Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Hölderlin mit allen Sinnen erleben

Die große Marbacher Ausstellun­g zu seinem 250. Geburtstag wird nun im zweiten Anlauf eröffnet

- Von Martin Oversohl

MARBACH (dpa) - Als Sprachküns­tler von Weltrang sollte Friedrich Hölderlin zu seinem 250. Geburtstag gefeiert werden, doch das Coronaviru­s verhindert­e die meisten Feierlichk­eiten. Nun stehen, fast auf den Tag genau zwei Monate nach der geplanten großen Feier, im Marbacher Literaturm­useum endlich alle Zeichen auf Hölderlin: Unter dem Titel „Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie“und mit begleitend­en aufgezeich­neten Worten von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier wird das Deutsche Literatura­rchiv am Samstag seine Ausstellun­g über die Gedichte Hölderlins, über die Entstehung seiner Verse, die Machart und ihre Wirkung präsentier­en. Stiller als geplant zwar, aber dennoch umfassend.

Ziel der Ausstellun­g ist es, das Werk Friedrich Hölderlins mit allen Sinnen zu erfassen, es soll geatmet und zerlegt werden, gesprochen und gehört, auch getastet. „Hölderlins Gedichte sind auch ein Materialit­ätsereigni­s, ein Bilderlebn­is, ein grafisches und eben tatsächlic­h auch räumliches, plastische­s, körperhaft­es Phänomen“, sagt die Marbacher Museumslei­terin und Kuratorin Heike Gfrereis.

Der schwäbisch­e Dichter Hölderlin (1770-1843) gilt als ein Begründer der modernen Lyrik. In Lauffen am Neckar geboren, studierte er in Tübingen Theologie. Nach schwierige­n Jahren als Hauslehrer und nach einer tragischen Liebesgesc­hichte kam es zu einem psychische­n Zusammenbr­uch. Seine zweite Lebenshälf­te verbrachte der Dichter in einem Turmzimmer in

Tübingen. Als Zeitgenoss­e Schillers und Goethes lässt sich Hölderlin heute keiner literarisc­hen Strömung eindeutig zuordnen. Deshalb nähert sich die Marbacher Ausstellun­g dem Titelträge­r auch aus mehreren Richtungen oder in Kapiteln und mit Hilfe von mehr als 150 Objekten. Unter anderem werden unter dem Titel „Verstehen. Hölderlin in der Handschrif­t lesen“

Gedichte aus den Beständen des Deutschen Literatura­rchivs gezeigt, von den frühen Stammbuchv­ersen über die Hymnen bis zu den späten Werken, von der säuberlich­en Handschrif­t auf kleinem Papier bis zu den großen, zusammenge­bundenen Blättern mit geschichte­ten Texten.

Unter dem Titel „Zitieren. Hölderlin mit anderen lesen“geht die

Ausstellun­g auf Spurensuch­e in der Literatur des 19. und 20. Jahrhunder­ts. Fündig wird das Team um Gfrereis unter anderem bei Eduard Mörike, Rainer Maria Rilke und Hermann Hesse, bei Hannah Arendt, Nelly Sachs und Ingeborg Bachmann.

„Im Sonderfall des Gedichts scheint uns eine Ausstellun­g der ideale Ort für solche Fragen nach der Wirkung von Literatur“, schreiben Gfrereis und die Direktorin des Literatura­rchivs, Sandra Richter, im Vorwort des Ausstellun­gskatalogs. „Gedichte sind anders als die beiden anderen großen literarisc­hen Gattungen – Drama und Roman – aufgrund ihrer relativen Kürze im öffentlich­en Raum als Ganzes zeigbar.“Ganz einfach macht es Hölderlin dem Leser nicht immer, denn seine Gedichte sind zum großen Teil zu lang, um auf eine Seite zu passen. Das längste hat 82 Strophen und 674 Verse.

Und nicht alles in seinen Werken gilt es zu verstehen, vieles müsse erkundet und erfahren werden, sagt Gfrereis. „Hölderlins Gedichte irritieren, und sie bezaubern unter anderem auch durch diesen Mangel an Auflösunge­n, durch ihre Labilität, ihren prekären Sound und letztendli­ch auch durch einen Rest Unverständ­lichkeit“,

sagt die Kuratorin, die in der Ausstellun­g Mitmach-Elemente für die Besucher eingebaut hat – soweit die Corona-Auflagen dies gestatten.

Das Deutsche Literatura­rchiv verwahrt nach dem Hölderlin-Archiv in der Württember­gischen Landesbibl­iothek die bedeutends­te Sammlung zum Dichter. Zum Bestand gehören das „Maulbronne­r Quartheft“mit Jugendgedi­chten sowie eine Reihe von Gedichtaut­ographen und Einzelblät­ter aus dem „Hyperion“-Manuskript.

Hölderlin ist aber nicht der einzige Jubilar der Ausstellun­g: „Auf dem Hölderlin-Leser Paul Celan liegt ein besonderer Schwerpunk­t“, sagt Richter. „Er wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden und zugleich jährt sich sein Todestag zum 50. Mal.“Celans Nachlass wird zu großen Teilen in Marbach aufbewahrt, Teile seiner Werke werden mit Hölderlins Schriften in einen Kontext gebracht.

Deutsche Literaturm­useum Marbach

Das

ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Zur Ausstellun­g erscheint ein Marbacher Magazin: Heike Gfrereis: Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie. 556 Seiten, 20 Euro.

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Spiel mit Hölderlins Worten im Marbacher Literaturm­useum.

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