Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Merkel lädt zum Großstadt-Krisengipfel
Regierung warnt vor Kontrollverlust – Zahl der Corona-Neuinfektionen steigt rapide
BERLIN (dpa/gwb) - Die rasante Entwicklung bei den Corona-Neuinfektionen, vor allem in den Großstädten, beunruhigt Regierung und Wissenschaft. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Lothar Wieler, Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI), warnten am Donnerstag. „Es ist möglich, dass sich das Virus unkontrolliert verbreitet“, erklärte Wieler. „Es ist möglich, dass wir mehr als 10 000 neue Fälle pro Tag sehen.“Über die Infektionszahlen in den Metropolen zeigte sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel besorgt. Die CDU-Politikerin berief für diesen Freitag einen Krisengipfel mit den Bürgermeistern der elf größten Städte Deutschlands ein. In einer Videokonferenz will sie sich über die Corona-Lage und die vor Ort eingeleiteten Maßnahmen in Berlin, Hamburg, Bremen, München, Frankfurt, Köln, Düsseldorf, Dortmund, Essen, Leipzig und Stuttgart informieren.
In Berlin und anderen Städten, etwa Bremen, hat die 7-Tage-Inzidenz den 50er-Wert überschritten. Er bildet die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen ab und ist ein Grenzwert für härtere Maßnahmen zur PandemieEindämmung. In der Hauptstadt lag der Wert am Donnerstag bei 52,8.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte zuvor gesagt, einige Städte wie Berlin „stehen kurz davor, die Kontrolle zu verlieren“. Davor warnte am Donnerstag auch Gesundheitsminister Spahn. Er fügte jedoch hinzu: „Da sind wir noch nicht.“Die Zahl der Todesfälle und Intensivpatienten sei nach wie vor vergleichsweise niedrig. Der jüngste Anstieg auf mehr als 4000 Neuinfektionen binnen eines Tages sei aber besorgniserregend. Das Erreichte dürfe nicht verspielt werden. „Es liegt an uns allen“, sagte er. „Wenn 80 Millionen mitmachen, sinken die Chancen des Virus gewaltig.“Abstand, Hygiene, Masken, die CoronaWarn-App und regelmäßiges Lüften seien die wirksamsten Waffen.
Spahn äußerte zudem Verständnis für Vorgaben bei Urlaubsreisen innerhalb Deutschlands. Wichtig für die Akzeptanz sei aber ein möglichst einheitlicher Rahmen der Länder. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, sagte der „Schwäbischen Zeitung“, es sei wichtig, den Bürgern den Grund für regionale Unterschiede zu erläutern.
BERLIN - Die Bundesländer gehen ganz unterschiedlich mit PandemieBeschränkungen um. Wer darf wohin reisen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie wird eine Region zum Risikogebiet?
Die Einstufung hängt von der Zahl der neuen Infektionen mit Covid-19 ab. Gibt es in einem Landkreis oder einer Stadt mehr als 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner, gilt diese Region als Risikogebiet. Das war an diesem Donnerstag in sieben Städten und Kreisen der Fall, in den Landkreisen Esslingen und Vechta sowie in den Städten Bremen, Hagen, Hamm, Offenbach am Main und Remscheid. Eine Besonderheit gibt es momentan in Berlin, das den Grenzwert am Donnerstag überschritt. Vier der zwölf Bezirke entwickeln sich langsam zu einem Hotspot. jedoch teilweise deutlich über 50. Dies betrifft die Bezirke Mitte, Neukölln, Kreuzberg-Friedrichshain und Tempelhof-Schöneberg.
Was bedeutet dies für Reisen der Bewohner dort?
Bund und Länder haben grundsätzlich Reisebeschränkungen für Bewohner innerdeutscher Risikogebiete beschlossen. Es gilt für sie ein Beherbergungsverbot. Das heißt konkret: Hotels, Pensionen oder Ferienwohnungsbesitzer dürfen an diese keine Unterkünfte vermieten. Nur wenn ein höchstens 48 Stunden alter negativer Corona-Test vorgewiesen werden kann, ist eine Übernachtung erlaubt. Allerdings haben mehrere Länder abweichende Regelungen angekündigt. Thüringen und Berlin sprechen kein Verbot aus, Bremen prüft es noch.
Bayern wiederum sieht Berlin nicht als Gesamtstadt an, sondern will gegebenenfalls ein Beherbergungsverbot auch für die Bewohner der vier besonders vom Virus betroffenen Bezirke. Mecklenburg-Vorpommern beharrt zudem auf einer Quarantänepflicht für Besucher aus Risikogebieten, wenn es kein aktuelles Testergebnis gibt.
Ein Besuch bei Freunden oder Verwandten wird derzeit nicht vom
Verbot erfasst. Regionale Änderungen sind allerdings jederzeit möglich. Es ist daher angeraten, sich auf den Webseiten des jeweiligen Bundeslandes über die aktuellen Regelungen zu informieren.
Dürfen Risikogebiete besucht werden?
Hier gilt im Grunde dasselbe. Nach der Rückreise aus einem Risikogebiet ist eine Quarantänezeit fällig oder es muss ein aktueller, negativ ausgefallener Corona-Test vorgelegt werden. Doch hier gelten viele Ausnahmen, etwa für beruflich bedingte Aufenthalte oder die Pflege von Angehörigen. Der Reisende muss sich aktuell informieren.
Auch sind die deutschen Risikogebiete zumindest teilweise noch nicht von den für ausländische Regionen geltenden Regelungen erfasst. Es bleibt auch hier nur der Blick auf die tagesaktuellen Hinweise auf den Webseiten der Bundesländer.
Drohen bei Verstößen gegen Reisebeschränkungen Strafen? Verstöße gegen das Beherbergungsverbot können sowohl für die Mieter als auch die Vermieter teuer werden. In Schleswig-Holstein drohen zum Beispiel bis zu 5000 Euro Bußgeld bei Verstößen gegen die Quarantänebestimmungen. Ansonsten ist der Flickenteppich hier genauso groß wie bei fast allen Corona-Maßnahmen. Selbst wenn es eine klare Rechtslage gibt, heißt das noch lange nicht, dass sie auch vollzogen wird. NRW behält sich Verbote oder Zwangstests zum Beispiel vor, auch wenn sie rechtlich längst möglich sind.
Kann ich Ferienwohnungen oder Hotels kostenlos stornieren, wenn ich in einem Risikogebiet lebe und nicht mehr zum Ferienziel reisen darf?
Die meisten Urlauber aus Risikogebieten, die schon ein Hotelzimmer oder eine Ferienwohnung in einem
Bundesland mit Beherbergungsverbot gebucht haben, können kostenlos stornieren. Anders liegt der Fall, wenn es kein entsprechendes Verbot gibt. Dann liegt bei Individualbuchungen das Risiko beim Urlauber. Der Vermieter oder das Hotel bieten ihre Leistung ja entsprechend des Vertrags mit dem Reisenden an. Ansonsten gelten die Stornobedingungen im Mietvertrag oder den Geschäftsbedingungen des Anbieters.
Welche Storno-Gebühren gelten bei Bahn-Tickets?
Flexpreis-Tickets der Deutschen Bahn lassen sich bis vor dem ersten Geltungstag kostenlos umtauschen oder stornieren. Sparpreis-Tickets lassen sich bis vor dem ersten Geltungstag für 10 Euro stornieren. Passagiere erhalten dann einen StornoGutschein mit drei Jahren Gültigkeit, der für spätere Fahrten genutzt werden kann. Sitzplatzreservierungen lassen sich einmalig kostenlos umtauschen.