Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Allein mit mir
Selbstbildnisse und Menschenbilder aus 50 Jahren in der Fähre Bad Saulgau
BAD SAULGAU - Viel zu entdecken gibt es in der nun endlich eröffneten Fähre-Ausstellung „Selbstbildnisse und andere Rätsel“, die eigentlich am 3. April hätte beginnen sollen. Selbstbildnisse, Portraits, Menschenbilder und Gruppenszenen in Lebensgröße, von vier Malerinnen und vier Malern, von denen die meisten schon einmal hier gezeigt worden sind. Eine Ausstellung mit ganz unterschiedlichen Eindrücken, die sehr nachdenklich stimmt.
Da empfängt Pavel Feinstein (geb. 1960 in Moskau) mit vertrauten Motiven, den rätselhaften Stillleben mit großen umwickelten Fischen und ebenfalls eingepackten Mäulern von 2003 – jetzt in CoronaZeiten verändert sich die Sichtweise des Betrachters – , aber auch mit einem Trio kleiner Selbstportraits von 1990, 2014 und 2020. Das 2019 entstandene Ölbild „Selbst aufgebahrt“zeigt den Maler im Leichentuch mit abgewandtem Gesicht, auf ein Selbstportrait und einen liegenden Frauenakt blickend, bewacht von seinem treuen Hund zu Füßen. Auch hier ein akkumulierendes Zitat, wie in den meisten seiner allegorischen Gemälde, denen immer „Vanitas“und „Melancholia“eingeschrieben sind.
Als glänzender Portraitist erweist er sich in dem Bildnis Roni Taharlev. Die Malerin (geb. 1964 in Israel) ist auch selbst mit mehreren Portraits eines jungen Mannes in Frauenkleidern und einer seltsam zwitterhaften „Verkündigung“vertreten. Die Kapelle nehmen Selbstportraits von Bettina Moras (geb. 1976 in Freiberg) ein. In Form, Farbe, Konturierung sowie der oft überraschenden Perspektive expressionistisch, gelängt oder zerdehnt, bilden sie eine sehr markant artikulierte Ausdeutung des Themas. Daneben wirken die in der Malweise an Schiele oder Kokoschka erinnernden Bilder von Erwin Pfrang (geb. 1951 in München) eher üppig erzählend.
Von überwältigender physischer Präsenz ist der Raum mit Gemälden von Johannes Grützke (1937-2017, Berlin), monumentale Großformate mit Akten wie „Mutter mit den 30 Kindern“(1977), von denen man sich kein einziges wünschen würde, ein Selbstportrait als „Schmerzensmann“oder drastisch verzerrte Selbstportraits, das früheste von 1965. Alle in diesen typisch tonig leuchtenden, gelblichen Erdfarben, die weniger lebendige Haut als vielmehr Verwesung assoziieren, ein starker Eindruck.
Auf starke Effekte ist der Chinese Yongbo Zhao (geb. 1964) aus, der seit 1991 in Deutschland Karriere gemacht hat und – neben seiner Dozententätigkeit
an mehreren Akademien in China – in München zu Hause ist. In seinen raumfüllenden Szenerien strebt er nach eigenen Worten „Provokationen“an, die sich allerdings nur dem kunstaffinen Betrachter entschlüsseln. Zweifellos grandios gemalt zitieren sie in der Motivik Hieronymus Bosch, während sich die Malweise und weitere Themen von Goya inspiriert zeigen. Die ihnen immanente Kritik an der westlichen Alten Welt könnte man indes auch nur als ein bunt wimmelndes Panoptikum wahrnehmen, das in Europa keiner Zensur unterliegt.
Solche Riesenleinwände rücken einem ganz schön aufs Auge, und das gilt auch für die Aktbilder von Lilli Hill (geb. 1976 in Kasachstan), die ihr dralles Bildnis in schwebender Spagatstellung mit Vaginaleinblick als Blumen streuende Flora inszeniert. Oder die Vulva ihrer „Europa“mit einem flatternden Zehneuroschein bedeckt und den Akt mit einer Fußfessel von Großbanken ausstattet. Nach solch brillant gemaltem Pornokitsch kann man sich bei Sigrun C. Schleheck (geb. 1948 in Heilbronn) mental richtig erholen: Ihre gänzlich uneitlen Selbstbildnisse verfügen über erfrischende Selbstironie und kritische Distanz. Sie sind witzig, ideenreich, anregend und einer der vielen guten Gründe, um diese Ausstellung zu besuchen.
Die Ausstellung „Selbstbildnisse und andere Rätsel“der Galerie Fähre in Bad Saulgau wird bis August verlängert. Öffnungszeiten: Di. bis So. sowie an Feiertagen, 14 bis 17 Uhr.