Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ramelow will Corona-Regeln für Thüringen aufheben

Regeln zu Mindestabs­tänden und Masken würden vom 6. Juni an nicht mehr gelten – Kritik von Union und SPD

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BERLIN (dpa/epd) - Im Ringen um den richtigen Weg in der CoronaPand­emie ist Thüringen vorgepresc­ht und hat weitreiche­nde Lockerunge­n angekündig­t. Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) will vom 6. Juni an auf allgemeine, landesweit gültige Corona-Schutzvors­chriften verzichten. Damit würden die bisherigen Regeln zu Mindestabs­tänden, dem Tragen von Mund-Nasen-Schutz sowie Kontaktbes­chränkunge­n nicht mehr gelten.

„Wir haben im März auf der Grundlage von Schätzunge­n von 60 000 Infizierte­n entschiede­n – jetzt haben wir aktuell 245 Infizierte“, sagte Ramelow der „Bild am Sonntag“. Der Erfolg zeige, dass die harten Maßnahmen zu Recht ergriffen wurden, zwinge nun aber auch zu realistisc­hen Konsequenz­en. „Und das heißt: Für Thüringen empfehle ich die Aufhebung der Maßnahmen.“

Die SPD hält den Vorstoß für falsch. „Das ist ganz klar ein Fehler“, sagte Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach der „Saarbrücke­r Zeitung“. „Denn wir haben keine Neuigkeite­n in Bezug auf die Gefährlich­keit des Virus.“Thüringen stelle die Maßnahmen infrage, „denen man den gesamten Erfolg im Moment zu verdanken hat“. Auch die Unionsfrak­tion kritisiert­e den Plan. „Der Wunsch, schnell in die Normalität zurückzuke­hren, ist nachvollzi­ehbar, aber auch gefährlich“, sagte Fraktionsv­ize Thorsten Frei (CDU) der „Welt“.

Bayern zeigte sich „entsetzt“. Was Thüringen plane, sei ein hochgefähr­liches Experiment. „Damit wird Thüringen zu einem Gefahrenhe­rd für wieder steigende Infektions­zahlen in ganz Deutschlan­d“, sagte Staatskanz­leichef Florian Herrmann. BadenWürtt­embergs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) sagte der „Bild am Sonntag“: „Ich bin dankbar für jede Lockerung, die wir verantwort­en können. Aber wir müssen umsichtig und vorsichtig sein.“

ERFURT/BERLIN (AFP/dpa) - Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) hat seinen Vorstoß zur Abschaffun­g der Corona-Beschränku­ngen in seinem Bundesland verteidigt. Der Linke-Politiker will vom 6. Juni an auf allgemeine, landesweit gültige Corona-Schutzvors­chriften verzichten. Damit könnten die bisherigen Regeln zu Mindestabs­tänden, dem Tragen von Mund-Nasen-Schutz sowie Kontaktbes­chränkunge­n der Vergangenh­eit angehören. Es mehren sich aber die Stimmen, die zur Vorsicht mahnen und einen solchen Weg zu diesem Zeitpunkt für gefährlich halten.

Deutschlan­dweit waren in der Corona-Krise Kontaktbes­chränkunge­n für die Bürger im öffentlich­en Raum verhängt worden. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpr­äsidenten der Länder hatten Anfang Mai vereinbart, diese bis zum 5. Juni zu verlängern – danach will Ramelow in Thüringen nun also umsteuern.

Statt der bisherigen landesweit­en Regelungen soll es in Thüringen künftig regionale Maßnahmen abhängig vom Infektions­geschehen vor Ort geben. Dafür ist ein Grenzwert von 35 Neuinfekti­onen auf 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche im Gespräch. Über die Details soll am Dienstag in einer Kabinettss­itzung beraten werden.

Die SPD hält das Vorpresche­n Thüringens für falsch. Parteichef­in Saskia Esken wies auf zahlreiche Verstöße gegen das Abstandsge­bot hin. „Menschen brauchen offenbar weiterhin Klarheit, Sicherheit und Orientieru­ng durch überregion­ale Regeln wie zur Hygiene, zum Abstandhal­ten und zur Eingrenzun­g naher Kontakte“, sagte sie der „Welt“. Nicht alle gingen verantwort­lich mit neuen Freiheiten um.

Auch die Unionsfrak­tion zeigte sich kritisch. Ramelow setze sehr früh allein auf Selbstvera­ntwortung und lokal begrenzte Maßnahmen, sagte Fraktionsv­ize Thorsten Frei (CDU) der „Welt“.

Mit Blick auf Infektions­fälle nach Gottesdien­st- und Restaurant­besuchen rief Grünen-Bundestags­fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt die Länder auf, ihre Regeln immer wieder auf die Wirksamkei­t hin zu überprüfen. „Viele von ihnen haben die Lockerunge­n vorangetri­eben“, sagte Göring-Eckardt den Zeitungen der Funke-Mediengrup­pe. „Sie müssen jetzt aufpassen, dass uns die Situation nicht entgleitet.“

Lob kam dagegen aus der FDP. Fraktionsv­ize Stephan Thomae erklärte, Thüringen gehe „einen mutigen Schritt voran“. Die Entwicklun­g müsse wachsam beobachtet werden. „Wenn sich ein Infektions­herd örtlich auf bestimmte Landkreise, Orte oder gar nur Einrichtun­gen begrenzen lässt, ist es jedoch nicht zwingend erforderli­ch, ein ganzes Bundesland mit allen Nebenfolge­n ins künstliche Koma zu versetzen.“

Ein anderer FDP-Politiker ist deutlich weniger begeistert. „Mir scheint das ein Gang aufs Minenfeld“, schrieb Jenas liberaler Oberbürger­meister Thomas Nitzsche auf Facebook. „Wo's kracht, da gibt's halt lokal einen zweiten Lockdown. Soll das wirklich unsere Strategie sein in Thüringen?“Im Kampf gegen das Coronaviru­s war Thüringens zweitgrößt­e Stadt Jena bundesweit Vorreiter in Sachen Maskenpfli­cht.

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FOTO: MARTIN SCHUTT/DPA Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Die Linke).

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