Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Volkswagen und die Frage nach der Sittenwidrigkeit
Der Bundesgerichtshof verkündet an diesem Montag sein Urteil über Schadenersatzansprüche von Dieselkunden
BERLIN - Der Bundesgerichtshof (BGH) wird an diesem Montag ein wegweisendes Urteil verkünden. Das Gericht kläre, „ob Volkswagen sich bei dem Einbau von Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeugen sittenwidrig verhalten hat“, erläutert Klägeranwalt Claus Goldenstein. Bestätigen die Richter diese Rechtsauffassung, werden sie auch über die fälligen Entschädigungsleistungen entscheiden.
Dabei geht es um die Frage, ob das Unternehmen den vollen Kaufpreis zurückerstatten muss oder einen Betrag für die zwischenzeitliche Nutzung des Fahrzeugs abziehen darf. In der Verhandlung am 5. Mai hatte das Gericht angedeutet, dass es eher dem Kläger als dem Konzern zuneigt. VW hat einen Schaden für die Autofahrer stets bestritten, weil die Fahrzeuge ja uneingeschränkt genutzt werden können. Geklagt hatte Herbert Gilbert, Besitzer eines VW Sharan 2.0 TDI match, den er 2014 für 31 490 Euro erworben hatte. Er fühlt sich von VW getäuscht und betrogen. Das Verfahren steht nun stellvertretend für Tausende andere zur Entscheidung an. Es ist das erste Grundsatzurteil in dieser Sache. Die bisherigen Urteile unterer Instanzen sind unterschiedlich ausgefallen. Im vorliegenden Fall hatte das Gericht den Anspruch auf den Kaufpreis bestätigt, davon jedoch eine Nutzungsentschädigung abgezogen. Demnach bekäme der Kläger inklusive Verzugszinsen noch 28 411 Euro erstattet.
„Zukünftig werden sich sämtliche deutschen Gerichte in ihren Urteilen im VW-Dieselskandal auf die Entscheidung beziehen“, erklärt Goldenstein, dessen Potsdamer Kanzlei nach eigenen Angaben rund 21 000 VW-Kunden vertritt. Doch nach seiner Auffassung ist der BGH-Spruch womöglich bald für Dieselkunden der anderen Hersteller relevant. Denn beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) steht ein weiteres wegweisendes Urteil an. Dabei geht es um die Frage, ob Abschalteinrichtungen grundsätzlich illegal sind, wenn sie auf dem Prüfstand bessere Schadstoffwerte erzeugen als im realen Betrieb. Der Generalanwalt des EuGH vertrat in seinem Gutachten diese Auffassung. Meist folgt das Gericht dessen Votum.
Laut Goldenstein haben auch Hersteller wie Mercedes, Volvo oder BMW Abschalteinrichtungen in ihre Dieselmodelle eingebaut. Folge der EuGH dem Generalanwalt, würden Millionen Fahrzeugrückrufe und eine Klagewelle drohen. „Die Fahrzeughalter sämtlicher Dieselfahrzeuge in Deutschland könnten sich dann auf unser BGH-Urteil beziehen und Entschädigungen in Milliardenhöhe durchsetzen“, glaubt der Anwalt.