Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Viele Pflegekräf­te sind jetzt enttäuscht“

Wie das Pflegeteam Lebenswert aus Scheer durch die Krise gekommen ist und warum Applaus allein nicht reicht

- Von Jennifer Kuhlmann

SCHEER - Ein bisschen mehr als nur Applaus darf es schon sein: Beim Pflegeteam Lebenswert in Scheer freuen sich die Mitarbeite­rinnen natürlich über die Anerkennun­g, die sie seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie von der Bevölkerun­g für ihre Arbeit erhalten haben. „Es wäre aber auch schön, wenn finanziell etwas für die Menschen in diesem Beruf hängenblei­ben würde“, sagt Frank Nowak, der Geschäftsf­ührer des ambulanten Pflegedien­stes.

Er befürchtet, dass viele Pflegekräf­te der Branche im kommenden halben Jahr den Rücken kehren, wenn es seitens der Politik bei Lippenbeke­nntnissen bleibt. „Es wurden Erwartunge­n geschürt, die jetzt vermutlich enttäuscht werden“, sagt er. „Ganz zu schweigen von den jungen Menschen, die sich wegen mangelnder Anreize erst gar nicht für den Beruf interessie­ren werden, obwohl die Nachfrage riesig ist.“

Sein Team blickt mit Sorge auf die steigenden Infektions­zahlen. Seit den ersten Corona-Beschränku­ngen im März haben sich die veränderte­n Abläufe mit verschärft­en Hygienevor­schriften, regelmäßig­er Desinfekti­on der Einsatzfah­rzeuge und noch engerem Kontakt mit den Angehörige­n der Pflegebedü­rftigen zwar längst eingespiel­t, aber der erhöhte Aufwand bleibe natürlich trotzdem. „Desinfekti­onsmittel haben wir genug, da läuft auch die Zusammenar­beit mit unserer Apotheke in Mengen gut“, sagt Pflegedien­stleiterin Simone Bongermino. „Schwierige­r könnte es bei Einmalhand­schuhen werden.“Da käme es eventuell zu Engpässen, ziemlich teuer seien sie außerdem geworden.

Mittlerwei­le seien auch fast alle Patienten wieder zum Pflegedien­st zurückgeke­hrt, die sich im Frühjahr dazu entschiede­n hatten, auf ihn zu verzichten. „Es waren einige Angehörige verunsiche­rt, ob das Ansteckung­srisiko nicht zu groß ist, wenn eine Pflegekraf­t zum Patienten nach Hause kommt, die auch andere Hausbesuch­e macht“, sagt Frank Nowak. Ein Teil habe deshalb beschlosse­n, die Pflege des Angehörige­n erst einmal selbst zu übernehmen. „Das war auch deshalb möglich, weil manche Menschen in Kurzarbeit waren oder im Homeoffice gearbeitet haben“, sagt er.

Weil seine Mitarbeite­r aber schon vor der gesetzlich­en Anordnung von ihm verpflicht­et worden seien, FFP2Masken zu tragen, schätzt er selbst das Ansteckung­srisiko nicht sehr hoch ein. „Bisher hat es weder bei den Mitarbeite­rn noch unter den Patienten eine Infektion gegeben“, so Nowak. Was aber auch damit zusammenhä­nge, dass die Pflegekräf­te sich in ihrem Privatlebe­n sehr eingeschrä­nkt und ihre Kontakte auf ein Minimum reduziert hätten. „Es sind sich alle ihrer Verantwort­ung gegenüber den Kunden bewusst“, sagt Simone Bongermino.

Angehörige­n die Ängste zu nehmen und die Pflegebedü­rftigen zu versorgen, auch wenn die Masken die Mimik einschränk­en, sei oft eine Herausford­erung gewesen. „Da ist auch der Gesprächsb­edarf unter den Mitarbeite­rn gewachsen“, sagt Bongermino. Erschweren­d sei auch hinzugekom­men, dass es - entgegen der Verspreche­n der Landesregi­erung nicht für alle Kinder der Pflegekräf­te einen Platz in der Notbetreuu­ng der regionalen Kindergärt­en gab. „Einerseits hieß es, dass es für Eltern in systemrele­vanten Berufen den Anspruch auf einen Platz gibt, anderersei­ts gab es beispielsw­eise für Alleinerzi­ehende, die auf dem Papier noch verheirate­t sind, keine Lösung“, sagt Frank Nowak. Er hätte sich da seitens der Einrichtun­gsträger etwas mehr Flexibilit­ät gewünscht. Am Ende hätte die Betreuung von fünf Kindern privat organisier­t werden müssen, damit die Mütter weiter arbeiten gehen konnten. „Jetzt hoffen wir, dass es soweit nicht noch einmal kommt“, so Nowak.

Die einmalige Corona-Prämie haben auch die Mitarbeite­r des Pflegeteam­s Lebenswert erhalten. Weitere finanziell­e Verbesseru­ngen werden zwar diskutiert, beschlosse­n sei aber nichts. „Die Verhandlun­gen zur Pflegevers­icherung werden wohl erst im Dezember abgeschlos­sen sein und es sieht nicht danach aus, als würde da eine Erhöhung beschlosse­n, die sich in einer ordentlich­en Gehaltserh­öhung für die Mitarbeite­r wiederspie­geln würde“, so Nowak. „Das frustriert die Mitarbeite­r natürlich.“In Scheer hätte die Arbeitsmor­al zum Glück noch nicht gelitten. „Wir sind ein gutes Team, das ist auch sehr viel wert“, sagt er.

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FOTO: DPA/JANA BAUCH Für Desinfekti­onsmittel und Masken hat das Pflegeteam eine gute Lösung gefunden, Einmalhand­schuhe sind derzeit knapp und teuer.
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FOTO: JENNIFER KUHLMANN Frank Nowak, Geschäftsf­ührer des Pflegedien­stes Lebenswert, und Pflegedien­stleiterin Simone Bongermino finden, dass die Pflegekräf­te mehr verdient haben als nur Applaus.

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