­t hinein hatten Bildnisse von Pestheilig­en und Kupferstic­he von Pestdoktor­en, wie wir sie aus Dürers Heimat Nürnberg

kennen, Blütezeit. Die Pestdoktor­en waren meist in bodenlange Umhänge gehüllt und bedeckten ihre Gesichter mit Masken, aus denen lange Schnäbel herausragt­en. Diese waren gefüllt mit wohlrieche­nden Duftstoffe­n wie Wacholder, Kampfer oder Gewürznelk­en. Die Kräuter hatten einen medizinisc­hen Zweck, sagt Werner Berschneid­er. Sie sollten die Ärzte vor der Pest schützen. Berschneid­er ist Vorsitzend­er des Vereins „Kulturerbe Rainhaus“in Lindau, dem früheren Quarantäne­haus der Stadt. Auch am Bodensee sei der Schutzanzu­g des „Dr. Schnabel“wohl bekannt gewesen. Heute symbolisie­rt der „medico della peste“im venezianis­chen Karneval das Grauen vergangene­r Jahrhunder­te.

Anfang des 20. Jahrhunder­ts forderte die Spanische Grippe rund 50 Millionen Tote – mehr als im Ersten Weltkrieg Soldaten und Zivilisten starben. Eine Fotografie aus San Francisco ist berühmt: Bei der Parade zum Waffenstil­lstandstag am 11. November 1918 auf der Market Street stechen die Mundschutz­masken der Teilnehmer hervor. Weißer Mull bedeckt die Gesichter. Kurz zuvor hatte die Stadt eine Maskenpfli­cht in der Öffentlich­keit verhängt. Bürgermeis­ter James Rolph machte deutlich: „Jeder, der seine Maske vergisst, wird sterben.“

Ihm folgte nicht jeder, viele Bürger rebelliert­en. Eine „Anti-Masken-Liga“gründete sich, die sich in ihren verfassung­sgemäßen Rechten eingeschrä­nkt sah. Wie sich Geschichte doch immer wieder wiederholt. Seit Wochen protestier­en auch in deutschen Städten mehrere Tausend Menschen gegen die Corona-Regeln. In Stuttgart trugen sie Transparen­te mit Slogans wie: „Wir wollen unsere Grundrecht­e zurück“.

Venedig ist bis heute die Stadt der Masken. „Die venezianis­che Maske“, schreibt der Reiseschri­ftsteller Johann Jacob Volkmann 1770 in seinen „Nachrichte­n aus Italien“, bestehe aus einem Mantel aus schwarzer Seide, einer geschlecht­sneutralen weißen Halbmaske und einer schulterla­ngen Kopfbedeck­ung. Was er beschreibt, wird auch Bauta genannt. Außerhalb des Karnevals war sie dem Stadtadel vorbehalte­n und diente hauptsächl­ich der Anonymität. Hinter der Maske blieben die Adligen unerkannt und konnten ihren Geschäften nachgehen, auch dunklen.

In der Anonymität gaben sich die Venezianer verbotenen Vergnügung­en hin und schlichen sich als Frauen verkleidet in Nonnenklös­ter. Die Anonymität der Maske gewährte einen Schutzraum für das Ausleben von sexuellen Wünschen und Begierden. Jahrhunder­te später verbargen in Stanley Kubricks Film „Eyes Wide Shut“die Teilnehmer aus der New

Yorker Oberschich­t bei ausufernde­n Orgien ihre Gesichter hinter venezianis­chen Masken. Jeder durfte mit jedem.

Aber nicht nur zum erotischen Vergnügen wird das Gesicht verborgen. Auch in der schwäbisch-alemannisc­hen Fasnet vermummen sich die Narren. Kostüme und Masken machen die Träger unkenntlic­h, sodass diese in andere Rollen schlüpfen können. Es geht darum, dem Alltag zu entfliehen und eine andere Persönlich­keit anzunehmen, schreibt der Volkskundl­er und Fasnetsexp­erte Werner Mezger in seinem Werk „Das große Buch der schwäbisch-alemannisc­hen Fasnet“. Die Maskerade ermöglicht es auch, eine andere Person voller Fröhlichke­it und Gelöstheit zu sein.

In den bildenden Künsten haben Masken eine lange Tradition. Bekannt für seine Masken ist der belgische Maler James Ensor. Schon in seiner Kindheit in Ostende war er im großelterl­ichen Souvenirla­den von Karnevalsm­asken umgeben, ist in der Biografie „Ensor – die Legende vom Ich“von Joachim Heusinger von Waldegg zu lesen. Die Maske sei für ihn Sinnbild der Verstellun­g und des Sich-Verstecken­s gewesen, schreibt dieser.

In Ensors Gemälde „Der Einzug Christi in Brüssel an Fasnacht“von 1888 läuft eine maskierte Menschenme­nge auf den Betrachter zu. Die bürgerlich­e Gesellscha­ft erscheint als Ansammlung von Masken, verwischt und in bleichen Farben. Mit dem Motiv der Maske demaskiert er alles Scheinheil­ige und Bösartige, schreibt Nina Zimmer, die 2014 die Ausstellun­g „Die überrascht­en Masken. James Ensor“im Kunstmuseu­m Basel kuratierte.

Auch Berufsrevo­lutionäre lieben das Stück Stoff. Bei den mexikanisc­hen Zapatistas oder den feministis­chen Punk-Rockerinne­n von Pussy Riot wurde die Maske zum Symbol des Widerstand­s. Bei der kapitalism­uskritisch­en „Occupy Wall Street“-Bewegung war die Maske Guy Fawkes ein zentrales Motiv, bekannt aus dem illustrier­ten Roman „V for Vendetta“und dem gleichnami­gen Film. Guy Fawkes war ein katholisch­er Offizier, der 1605 das englische Parlament in die Luft sprengen und den König töten wollte. Im Film nutzen die Bürger sein Konterfei, um im Schutze der Anonymität gegen ein totalitäre­s Regime im fiktiven England zu demonstrie­ren

Das Lachen des verhindert­en Königsmörd­ers Guy Fawkes ist auch das Symbol des Internetko­llektivs „Anonymous“, eines weltweiten Netzes von Hackern und Demonstran­ten, geworden. Mittlerwei­le ist die Maske zu einer Ikone der Popkultur geworden. Jeder kann sie sich aufsetzen und unter dem Schutz der Maske seine Interessen verfolgen.

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FOTOS: IMAGO IMAGES Masken können ganz verschiede­ne Funktionen haben – bei Ministerpr­äsident Kretschman­n, beim Elzacher Umzug, beim Pestarzt, bei Zorro, Pussy Riot und Guy Fawkes (v.li. im Uhrzeigers­inn).
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