Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Der Geldstrom in die Heimat versiegt

Migranten schicken lebenswich­tiges Geld aus Deutschlan­d an die Familie – Die Covid-19-Pandemie gefährdet die Transfers

- Von Gioia Forster und Martina Herzog, dpa

EILENBURG/MAPUTO - Seit Jahren schickt Eliete Ringuissai seiner Familie im südostafri­kanischen Mosambik Geld. Mal 100 Euro, mal 200 Euro, „immer so nach Bedarf, wer gerade Probleme hat“. Der 57-Jährige verdient deutlich mehr als seine Verwandten in der Heimat. Seit 40 Jahren arbeitet er als Chemiefach­arbeiter in Eilenburg in Sachsen, seine Verwandten leben in einem der ärmsten Länder der Welt. Doch die Corona-Krise hat all das verändert. „Es ist sehr schlimm“, sagt der Mosambikan­er. Ob er seiner Familie weiter Geld schicken kann? „Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.“

Wie Ringuissai unterstütz­en weltweit fast eine Milliarde Migranten ihre Familien in der Heimat mit sogenannte­n Rücküberwe­isungen. Im vergangene­n Jahr wurde der Weltbank zufolge eine Rekordsumm­e von 554 Milliarden Dollar (rund 505 Milliarden Euro) geschickt, etwa dreimal so viel wie global in Entwicklun­gshilfe fließt. Doch wegen der Corona-Krise erwartet die Weltbank in diesem Jahr einen Einbruch um fast 20 Prozent – eine Katastroph­e für Millionen von Menschen.

„Rücküberwe­isungen sind eine stabile Einkommens­quelle und funktionie­ren auch wie eine Versicheru­ng“, erklärt der Ökonom Dilip Ratha von der Weltbank, einer der führenden globalen Experten für Rücküberwe­isungen. Braucht eine Familie Geld, etwa für Schulgebüh­ren oder einen Arztbesuch, so greift sie auf Verwandte im Ausland zurück.

Außerdem sind Ratha zufolge Rücküberwe­isungen genau auf die Bedürfniss­e der Familien zugeschnit­ten, „wahrschein­lich mehr als Entwicklun­gshilfe oder ausländisc­he Direktinve­stition“. Jeder der bis zu 180 Millionen internatio­nalen Migranten und rund 800 Millionen inländisch­en Migranten weltweit, der Geld nach Hause schickt, hilft demnach zwei bis drei Menschen.

Deutschlan­d war 2017 nach Zahlen der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) weltweit mit 22,1 Milliarden Dollar das fünftwicht­igste Ursprungsl­and für Rücküberwe­isungen. „Deutschlan­d ist eines der Hauptziell­änder der globalen Migration“, sagt der Volkswisse­nschaftler Panu Poutvaara. Das spieSorge gele sich auch in diesen Zahlen wider. Poutvaara ist Mitglied im Sachverstä­ndigenrat deutscher Stiftungen für Integratio­n und Migration und leitet die Migrations­forschung beim Münchner Ifo-Institut.

Für Khalids Familie in Mogadischu ist das Geld, das er aus Bonn monatlich schickt, überlebens­wichtig. Der 24-jährige Somalier will aus um seine Verwandten nur seinen Vornamen nennen. „Ich bin ihre Haupteinko­mmensquell­e“, erklärt er. Mit seinem Geld würden seine Eltern und fünf Geschwiste­r in dem Krisenland am Horn von Afrika die Miete und Schulgebüh­ren bezahlen und Lebensmitt­el kaufen. „Wenn ich kein Geld schicke, befinden sie sich in einer sehr schwierige­n Lage.“

Und das gilt nicht nur für einzelne Familien, sondern für ganze Länder. Denn für etliche Staaten sind Rücküberwe­isungen ein wichtiger Wirtschaft­szweig.

In Somalia etwa machten diese Gelder 2019 laut des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) 32 Prozent des Bruttoinla­ndprodukts aus. Aus Deutschlan­d fließt viel Geld hingegen in die Nachbarsch­aft: 2017 gingen die größten Batzen laut der Denkfabrik Pew Research Centre nach Frankreich und Polen, gefolgt von Italien, Österreich, Tschechien, Spanien und Ungarn.

Die Corona-Krise hat diese „Lebensader“, wie Ökonom Ratha Rücküberwe­isungen nennt, schwer getroffen. Oft hätten Migranten die unsicherst­en Berufe und würden in einer Krise als erste ihre Jobs verlieren.

Der Mosambikan­er Ringuissai, der einst als Vertragsar­beiter in die DDR kam, ist in seinem sächsische­n Chemiewerk nun in Kurzarbeit. Er muss ganz genau auf sein Geld achten. „Wenn etwas übrig bleibt, schicke ich es, aber ich muss auch an mich denken“, sagt er.

Auch das Logistikun­ternehmen in Bonn, für das Khalid arbeitet, leidet wegen der Pandemie. Der Somalier arbeitet daher nur Teilzeit. „Ich kann meine Familie nicht unterstütz­en“, sagt er.

Hinzu kommt, dass das Schicken von Geld derzeit schwer ist. Khalid benutzt meistens nach eigenen Angaben Geldtransf­erunterneh­men, doch die Büros seien praktisch alle zu, erklärt Khalid. „Man konnte gar kein Geld schicken.“

Wie wichtig diese Überweisun­gen sind, weiß auch die Bundesregi­erung. „Die coronabedi­ngten Einschränk­ungen machen es für Migranten schwer, Geld bar zu versenden“, sagte das Entwicklun­gsminister­ium.

Deshalb fördere das Ministeriu­m digitale Zahlungsmö­glichkeite­n, etwa in Jordanien. Zudem unterstütz­t das deutsche Entwicklun­gsminister­ium die Webseite „Geldtransf­air.de“, auf der Nutzer vor einer Überweisun­g vergleiche­n können, welche Kosten für ihr Zielland bei unterschie­dlichen Anbietern fällig werden. Die Kosten „sollten so niedrig wie möglich sein, damit das Geld bei den Familien ankommt“, so das Ministeriu­m.

Wenn die Rücküberwe­isungen ausbleiben, können die Folgen verheerend sein. „Familien stürzen in die Armut ab und leiden sogar unter Problemen, über die wir uns lange keine Sorgen gemacht haben, etwa Unterernäh­rung und Hunger“, sagt Ökonom Ratha. Zwar verbessert sich langsam wegen der Corona-Lockerunge­n in Europa die Lage von Migranten. Doch Ratha zufolge besteht das Risiko, „dass sich Rücküberwe­isungen langsamer erholen als die Volkswirts­chaften“.

Reise-Einschränk­ungen, strengere Einwanderu­ngspolitik und wachsende Diskrimini­erung ausländisc­her Arbeiter werden demnach womöglich der Corona-Krise folgen. Die Konsequenz­en in Entwicklun­gsländern könnten noch jahrelang zu spüren sein.

 ?? FOTO: ANGELIKA WARMUTH/DPA ?? Viele Migranten haben wegen der Coronaviru­s-Krise Lohneinbuß­en erlitten.
FOTO: ANGELIKA WARMUTH/DPA Viele Migranten haben wegen der Coronaviru­s-Krise Lohneinbuß­en erlitten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany