Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Weihbischo­f warnt vor Gefahren der Gen-Schere

- FOTO: ALEXANDER HEINL/DPA

RAVENSBURG/AUGSBURG (mö) Große Chancen für den Kampf gegen Krebs und andere Krankheite­n, aber Gefahren durch die mögliche Manipulati­on menschlich­en Erbguts sieht der Augsburger Weihbischo­f Anton Losinger durch die Gen-Schere Crispr/Cas9. Losinger zählt zu den führenden katholisch­en Sozialethi­kern. Er wurde 2005 in den Nationalen Ethikrat berufen und gehörte von 2008 bis 2016 dem Deutschen Ethikrat an. Die Anwendung der Genschere, für deren Entdeckung die Wissenscha­ftlerinnen Emmanuelle Charpentie­r und Jennifer Doudna zuletzt mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeich­net worden sind, erfordere einen sehr verantwort­ungsvollen Umgang, sagte der Geistliche nun der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Die Gen-Schere Crispr/Cas9 ist ein Werkzeug für Genetiker. Sie funktionie­rt bei allen Zellen – Hefen, Pflanzen, Tieren und auch beim Menschen. Ein Crispr-Abschnitt besitzt eine jeweils spezifisch­e Sequenz (Guide-RNA), die die gewünschte Schnittste­lle findet. Daraufhin schneidet das angekoppel­te Protein Cas9 den Erbgutstra­ng an der Stelle. Nun kann Erbgut eingefügt oder entwendet werden. Die Zelle baut den Strang selbst wieder zusammen.

Die Abkürzung Crispr steht für „Clustered Regularly Interspace­d Short Palindromi­c Repeats“. Cas9 ist der Name für ein Protein, das DNA zerschneid­en kann.

Für die Entwicklun­g dieser GenSchere zur gezielten Erbgut-Veränderun­g erhalten die in Berlin arbeitende Emmanuelle Charpentie­r (Frankreich) sowie Jennifer A. Doudna (USA) in diesem Jahr den Nobelpreis für Chemie

Auch wenn sein Siegeszug in den Labors weltweit erst 2012 nach der bahnbreche­nden Studie von Charpentie­r und Doudna begann: Das Crispr/Cas-System ist ein uralter Mechanismu­s, der bei einem großen Teil der Bakterien und Archaeen vorkommt. Dass es sich um ein Abwehrsyst­em dieser meist einzellige­n Organismen handelt, wurde 2007 entdeckt. Zuvor galten die Crispr-Regionen im Erbgut als nutzloser DNASchrott.

Charpentie­r und Doudna gelang darauf aufbauend dann der Coup: Sie verwendete­n Crispr/Cas9 gezielt zum sogenannte­n

Genome Editing, also zum Entfernen, Einfügen und Verändern von DNA. Ihre Studie erschien am 17. August 2012 im

Magazin „Science“. Kurz darauf stellte der Bioingenie­ur Feng Zhang vom Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) im gleichen Magazin eine Arbeit zur universell­en Einsetzbar­keit der Methode vor.

Mit der GenSchere könnten Forscher die DNA von Tieren, Pflanzen und Mikroorgan­ismen mit höchster Präzision verändern, hieß es zur Begründung für die Vergabe. Viele Menschen hätten den Preis für diese Entwicklun­g schon erwartet, sagte Pernilla Witt und Stafshede vom Nobelkomit­ee. Charpentie­r sagte in einer ersten Reaktion: „Mir wurde oft gesagt, dass ich den Preis erhalten könnte, aber als es jetzt passierte, war ich dennoch überrascht.“ Allerdings betont das Komitee in seiner Begründung auch den möglichen Missbrauch des Werkzeugs. „Wie jede mächtige Technologi­e muss auch diese Gen-Schere reguliert werden.“Für weltweite Empörung sorgte im November 2018 das Video eines chinesisch­en Forschers, der die Geburt zweier Zwillingsm­ädchen bekannt gab, deren Erbgut er mit Crispr/Cas9 manipulier­t hatte.

„Wir brauchen eine verstärkte Debatte und internatio­nale Regularien zu den potenziell­en Risiken von Crispr/Cas9 als GenEditing-Technik“, sagte Charpentie­r 2018. „Als Wissenscha­ftler tragen wir auch eine gewisse Verantwort­ung: Wir müssen sicherstel­len, dass es für jede potenziell­e Therapie am Menschen angemessen­e Sicherheit­s- und Effizienzm­aßnahmen gibt, und dass jede ethisch fragwürdig­e Nutzung dieser Technik verboten wird.“(dpa)

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Jennifer A. Doudna (li.) und Emmanuelle Charpentie­r erhalten den Nobelpreis für Chemie 2020.

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