Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Plädoyers für mehr Europa im „Salon“
Pulse of Europe meistert den kurzfristigen Ausfall des Hauptredners - Gute Resonanz
MENGEN - Über eines waren sich die rund 48 Zuhörer im Katholischen Gemeindehaus in Mengen bei der moderierten Diskussion im Europa-Salon einig: Die Europäische Union braucht den Einsatz der Bürger. Trotz der sehr kurzfristigen Absage von Andreas Glück, FDP-Abgeordneter im Europaparlament und eingeladener Redner der Veranstaltung, entwickelte sich bei dieser Veranstaltung der proeuropäischen Initiative Pulse of Europe eine muntere Diskussion.
Organisator Karl-Heinz Bleicher sprach von einem Super-GAU: Eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn hatte der Europaabgeordnete Andreas Glück wegen einer Darmerkrankung absagen müssen. In seiner Doppelfunktion als Arzt und Abgeordneter hätte er mit den Teilnehmern über die Gesundheitspolitik in Europa in Zeiten von Corona gesprochen. Die Veranstaltung wurde aber nicht abgesagt, sondern wurde zur moderierten Diskussion mit dem Publikum ohne Hauptredner.
Erstmals war Pulse of Europe Stuttgart mit dem Europa-Salon in einem ländlichen Gebiet zu Gast. Sechs Teammitglieder der Initiative waren am Samstagabend aus dem Stuttgarter
Raum nach Mengen gekommen. Das von Karl-Heinz Bleicher aus Hohentengen vorgeschlagene Experiment glückte. Die Resonanz auf diese europapolitische Veranstaltung konnte sich sehen lassen. Mit 50 Zuhörern hätte man im Saal des katholischen Gemeindehauses unter geltenden Corona-Bedingungen die Kapazitätsgrenze erreicht. Unter den 48 Besuchern befanden sich Vertreter von Parteien aus dem gesamten Kreisgebiet und von Partnerschaftsvereinen. Mit dem 16-jährigen Steven Reiser hatte Karl-Heinz Bleicher sogar den Preisträger des Schülerwettbewerbs „Baden-Württemberg - Wir in Europa“von der Realschule Mengen als Ehrengast eingeladen.
„Jetzt ist es an der Zeit, sich einzubringen und aktiv zu werden für das Zukunftsprojekt Europa“, sagte Karl-Heinz Bleicher. Annette Ruess, die Sprecherin von Pulse of Europe Stuttgart erzählte, wie sie selbst zur Engagierten wurde. Nach dem Brexit im Jahr 2016 und der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA sei für sie klar gewesen: „Es ist an der Zeit für die eigenen Werte auf die Straße zu gehen.“Seit Februar 2017 tritt sei bei Pulse of Europe mit Veranstaltungen für ein gemeinsames und demokratisches Europa ein. Jeden
ersten Sonntag im Monat veranstaltet die Bürgerinitiative eine Kundgebung in Stuttgart.
Während der Corona-Krise habe die nationale Zuständigkeit in der Gesundheitspolitik dazu geführt, dass solidarische Hilfsaktionen für die am stärksten betroffenen Länder wie Spanien, Italien und Frankreich mit Verzögerung in Gang kamen. „Die Corona-Krise hat gezeigt, dass wir in der Gesundheitspolitik mehr Europa brauchen“, sagte Annette Ruess, die Sprecherin von Pulse of Europe in Stuttgart. Die gemeinsame Beschaffung von Schutzausrüstung, die Herstellung von durch die Krise verknappte Medikamente und ein mehr an Arzneimittelsicherheit sei nur auf europäischer Ebene zu bewältigen
Wortmeldungen machten die Wünsche für ein geeintes Europa deutlich. Die mangelnde Tuchfühlung mit Europa durch die Nichtpräsenz von Europaabgeordneten beklagt ein Zuhörer, eine gemeinsame EU-Außen- und Verteidigungspolitik und Klimaschutz-Politik wurde angemahnt. Landtagsabgeordneter Klaus Burger fürchtet, dass das „Wir-Gefühl in Europa bröckelt“, gleichzeitig sei aber, so der Abgeordnete, eine „Industrie 4.0 ohne Europa
gar nicht möglich“. Scharfe Kritik übte eine junge Zuhörerin auf das Verfahren zur Ernennung von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Statt das mit dem siegreichen Spitzenkandidaten bei der Wahl zum Europäischen Parlament zu besetzen, wurde die Spitze der Kommission erneut vom Rat der Regierungschefs ausgehandelt. Die Zuhörerin will mehr Rechte für das Parlament, will auch die Kommissare demokratisch wählen. „Wir waren entsetzt und hatten das Gefühl, die machen sowieso, was sie wollen.“Es gibt also noch viel zu tun. „Europa ist noch längst nicht fertig“, formulierte dazu Sebastian Hoch von Pulse of Europe.
Für die neue Aktion „Hausparlamente“zur Stärkung der Bürgerbeteiligung auf europäischer Ebene warb Annette Ruess zum Abschluss. Dabei diskutieren kleine Gruppe von Bürgern konkrete von Pulse of Europe formulierte Fragen zur Europapolitik. Die Ergebnisse dieser Diskussionen werden gesammelt und den Europaabgeordneten vorgelegt.
Mehr Informationen zur Aktion der Hausparlamente unter
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www.HomeParliaments.eu