Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Weihbischof warnt vor Gefahren der Gen-Schere
RAVENSBURG/AUGSBURG (mö) Große Chancen für den Kampf gegen Krebs und andere Krankheiten, aber Gefahren durch die mögliche Manipulation menschlichen Erbguts sieht der Augsburger Weihbischof Anton Losinger durch die Gen-Schere Crispr/Cas9. Losinger zählt zu den führenden katholischen Sozialethikern. Er wurde 2005 in den Nationalen Ethikrat berufen und gehörte von 2008 bis 2016 dem Deutschen Ethikrat an. Die Anwendung der Genschere, für deren Entdeckung die Wissenschaftlerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna zuletzt mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet worden sind, erfordere einen sehr verantwortungsvollen Umgang, sagte der Geistliche nun der „Schwäbischen Zeitung“.
Die Gen-Schere Crispr/Cas9 ist ein Werkzeug für Genetiker. Sie funktioniert bei allen Zellen – Hefen, Pflanzen, Tieren und auch beim Menschen. Ein Crispr-Abschnitt besitzt eine jeweils spezifische Sequenz (Guide-RNA), die die gewünschte Schnittstelle findet. Daraufhin schneidet das angekoppelte Protein Cas9 den Erbgutstrang an der Stelle. Nun kann Erbgut eingefügt oder entwendet werden. Die Zelle baut den Strang selbst wieder zusammen.
Die Abkürzung Crispr steht für „Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats“. Cas9 ist der Name für ein Protein, das DNA zerschneiden kann.
Für die Entwicklung dieser GenSchere zur gezielten Erbgut-Veränderung erhalten die in Berlin arbeitende Emmanuelle Charpentier (Frankreich) sowie Jennifer A. Doudna (USA) in diesem Jahr den Nobelpreis für Chemie
Auch wenn sein Siegeszug in den Labors weltweit erst 2012 nach der bahnbrechenden Studie von Charpentier und Doudna begann: Das Crispr/Cas-System ist ein uralter Mechanismus, der bei einem großen Teil der Bakterien und Archaeen vorkommt. Dass es sich um ein Abwehrsystem dieser meist einzelligen Organismen handelt, wurde 2007 entdeckt. Zuvor galten die Crispr-Regionen im Erbgut als nutzloser DNASchrott.
Charpentier und Doudna gelang darauf aufbauend dann der Coup: Sie verwendeten Crispr/Cas9 gezielt zum sogenannten
Genome Editing, also zum Entfernen, Einfügen und Verändern von DNA. Ihre Studie erschien am 17. August 2012 im
Magazin „Science“. Kurz darauf stellte der Bioingenieur Feng Zhang vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) im gleichen Magazin eine Arbeit zur universellen Einsetzbarkeit der Methode vor.
Mit der GenSchere könnten Forscher die DNA von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen mit höchster Präzision verändern, hieß es zur Begründung für die Vergabe. Viele Menschen hätten den Preis für diese Entwicklung schon erwartet, sagte Pernilla Witt und Stafshede vom Nobelkomitee. Charpentier sagte in einer ersten Reaktion: „Mir wurde oft gesagt, dass ich den Preis erhalten könnte, aber als es jetzt passierte, war ich dennoch überrascht.“ Allerdings betont das Komitee in seiner Begründung auch den möglichen Missbrauch des Werkzeugs. „Wie jede mächtige Technologie muss auch diese Gen-Schere reguliert werden.“Für weltweite Empörung sorgte im November 2018 das Video eines chinesischen Forschers, der die Geburt zweier Zwillingsmädchen bekannt gab, deren Erbgut er mit Crispr/Cas9 manipuliert hatte.
„Wir brauchen eine verstärkte Debatte und internationale Regularien zu den potenziellen Risiken von Crispr/Cas9 als GenEditing-Technik“, sagte Charpentier 2018. „Als Wissenschaftler tragen wir auch eine gewisse Verantwortung: Wir müssen sicherstellen, dass es für jede potenzielle Therapie am Menschen angemessene Sicherheits- und Effizienzmaßnahmen gibt, und dass jede ethisch fragwürdige Nutzung dieser Technik verboten wird.“(dpa)