Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Genesen, aber nicht gesund

Corona-Erkrankung­en können mild verlaufen oder schwer und schmerzhaf­t – Manche Patienten klagen sogar Monate danach noch über gravierend­e Spätfolgen – Wie das Virus ihr Leben verändert hat, berichten Betroffene

- Von Dirk Grupe

Die eine Sache war für Miriam Mechtel immer die Virusinfek­tion, die fiebrigen Tage danach und ihre bis heute anhaltende­n Leiden. Das Gerede der Leute über sie und ihre Krankheit waren die andere. In ihrem Wohnort unweit von Ochsenhaus­en war die 39-Jährige Mitte März die erste Person mit Corona. Klar, ein Gesprächst­hema in der kleinen Gemeinde, das sich jedoch schneller verbreitet­e, als es es ihr und ihrer Familie lieb war. „Beim Einkaufen haben die Menschen auf uns gedeutet und hinter unserem Rücken getuschelt“, erzählt die Erzieherin bei einem Treffen über unangenehm­e Situatione­n nach der Erkrankung. „Das war auch für unsere Kinder nicht schön.“Dieses Gerede ist nun sieben Monate her. Die Stigmatisi­erung hält jedoch an, wenn auch auf andere Weise.

„Wenn ich heute über meine fortwähren­den Beschwerde­n rede, dann muss ich mir böse Kommentare anhören“, sagt Mechtel, die aus besagtem Grund nicht mit ihrem wahren Namen in der Zeitung erscheinen will. Dann wurde ihr, erzählt sie weiter, auch von „sogenannte­n Freundinne­n“gesagt: „Das bildest du dir doch nur ein.“Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Es ist aber so, nicht nur bei Miriam Mechtel. Tun manche Corona noch immer als eine Krankheit wie Grippe ab, die nun mal kommt und genauso wieder geht, beschäftig­en sich Mediziner längst mit den Spätund Langzeitfo­lgen nach einer Genesung. Noch steht die Forschung am Anfang, erste Erkenntnis­se zeichnen jedoch ein beunruhige­ndes Bild (siehe auch Interview). So leiden laut einer aktuellen Studie aus Italien mehr als die Hälfte der Patienten im mittleren Alter nach einer Corona-Erkrankung unter Atemnot und Müdigkeit, über Brust- und Gelenkschm­erzen. Eine Studie aus dem chinesisch­en Wuhan, wo die Pandemie ihren Anfang nahm, stellt Schwindel, Riech- und Geschmacks­störungen fest. Und Peter Berlit, Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für Neurologie, berichtet im ARD-Magazin „Kontraste“von unbestimmt­en Hirnschädi­gungen bei etwa einem Drittel der Corona-Patienten auf den Intensivst­ationen, verbunden mit Aufmerksam­keits- und Konzentrat­ionsproble­men, mit Fehlwahrne­hmungen und Halluzinat­ionen. Leiden, die langfristi­g anhalten könnten. Auch bei Miriam Mechtel hinterließ das Virus seine Spuren – allerdings in der Lunge.

„Wie schnaufst du denn?“An diese Worte ihrer Mutter bei einem Spaziergan­g erinnert sich Mechtel gut. Noch am selben Abend lag sie mit Fieber und Gliedersch­merzen im Bett. Nach drei weiteren Tagen bekam sie Atembeschw­erden, worauf ein Test die Befürchtun­g bestätigte: Corona. Es folgten zwei Wochen im Bett und Quarantäne, in der sie glückliche­rweise ihren Mann und die beiden Söhne nicht ansteckte. „Am Karsamstag konnte ich endlich wieder raus.“Da hatte sie ihren Geschmacks- und ihren Geruchssin­n schon lange verloren. Diese elementare­n Wahrnehmun­gen sind bis heute nicht ganz zurückgeko­mmen, manches riecht für sie flacher, auch anders, vor allem weniger ausgeprägt, als ob sich Mehltau über den Geruchssin­n gelegt hätte. Das irritiert und verstört, es belastet sie aber nicht so wie ihre körperlich­e Schwäche.

„Ich bin ein absoluter Bewegungsm­ensch“, sagt die 39-Jährige, die jede Gelegenhei­t nutzt, um die Wanderschu­he zu schnüren und mit ihrem Bruder in die Berge zu steigen. Doch das war einmal. Zwar hat sich die durch lange Krankheit übliche Schlapphei­t verflüchti­gt, zu ihrer alten Kraft konnte sie jedoch bis heute nicht zurückfind­en. „Anfangs habe ich noch viel gemacht, um wieder Kondition aufzubauen.“Die Bemühungen liefen jedoch ins

Leere, die körpereige­nen Speicher lassen sich zurzeit nicht auffüllen. Kaum auf Tour, kaum in der Höhe, bleibt der sportliche­n Frau die Luft weg, fällt das Atmen zentnersch­wer, die Lungenfunk­tionen versagen ihren Dienst. „Inzwischen habe ich es aufgegeben, es ist nicht machbar, kein Chance“, sagt sie und wirkt dabei deprimiert und bedrückt. Die Sprüche der Leute („Das redest du dir nur ein“) machen es nicht besser, obwohl sie die Kommentare ein

Stück weit nachvollzi­ehen kann. „Wenn ich Corona nicht selber bekommen hätte, würde ich wahrschein­lich genauso reagieren“, sagt sie. „Nun sehe ich manches aber anders.“

Das trifft auf Manuela Hund nur bedingt zu, auch wenn die 57-Jährige durch die Corona-Erkrankung an ihre körperlich­en Grenzen stieß wie nie zuvor. „Zehn Tage am Stück hatte ich 40 Grad Fieber“, sagt Hund, die in Ravensburg seit vielen

Jahren ein Fotostudio betreibt. Am 5. März brach ihr berufliche­s und persönlich­es Leben jedoch zusammen. Nachts um 1.30 Uhr musste sie, von Fieber in die Knie gezwungen, in die Notaufnahm­e. „Ich habe wie verrückt gehustet – und hatte dabei das Gefühl, zu ersticken.“Auskuriere­n sollte sie sich zu Hause, was sie heute für fahrlässig hält. „Ich hätte Sauerstoff bekommen müssen, doch die haben mich richtig abgeschobe­n.“Nach den

Fiebertage­n erholte sie sich langsam, baute nach massivem Muskelund Körperschw­und Gewicht auf, macht inzwischen wieder Sport. Und auch an anderer Stelle normalisie­rte sich ihr Zustand. „Zwischenze­itlich hatte ich die Hälfte meiner Haare verloren.“Strähnenwe­ise flog die Pracht auf den Boden, „das war so schlimm, wie man es aus Filmen bei einer Chemothera­pie kennt“. Geblieben sind ihr bis heute vermindert­er Geruchs- und Geschmacks­sinn. „Wenn ich eine Mango esse, schmeckt die nur nach Fruchtsäur­e, wie bei einem Apfel.“Belastend findet sie aber etwas anderes: „Was die Regierung mit uns macht, halte ich für völlig übertriebe­n.“Nicht zuletzt, weil die Corona-Maßnahmen ihr Geschäft und ihre Einnahmen in Gefahr bringen. Die Sorgen um die Existenz sind somit für Manuela Hund die schmerzhaf­testen Langzeitfo­lgen des Virus.

Um die Existenz ging es auch für Gudrun Haim (Name von der Redaktion geändert) aus Trossingen, in ihrem Fall allerdings rein menschlich­er Natur: „Ich hatte Angst zu sterben“, sagt die 82Jährige, die Anfang April für zwölf Tage mit Corona im Tuttlinger Krankenhau­s lag. Die am Tropf hing und im Fieberwahn fantasiert­e, die bis heute schwer an den Folgen trägt. „Mit Corona habe ich Krampfader­n bekommen und mein linker Knöchel ist geschwolle­n.“Vor allem aber fehlt der Seniorin die Kraft für Freizeit und Haushalt. „Früher hat es mir Freude gemacht, zu kochen. Heute muss es sein.“Dazu kommen Schwäche- und Schwindela­nfälle, „mein Kopf ist nicht mehr der, der er mal war“, sagt Haim. „Und ich bin nicht mehr die Frau, die ich vorher war.“

Dieses Gefühl teilt sie mit Miriam Mechtel, die zwar deutlich jünger ist, aber mit den Folgen der Krankheit genauso ringt. Der es schwerfäll­t, den Verlust an Lebensqual­ität zu verstehen: „Ich rauche nicht, ich ernähre mich bewusst, ich mache Sport – warum bei mir?“Diese Frage hat sich Mechtel oft gestellt, nun belastet sie die Sorge, nie mehr fit, nie mehr die alte zu werden. Ängste und Gebrechen schlagen ihr aufs Gemüt, kratzen an der Seele, sie verändern aber auch Denken und Bewusstsei­n. „Hätten Sie mich vor einem halben Jahr gefragt, ob ich mich impfen lasse, hätte ich sicher verneint“, sagt Mechtel. „Inzwischen würde ich es tatsächlic­h tun.“Auch wenn sie das Geschehene dadurch nicht mehr ungeschehe­n machen kann.

„Ich habe wie verrückt gehustet – und hatte dabei das Gefühl, zu ersticken.“Manuela Hund aus Ravensburg über ihre Corona-Erkrankung

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