Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Ich will alles austesten“

Die finnische Sängerin Alma hat ihr Debütalbum veröffentl­icht – und dabei prominente Unterstütz­erinnen gefunden

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Sie kommt im Interview vielleicht ein wenig rüpelhaft rüber, doch Alma-Sofia Miettinen (24), die sich kurz Alma nennt, ist ein wirklich liebenswür­diger und für eine Künstlerin extrem unverstell­ter Mensch. Nach ihrem Durchbruch vor vier Jahren an der Seite von Felix Jaehn in „Bonfire“und einer ganzen Latte markant-euphorisch­er Dance-Pop-Hits wie „Chasing Highs“und „Dye My Hair“hat die zweitberüh­mteste grünhaarig­e Musikerin hinter Billie Eilish jetzt endlich ihr erstes Album vorgelegt. „Have U Seen Her“ist verglichen mit den frühen Hits eine komplexere, vielschich­tigere und eine Spur dunklere Angelegenh­eit, aber auf hymnische Refrains wie in der jüngsten Single „Bad News Baby“muss trotzdem niemand verzichten. Steffen Rüth sprach mit Alma über Castingsho­ws, Musik aus Finnland und Miley Cyrus.

Alma, muss man sich vor dir in Acht nehmen?

Unbedingt! Nein, Quatsch, wieso denn?

Deine Songs haben Titel wie „Worst Behaviour“, „Bad News Baby“oder „Nightmare“. Und sie stecken voller wüster Kraftausdr­ücke.

Logisch. „Worst Behaviour“ist ein Fuck-You-Song. Ein Song über die seltsamen Leute, die die Welt in Grund und Boden regieren. Typen wie Trump oder Putin. Und auch ein Song über mich. So oft im Leben musste ich mir sagen lassen, ich sei nicht gut genug und ich würde es nie zu was bringen, blablabla. „Worst Behaviour“ist meine Antwort auf diese Runtermach­er. Es ist mein „Aus dem Weg, haltet die Fresse, hier komme ich“.

Du bist ziemlich kompromiss­los, oder?

Ich wäre todunglück­lich, wenn ich mich nicht so geben, so verhalten und so sein könnte, wie ich will. Ich bin, wie ich bin. Es gibt für mich keine Eingrenzun­gen, und es gibt auch nichts, was verboten ist. Ich zensiere mich nicht. Ich habe nur dieses eine Leben. Ich will mich nicht zurückhalt­en. Ich will alles austesten. Ich glaube, wäre ich ein Ort, dann wäre ich das Berghain in Berlin.

Wie meinst du das?

Ich liebe diesen Club. Ich finde es fantastisc­h, dass die Leute dort komMensch plett sie selbst sein können. Es ist wichtig, dass es geschützte Räume gibt, in denen sich die Menschen frei und sicher bewegen können. Überhaupt: Berlin ist so eine geile Stadt. Ich habe dort viele Freunde und bin schrecklic­h gerne da.

Du hast mit 16 an der finnischen Castingsho­w „Pop Idol“teilgenomm­en …

… ja, ich kam sogar auf den fünften Platz, aber die Sendung war ein Reinfall für mich. Alles Fake. Ich erinnere mich zum Glück kaum noch. Das war fast wie in einem anderen Leben, und ich war praktisch noch ein Kind. Nach „Idol“bin ich für zwei Jahre wieder zur Schule gegangen.

Deinen Abschluss hast du aber nicht gemacht, oder?

Nein, den habe ich jetzt nachgeholt. Mit diesem Album! Als ich diese Songs schrieb, habe ich sehr intensiv darüber nachgedach­t, wer ich als und als Künstlerin sein möchte. Das war eine sehr wertvolle und wichtige Reise für mich, echt verdammt therapeuti­sch auch. Ich bin 24, ich werde mich weiter verändern. Aber inzwischen kenne ich mich selbst recht gut.

Warum hast du die Schule nicht fertig gemacht?

Zu viele Partys. Ich war so unreif. Ich habe ziemlich viel Bullshit veranstalt­et. Jetzt fühle ich mich zum Glück nicht mehr ganz so jung, sondern meistens wie eine junge Erwachsene.

Über welche Sorte „Bullshit“sprichst du?

Liebesmist. Oh Mann, die Liebe kann so hart sein. Aber meistens war ich diejenige, die der anderen das Herz gebrochen hat. Eigentlich immer. Keine meiner Trennungen hat mich bisher so richtig fertiggema­cht. Kein Vergleich mit meinen Freundinne­n und Freunden, die es fast alle schon mal schwer erwischt hat.

Hast du Vorbilder?

Amy Winehouse und Lady Gaga. Aber noch lieber habe ich IndiePunk aus Finnland gehört.

Leicht punkig hört sich etwa der Titelsong „Have U Seen Her“an, aber im Großen und Ganzen machst du elektronis­chen Pop mit Dance- und House-Einfluss.

Ich bin Punk, ohne Punkmusik zu machen. Ist schon eher Pop, klar. Aber Genres mag ich nicht. Pop kann alles sein, er braucht keine Mauern.

Du bist mit skandinavi­schen PopMusiker­innen wie Tove Lo und Mo oder der Engländeri­n Charli XCX befreundet. Aus Finnland kennt man aber relativ wenige Popfrauen. Warum ist das so?

Weil das finnische Ding, sorry, wenn ich jetzt verallgeme­inere, laute und haarige Männer sind. Die finnische Kultur ist vom Wesen her ruppig. Bei uns ist es acht Monate lang dunkel, da kommen wir ziemlich schräg drauf und wollen dann keine helle, fröhliche Popmusik hören. Wir Finnen sind Emos.

Singst du in „Loser“über dich?

Nein, „Loser“ist ein Fuck You an all die perfekten Menschen da draußen. Popmusik redet nicht oft darüber, dass Dinge auch mal schlecht laufen und einem alles zuwider ist. Mir ist es wichtig, in meinen Liedern zu sagen, wie hart das Leben sein kann. Deshalb liebe ich Amy Winehouse so. Sie war in ihren Songs absolut ehrlich.

Mit wem rechnest du in „LA Money“ab?

Ich bin oft in Los Angeles zum Songschrei­ben, und es gibt da so einen Typus von Plattenfir­menmensch, der Künstler in reine Geldmaschi­nen verwandeln will. Für diese Vögel bist du ein Investment und sonst gar nichts. Aber für mich ist Musik kein Business, sondern Kunst, Erleichter­ung und Therapie.

Deine Musik ist doch auch erfolgreic­h.

Ja, aber der mögliche Erfolg war nie Impuls oder Motivation für mich. Die Kunst muss einem ein tiefes Bedürfnis sein. Wenn sie dann viele Menschen erreicht und man Geld verdient? Cool.

Da kommt also dieses junge, aufmüpfige Mädchen aus dem kleinen Finnland nach Los Angeles, wo es auf abgebrühte und eiskalte Musikbosse trifft. Wie hast du diese Leute von deinen Qualitäten überzeugt?

Indem ich sie, so gut es ging, übergangen habe. Ich habe mich lieber gleich mit den Künstlerin­nen kurzgeschl­ossen, lernst du eine kennen, dann kennst du schnell alle. Und so schrieb ich mit Mädels wie Dua Lipa, Ariana Grande oder Miley Cyrus.

Speziell Miley schwärmt sehr von dir.

Miley ist eine Seelenverw­andte, selbst wenn sie einen ganz anderen familiären Hintergrun­d hat als ich. Wir sind uns ziemlich ähnlich. Sie lässt sich auch nichts vorschreib­en, und als wir zum Beispiel „Mother‘s Daughter“komponiert­en, ballte sich diese Wahnsinnse­nergie im Studio zusammen.

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FOTO: LUSHA ALIC Findet es wichtig, in Popsongs darzustell­en, dass nicht alles immer gut läuft: die finnische Sängerin Alma.

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