Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Viele Pflegekräfte sind jetzt enttäuscht“
Wie das Pflegeteam Lebenswert aus Scheer durch die Krise gekommen ist und warum Applaus allein nicht reicht
SCHEER - Ein bisschen mehr als nur Applaus darf es schon sein: Beim Pflegeteam Lebenswert in Scheer freuen sich die Mitarbeiterinnen natürlich über die Anerkennung, die sie seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie von der Bevölkerung für ihre Arbeit erhalten haben. „Es wäre aber auch schön, wenn finanziell etwas für die Menschen in diesem Beruf hängenbleiben würde“, sagt Frank Nowak, der Geschäftsführer des ambulanten Pflegedienstes.
Er befürchtet, dass viele Pflegekräfte der Branche im kommenden halben Jahr den Rücken kehren, wenn es seitens der Politik bei Lippenbekenntnissen bleibt. „Es wurden Erwartungen geschürt, die jetzt vermutlich enttäuscht werden“, sagt er. „Ganz zu schweigen von den jungen Menschen, die sich wegen mangelnder Anreize erst gar nicht für den Beruf interessieren werden, obwohl die Nachfrage riesig ist.“
Sein Team blickt mit Sorge auf die steigenden Infektionszahlen. Seit den ersten Corona-Beschränkungen im März haben sich die veränderten Abläufe mit verschärften Hygienevorschriften, regelmäßiger Desinfektion der Einsatzfahrzeuge und noch engerem Kontakt mit den Angehörigen der Pflegebedürftigen zwar längst eingespielt, aber der erhöhte Aufwand bleibe natürlich trotzdem. „Desinfektionsmittel haben wir genug, da läuft auch die Zusammenarbeit mit unserer Apotheke in Mengen gut“, sagt Pflegedienstleiterin Simone Bongermino. „Schwieriger könnte es bei Einmalhandschuhen werden.“Da käme es eventuell zu Engpässen, ziemlich teuer seien sie außerdem geworden.
Mittlerweile seien auch fast alle Patienten wieder zum Pflegedienst zurückgekehrt, die sich im Frühjahr dazu entschieden hatten, auf ihn zu verzichten. „Es waren einige Angehörige verunsichert, ob das Ansteckungsrisiko nicht zu groß ist, wenn eine Pflegekraft zum Patienten nach Hause kommt, die auch andere Hausbesuche macht“, sagt Frank Nowak. Ein Teil habe deshalb beschlossen, die Pflege des Angehörigen erst einmal selbst zu übernehmen. „Das war auch deshalb möglich, weil manche Menschen in Kurzarbeit waren oder im Homeoffice gearbeitet haben“, sagt er.
Weil seine Mitarbeiter aber schon vor der gesetzlichen Anordnung von ihm verpflichtet worden seien, FFP2Masken zu tragen, schätzt er selbst das Ansteckungsrisiko nicht sehr hoch ein. „Bisher hat es weder bei den Mitarbeitern noch unter den Patienten eine Infektion gegeben“, so Nowak. Was aber auch damit zusammenhänge, dass die Pflegekräfte sich in ihrem Privatleben sehr eingeschränkt und ihre Kontakte auf ein Minimum reduziert hätten. „Es sind sich alle ihrer Verantwortung gegenüber den Kunden bewusst“, sagt Simone Bongermino.
Angehörigen die Ängste zu nehmen und die Pflegebedürftigen zu versorgen, auch wenn die Masken die Mimik einschränken, sei oft eine Herausforderung gewesen. „Da ist auch der Gesprächsbedarf unter den Mitarbeitern gewachsen“, sagt Bongermino. Erschwerend sei auch hinzugekommen, dass es - entgegen der Versprechen der Landesregierung nicht für alle Kinder der Pflegekräfte einen Platz in der Notbetreuung der regionalen Kindergärten gab. „Einerseits hieß es, dass es für Eltern in systemrelevanten Berufen den Anspruch auf einen Platz gibt, andererseits gab es beispielsweise für Alleinerziehende, die auf dem Papier noch verheiratet sind, keine Lösung“, sagt Frank Nowak. Er hätte sich da seitens der Einrichtungsträger etwas mehr Flexibilität gewünscht. Am Ende hätte die Betreuung von fünf Kindern privat organisiert werden müssen, damit die Mütter weiter arbeiten gehen konnten. „Jetzt hoffen wir, dass es soweit nicht noch einmal kommt“, so Nowak.
Die einmalige Corona-Prämie haben auch die Mitarbeiter des Pflegeteams Lebenswert erhalten. Weitere finanzielle Verbesserungen werden zwar diskutiert, beschlossen sei aber nichts. „Die Verhandlungen zur Pflegeversicherung werden wohl erst im Dezember abgeschlossen sein und es sieht nicht danach aus, als würde da eine Erhöhung beschlossen, die sich in einer ordentlichen Gehaltserhöhung für die Mitarbeiter wiederspiegeln würde“, so Nowak. „Das frustriert die Mitarbeiter natürlich.“In Scheer hätte die Arbeitsmoral zum Glück noch nicht gelitten. „Wir sind ein gutes Team, das ist auch sehr viel wert“, sagt er.