Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Mercedes als vage Hoffnung für Vettel
Seit den 1980er-Jahren steht Kennzeichen D in der Formel 1 für Quantität und Qualität – Bald könnte das anders aussehen
BERLIN (dpa) - Einen schnellen Wechsel von Ex-Weltmeister Sebastian Vettel zu Mercedes wird es nicht geben. Teamchef Toto Wolff betonte, man wolle nicht vor dem für 5. Juli geplanten Formel-1-Saisonstart in Verhandlungen treten. Wolff sagte zwar: „Aus deutscher Sicht wäre das eine tolle Sache.“Loyalität zu den aktuellen Fahrern sei aber wichtig. Bei Mercedes laufen die Verträge von Lewis Hamilton und Valtteri Bottas aus. Erst werde mit ihnen gesprochen. Somit droht 2021 eine Formel 1 ohne deutschen Fahrer.
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981 fuhr die Formel 1 ihre
32. Weltmeisterschaftssaison – die bislang letzte, in der man nicht wenigstens einen Deutschen im WM-Klassement aufgelistet fand. Selten als Statistik-Statisten, meistens ziemlich weit oben. 2021, in Saison Nummer 72, könnte es wieder sein wie anno ’81: Falls Sebastian Vettel („Ich werde mir die Zeit nehmen, darüber nachzudenken, was für meine Zukunft wirklich wichtig ist“) im Winter mit dem Ferrari-Engagement auch seine Karriere beendet, ist die Formel 1 keine Formel D mehr. Eine Spurensuche in fast vier Jahrzehnten Motorsport „made in Germany“:
Singapur ist kein Grand Prix wie alle anderen: Stadtkurs, Nachtrennen. 23 Kurven, 1485 Scheinwerfer. Singapur am 26. September 2010 wartete mit noch einer Besonderheit auf: Sieben Fahrer im 24er-Feld waren Deutsche – fast 30 Prozent, Premiere und Rekord. Es standen am Start: Timo Glock (Virgin Racing), Nick Heidfeld (BMW Sauber), Nico Hülkenberg (Williams), Nico Rosberg, Michael Schumacher (beide Mercedes GP), Adrian Sutil (Force India) und Sebastian Vettel (Red Bull Racing). Septett geworden war die deutsche PS-Abordnung durch BMW-Saubers Heidfeld-Rückholaktion wenige Tage zuvor. Das
15. Saisonrennen gewann Fernando Alonso im Ferrari, Weltmeister sollte sieben Wochen später erstmals Sebastian Vettel sein. Dem Hessen ist auch – gewohnt humorig – das Wort zur 30-Prozent-Übermacht zu verdanken: „Vielleicht sollten die anderen Länder sich überlegen, das Tempolimit abzuschaffen.“
Taten sie nicht, aber die SiebenerBande hatte auch so nur noch die vier letzten WM-Läufe 2010 Bestand. Formel 1 in den Zehner-Jahren ist kein preiswerter Sport, so ein Budget finanziert sich allenfalls für Ferrari, Mercedes oder Red Bull ohne Nöte. Sie können sich das Gas gebende Personal nach Talent aussuchen, schon Mittelklasse-Teams sind auf die Mitgift ihrer Piloten angewiesen. Wer hinreichend Geld(geber) hinter sich weiß, hat größere Chancen auf ein Cockpit; Qualität ist nicht zwingend K.o.-Kriterium, freie Fahrerwahl Luxus. Beispiel Timo Glock: Der musste 2013 trotz gültigen Vertrags bei Marussia gehen, wo er drei Jahre lang Kärrnerarbeit geleistet hatte. Teamchef John Booth sprach zum Abschied von einem „fantastischen Entwickler“und – unumwunden – von „wirtschaftlichen Umständen“, die die Trennung erfordert hätten. Nachfolger wurde der Brasilianer Luiz Razia, doch der drehte nur zwei Testtage lang am Lenkrad: Kündigung – wohl, weil es Probleme mit seinen Sponsoren gab. Die versprochenen Dollar-Millionen flossen nicht.
Formel 1 ist Geschäft. (Ex-)Fahrer mit einschlägigen Erfahrungen gibt es genug (auch Pascal Wehrlein aus Worndorf bei Tuttlingen gehört zu ihnen), Rennstreckenbetreiber ebenso. Der Vertrag, den die Hockenheim-Ring GmbH im Herbst 2009 mit Bernie Ecclestone geschlossen hatte, lief vor zwei Jahren aus. Für seine Verhältnisse bescheidenst hatte der damalige Formel-1-Strippenzieher die Antrittsgeldforderungen für die Großen Preise bis 2018 festgeschrieben. Zweistellige Millionenbeträge nebst Zehn-ProzentAufschlag im Folgejahr waren Ecclestone’scher
Standard; doch im Badischen packte den Briten das große Gefühl. Sonderkonditionen gab’s: „Wir fahren schon so lange hier.“37-mal mittlerweile – und zu Zeiten, da 92 000 am Rennsonntag (272 000 am gesamten Wochenende) die Tribünen füllten, mit beträchtlichem Ertrag für die GmbH. 2002 war das, 6,5 Millionen Euro sollen hängengeblieben sein. Zwölf Jahre später kamen 52 000 Zuschauer (insgesamt 95 000), längst waren die GmbHZahlen tiefrot. Längst wechselten Hockenheim- und Nürburgring sich ab, um einen einzigen, alternierenden WM-Lauf auf deutschem Boden zu stemmen. Kurpfalz, Eifel, Kurpfalz ... Ein Minus im Zweijahresturnus ist eher zu ertragen.
Das Kernproblem blieb: Refinanzierungsquelle für die Fahrerfeldmiete ist einzig der Ticket-Gewinn. Werbe-, Vermarktungs- und Fernseherlöse fließen komplett ins Formel-1Imperium und – in Teilen – als penibel geregelte Ausschüttung weiter an die Teams. Und: Bernie Ecclestone heißt seit Januar 2017 Liberty Media; der US-Konzern hat die Mehrheitsanteile an der Rennserie gekauft, den Zampano entmachtet. Andere Verhandlungspartner also. Mit ähnlich ambitionierten Expansionsplänen: Ohne Covid-19 hätte Hanoi 2020 einen City-GrandPrix gesehen; das Festhalten am Großen Preis von Bahrain zeigt, dass die Ignoranz bezüglich der Menschenrechtssituation im Gastgeberland den neuen Formel-1-Oberen erhalten blieb. Auch Saudi-Arabien gilt Liberty Media, von 2023 an, als Option. Geld ist dort natürlich kein Thema, das Königshaus wird sich die Imagepolitur jede Antrittssumme, die geplante Hightech-Strecke in der noch zu errichtenden Stadt Al Qiddiya jeden Cent kosten lassen. Und Hockenheim haderte stetig, Bund und Land ließen die Ring GmbH das wirtschaftliche Risiko der Formel 1 allein tragen ...
„Die PR-Wirksamkeit von Vettel bei Mercedes wäre mega.“
Bernie Ecclestone zieht – gedanklich – auch weiterhin die Formel-1-Strippen
In fetten Jahren machte die Formel 1 zweimal in Deutschland Station. Die fetten Jahre waren die großen von Michael Schumacher, vor allem zu dessen Ferrari-(Hoch-)Zeit: Alles neu damals! Viel mehr Personenkult damals! Das Privileg des Ersten, zumal in einer Autonation. Das
Privileg des Besten: sieben Weltmeistertitel mit Benetton (1994, 1995) und Ferrari (2000 bis 2004), 91 gewonnene Rennen (bei
306 Starts), 68-mal Pole-Position, 77 schnellste Runden. Das brachte Anerkennung, Respekt. Gemocht allerdings wurde Michael Schumacher nicht von jedem. Wie auch? Rennfahrer ticken anders. Sagen Sätze wie: „Es ist eine große Befriedigung, alles ans Limit zu bringen ... Du absorbierst alles, was dir das Auto, die Reifen und der Motor geben. Das gibt dir die Chance, alles herauszuholen, was möglich ist. Wenn du es schaffst, dann schwebst du wie im siebten Himmel.“Michael Schumacher hat diese eigene Welt, die da irgendwo bei Tempo 300 beginnt, beherrscht wie kein Zweiter. Sein Antrieb war der Wettbewerb (auch der mit sich selbst), kompromisslos war er in ihm (auch gegen sich selbst). Erst spät änderte sich die öffentliche Wahrnehmung, und als der Mercedes-Chauffeur, mit 43, von sich sagte, er sei „erwachsener geworden“, er habe „gelernt zu verlieren“, da kam das glaubhaft rüber, demütig – ja: sympathisch.
Michael Schumacher war Wegbereiter, sein Erfolg lockte Kinder ins Kart, taugte in Deutschland, einig Schumi-Land, zum Ansporn einer ganzen Nachwuchsfahrergeneration: der Generation Vettel, der Singapur-Klasse von 2010. Sein Spätwerk bei Mercedes – nach bloßen Resultaten bescheiden – half, die Basis zu schaffen für seit 2014 sechs Fahrer- und sechs Konstrukteurs-WM-Titel im Zeichen des Sterns. Mercedes-Benz-Motorsportchef Toto Wolff: „Michaels riesige Erfahrung war für die Entwicklung unseres Teams von unschätzbarem Wert.“Eines Teams, das inzwischen als einziges in der Formel 1 seine Kreise für einen deutschen Automobilhersteller zieht. BMW hat sich, nach der Finanzkrise von 2008, bereits 2009 neu orientiert, Rückkehr nicht vorgesehen. Man fährt Formel E, die aktuelle Formel-1Hybridtechnik habe für die Straße schlicht keine Relevanz.
2021 also könnte eine schwäbische PS-Schmiede (ihre Stützpunkte liegen in Brackley und Brixworth in Northamptonshire, die entscheidenden Köpfe sind britisch und österreichisch) letzte Bastion der Formel D sein. Es sei denn, Sebastian Vettel macht weiter. Pikanterie am Rand: Die Mercedes-Verträge von Lewis Hamilton und Valtteri Bottas enden mit Saisonende. Vierfach-Weltmeister Vettel im Silberpfeil? AutoDeutschland darf träumen. Noch.