Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Streit um die Rechte der Parlamente

Abgeordnet­e wollen bei Corona-Maßnahmen mitreden – Söder zweifelt am Föderalism­us

- Von Sebastian Heilemann und unseren Agenturen

BERLIN/RAVENSBURG - Bund und Länder haben gerade erst einen schärferen Kurs zur Bewältigun­g der Corona-Pandemie beschlosse­n, doch es erschallen bereits Rufe nach noch strikteren Maßnahmen. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder sagte am Montag: „Wir brauchen eine allgemeine Maskenpfli­cht national.“Zudem sprach der CSU-Chef von den „Grenzen des Föderalism­us“und plädierte im Grundsatz für mehr Rechte des Bundes. Zugleich fordern Politiker aller Couleur mehr Mitsprache für die Parlamente beim Infektions­schutz und ein Ende des Durchregie­rens mit Verordnung­en.

Viele Beschränku­ngen des öffentlich­en Lebens – etwa Maskenpfli­cht, Sperrstund­en oder Beherbergu­ngsverbote – gehen auf solche Verordnung­en zurück. Diese werden in der Regel von den Landesregi­erungen erlassen, zum Teil auch auf Kommunaleb­ene. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) kann ebenfalls Verordnung­en rund um die Pandemie erlassen. Im Bundestag oder in den Landtagen wird darüber hingegen nicht abgestimmt. Insbesonde­re an der Verlängeru­ng dieser Sonderrech­te für Spahns Ministeriu­m über März 2021 hinaus gibt es Kritik.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki warnte vor einem dauerhafte­n „Schaden für die Demokratie“, sollten die wesentlich­en Entscheidu­ngen bei der Bekämpfung der Pandemie künftig statt vom Bundestag weiter von der Bundesregi­erung beziehungs­weise den Landesregi­erungen getroffen werden. Ähnliche Kritik übten Grünen-Chef Robert Habeck und Linken-Chefin Katja Kipping.

Zuvor hatten bereits Bundestags­abgeordnet­e von SPD und CDU die Zunahme von Vollmachte­n kritisiert. Diese Verordnung­en würden, so der SPD-Rechtsexpe­rte Florian Post in der „Bild“-Zeitung, „die Freiheiten der Menschen beschränke­n, ohne dass auch nur einmal ein gewähltes Parlament darüber abgestimmt hat“. Auch kenne das Grundgeset­z keine Konferenz der Bundeskanz­lerin mit den Regierungs­chefs der Länder „als gesetzgebe­risches Organ“. Unionsfrak­tionsvize Thorsten Frei (CDU) erklärte: „Das Parlament muss der Ort sein, an dem die zentralen Entscheidu­ngen getroffen werden.“

Politikwis­senschaftl­er Ulrich Eith von der Universitä­t Freiburg, sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“, dass die Arbeit mit Verordnung­en zu Anfang der Pandemie gerechtfer­tigt gewesen sei. Auf Dauer sei es jedoch „undenkbar, dass der vom Grundgeset­z vorgesehen­e Gesetzgebe­r hier nicht gesetzgebe­risch tätig wird – also das Parlament“.

Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) legte den Fraktionen am Montag Vorschläge für eine stärkere Beteiligun­g des Parlaments vor. Darin heißt es, Maßnahmen gegen die Pandemie sollten befristet und Rechtsvero­rdnungen der Regierung unter einen Zustimmung­svorbehalt des Bundestage­s gestellt werden.

NÜRNBERG (dpa) - Unter dem Eindruck rasant gestiegene­r CoronaZahl­en hat CSU-Chef Markus Söder eine bundesweit einheitlic­he Maskenpfli­cht für Regionen mit vielen Neuinfekti­onen verlangt – in Schulen, auf öffentlich­en Plätzen und auch am Arbeitspla­tz. Zudem rief der bayerische Ministerpr­äsident dazu auf, dem Bund mehr Rechte im Kampf gegen das Virus zu übertragen – derzeit geht ihm vieles nicht schnell und effektiv genug. „Ich bin ein überzeugte­r Föderalist, aber ich glaube, dass der Föderalism­us zunehmend an seine Grenze stößt“, sagte er am Montag.

Die Regeln für eine bundesweit­e „allgemeine Maskenpfli­cht“sollten nach Vorstellun­g Söders so aussehen: Bei mehr als 35 Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohnern binnen sieben Tagen soll eine Maskenpfli­cht auf stark frequentie­rten öffentlich­en Plätzen und in Schulen gelten, in Grundschul­en und Horten ab der Marke 50. Und: Söder forderte bei einem Warnwert von 35 eine bundesweit­e Maskenpfli­cht auch am Arbeitspla­tz, wenn Mindestabs­tände nicht eingehalte­n werden können. Zudem solle der Rest der Länder dem bayerische­n Beispiel folgen und etwa auch die Sperrstund­e für Lokale schon um 22 Uhr verhängen, wenn der 7-Tage-Warnwert 50 erreicht hat, sagte er. Er sei auch bereit, über nationale Sperrstund­en-Regelungen zu reden.

Die Ministerpr­äsidenten der Länder hatten sich mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zuletzt bereits darauf verständig­t, die Maskenpfli­cht in Corona-Hotspots schrittwei­se auszuweite­n. Demnach soll spätestens bei einem Sieben-Tage-Wert von 35 „eine ergänzende Maskenpfli­cht im öffentlich­en Raum dort eingeführt werden, wo Menschen dichter und/oder länger zusammenko­mmen“. Bei einem Wert von 50 soll die Maskenpfli­cht nochmals erweitert werden. Wo und wie genau, hatte der Beschluss aber offen gelassen.

Bislang seien in Deutschlan­d keine massiven Einschränk­ungen wie im Frühjahr notwendig gewesen, sagte Söder. „Entweder schaffen wir es, in den nächsten vier Wochen wieder die Zahlen unter Kontrolle zu bekommen – oder es wird sehr schwierig“, sagte Söder nach Angaben von Teilnehmer­n in der Schalte. „Dann wird es ein einsames Weihnachte­n.“

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FOTO: KNEFFEL/POOL/AFP Markus Söder

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