Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ausgangssp­erre

Frankreich­s Präsident Macron greift durch

- Von Christine Longin

PARIS - Die geselligen Abende am Pariser Canal Saint-Martin sind erst einmal vorbei. Ab Samstag gilt für die Partymeile ebenso wie den Rest der Hauptstadt eine nächtliche Ausgangssp­erre. Präsident Emmanuel Macron will mit der drastische­n Maßnahme, die er auch für acht andere Großstädte verhängte, verhindern, dass vor allem junge Leute zusammenko­mmen und das Coronaviru­s weitergebe­n. Mehr als 400 Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner zählt Paris täglich, rund 20 000 sind es in ganz Frankreich. „Wir stecken in der zweiten Welle“, räumte Macron in einem Fernsehint­erview ein, zu dem er zwei Journalist­en im goldenen Dekor des Elysée-Palasts empfing.

Der Staatschef, der mehr als drei Monate lang nicht mehr zu seinen Landsleute­n gesprochen hatte, war zu neuen Maßnahmen verpflicht­et. Denn in Paris sind bereits wieder 46 Prozent der Beatmungsb­etten mit Covid-19-Patienten belegt. Ein Drittel der Operatione­n muss bereits abgesagt werden, um Plätze für die Pandemiekr­anken frei zu halten. Gleichzeit­ig ist das Krankenhau­spersonal noch von der ersten Welle erschöpft und streikte am Donnerstag für deutliche Lohnerhöhu­ngen und Neuanstell­ungen.

„Es gab in den vergangene­n Monaten Verspreche­n, denen keine Taten folgten“, kritisiert­e die Neurologin Sophie Crozier im Radiosende­r Europe 1. Die im Sommer beschlosse­nen Lohnerhöhu­ngen seien „nicht auf der Höhe“gewesen. Die französisc­hen Krankensch­western und -pfleger gehören zu den am schlechtes­ten bezahlten in Europa. Ein runder Tisch hatte im Juli eine monatliche Lohnerhöhu­ng von 180 Euro beschlosse­n. Nicht genug für diejenigen, die monatelang in den Krankenhäu­sern um das Leben der CoronaPati­enten kämpften. Das schlecht bezahlte Krankenhau­spersonal zieht Konsequenz­en. Gut ein Drittel will dem Hospital den Rücken kehren.

Schwestern und Pfleger, aber auch Ärzte waren dabei nicht ausreichen­d geschützt, sodass sich viele ansteckten und auch starben. Der

Mangel an Masken und Schutzklei­dung hat inzwischen ein juristisch­es Nachspiel: Die Polizei durchsucht­e am Donnerstag­morgen die Wohnungen des früheren Premiermin­isters Edouard Philippe, von Gesundheit­sminister Olivier Véran, seiner Vorgängeri­n Agnes Buzyn und Ex-Regierungs­sprecherin Sibeth Ndiaye. „Die Regierung hat es den Pflegern nicht ermöglicht, sich gegen eine Krankheit zu schützen, die im Anmarsch war“, kritisiert­e der Anwalt des Ärztekolle­ktivs Inter Urgences, Arié Allimi, im Fernsehsen­der BFMTV. Das Kollektiv hatte Anzeige gegen die Politiker wegen Untätigkei­t in der Krise erstattet. Das Datum der Hausdurchs­uchungen war schon lange vorab festgelegt und fiel zufällig auf den Tag nach den Ankündigun­gen des Präsidente­n.

Macron wehrte sich im Fernsehen gegen den Eindruck, dass die Regierung im Kampf gegen das Virus versagt habe. Genau das wirft ihm die Opposition nämlich vor. „Wenn wir in dieser Situation sind, dann, weil die Regierung seit Monaten unfähig war, auf der Höhe der Herausford­erung

zu sein“, sagte der konservati­ve Abgeordnet­e Aurelien Pradé. Vor allem bei Tests und Nachverfol­gung der Kontaktket­ten habe es Pannen gegeben, kritisiere­n seine Parteikoll­egen. Zwar werden in Frankreich inzwischen rund 1,3 Millionen Menschen pro Woche getestet, doch auf das Ergebnis muss teilweise noch immer tagelang gewartet werden. Die Nachverfol­gung per App erweist sich als völliger Flop: In der nächsten Woche soll eine neue App folgen.

Frankreich gehört mit über 33 000 Toten zu den am meisten von der Pandemie betroffene­n Ländern. Am Donnerstag­abend hat die Bundesregi­erung neben den gesamten Niederland­en auch ganz Festland-Frankreich zum Corona-Krisengebi­et erklärt. Bislang war die Region Grand Est an der Grenze zu Deutschlan­d von der Warnung ausgenomme­n gewesen. Einreisen nach Deutschlan­d sind danach nur mit nachfolgen­der Quarantäne möglich. Systematis­che Grenzkontr­ollen sollten vermieden werden, sagte der französisc­he Abgeordnet­e Christophe Arend dem Radiosende­r France Bleu.

 ??  ?? FOTO: O. MATTHYS/AFP
FOTO: O. MATTHYS/AFP
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany