Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Die Segel für die WM sind gehisst
Sigmaringer Schüler Jonathan Steidle tritt bei Weltmeisterschaft in Italien an.
SIGMARINGEN - Wer Leistungssport und Schule unter einen Hut bekommen möchte, muss gut organisiert sein. Jonathan Steidle, der in den nächsten Tagen bei der Weltmeisterschaft im Segeln in Sanremo in Italien antreten wird, weiß, was das für den Familienalltag bedeutet. Er und seine beiden älteren Brüder haben Segeln als Leistungssport für sich entdeckt und sind damit in die Fußstapfen ihres Vaters und Großvaters getreten. Bei den Steidles dreht sich auch in dritter Generation alles um das außergewöhnliche Hobby. Die Eltern begleiten die Söhne zu Trainingscamps und Regatten im Inund Ausland, fahren Boote zu den jeweiligen Wettkampfstationen. Seine Ferien und einen Teil seiner Schulzeit verbringt Jonathan auf dem Wasser: Gardasee, Mittelmeer, Ostsee – auch für ein verlängertes Wochenende fährt der Sigmaringer etwa jede zweite Woche mehr als 1000 Kilometer.
Auf der Liebfrauenschule hat er sich für das Aufbaugymnasium entschieden, auf dem man das Abitur nach neun statt acht Jahren erlangen kann. So bleibt trotz Leistungssport und versäumter Unterrichtsstunden noch Zeit, Unterrichtsstoff nachzuholen. Für Europa- oder Weltmeisterschaften wird der 18Jährige von der Schulleitung freigestellt. Den Winter über verbringt er zu großen Teilen in Valencia oder auf Mallorca, wo seine drei Boote liegen. „Nur mit mehr Wasserstunden wird man besser“, sagt der 18Jährige. Im Gegensatz zu vielen seiner Kontrahenten, die etwa in Spanien am Meer wohnen und jeden Tag nach der Schule segeln können, fährt und fliegt Jonathan durch halb Europa zum Training – und büffelt auf den Reisen für Vokabeltests. „Ich lege mir die Abwesenheitstage immer so, dass ich Tests mitschreiben kann.“Was dann noch von seiner spärlichen Freizeit übrig bleibt, nutzt Jonathan Steidle, um sich beim Fußball und bei den Ministranten in St. Johann zu engagieren.
In der Bootsklasse „Optimist“hat Jonathan Steidle mit sechs Jahren das Segeln begonnen, nachdem er seine Brüder zuvor schon vom väterlichen Motorboot aus bei Wettkämpfen beobachtet hatte. Mit sieben absolvierte er den ersten Wettkampf. In seinem gleichaltrigen Cousin aus Stuttgart fand Jonathan Steidle – „immer der Steuermann“– einen ebenbürtigen Trainingspartner. Bis heute segeln sie gemeinsam bei Regatten, und das sehr erfolgreich. 2017 erreichten sie den zehnten Platz bei der größten Optimisten-Regatta der Welt mit 1000 Teilnehmern. 2016 segelte Steidle seine erste Europameisterschaft in Crotona/Italien, mittlerweile segelt er in der Bootsklasse 420er. Bei der Weltmeisterschaft in Newport holte sich Steidle den 13. Platz. Bei der WM in Portugal, bei der alle Altersklassen antreten konnten, 2019 den fünften. „Ich habe mich geärgert, es nicht aufs Treppchen geschafft zu haben“, sagt der Sigmaringer, der sich dann aber doch ziemlich freute.
Jonathan Steidles Wintertraining auf Mallorca wurde im März jäh von Corona unterbrochen. Die Boote blieben im Ausland im gesperrten Hafen liegen, Zwangspause für den 18-Jährigen bis Pfingsten. Die für Sommer angedachte und zunächst abgesagte Weltmeisterschaft in Sanremo wurde schließlich verlegt – auf die Herbstferien. Für Jonathan ist klar, dass er trotz Trainingsrückstand antreten will. „Ich habe versucht, daheim zu trainieren und mich fit zu halten.“Jetzt, so kurz vor dem Wettkampf, will er sich vor allem entspannen. An sechs Tagen muss er in insgesamt zwölf Rennen zusammen mit seinem Cousin beweisen, was er kann. Der Sieger steht am 1. November fest.
Mittlerweile hat der 18-Jährige einen italienischen Trainer. Im Sport wird daher überwiegend Englisch gesprochen. „Was er auf seinen Wettkämpfen alles lernt und wie er Englisch im Alltag anwendet, das kann man im Englischunterricht gar nicht vermitteln. Er blickt über den
„Ich bin tatsächlich etwas wasserscheu und werde nicht so gerne nass“, sagt Jonathan Steidle.
Tellerrand hinaus“, sagt Christina Pollpeter-Langeheinecke, Abteilungsleiterin für Sport, Sprachen und Psychologie an der Liebfrauenschule. Die Lehrerin kommt selbst aus dem Profisport und hat viel Verständnis für die Leistung des Schülers. Mit frechen Sprüchen seiner Mitschüler in Bezug auf seine Fehlzeiten und sein exklusives Hobby kann Jonathan gut umgehen.
Für seinen Verein, den Bodensee-YachtClub Überlingen, segelt Jonathan Steidle außerdem in einem Viererteam mit dem J70 sogar in der Jugendbundesliga; an fünf Spieltagen pro Jahr. Coronabedingt flossen heuer nur zwei Spieltage in die Wertung mit ein, die hat sein Team mit dem ersten und zweiten Platz belegt, Steidle darf sich daher deutscher Juniorensegelmeister nennen. „Das macht mich schon sehr stolz“, sagt Jonathan Steidle. Zählt man die Erfolge der Steidlebrüder zusammen, hätten sie „alles gewonnen, was man gewinnen kann.“
Die Brüder haben sich nun aus dem Leistungssport verabschiedet, Jonathan selbst steht nun an einer Wegkreuzung: Konzentriert er sich auf sein Studium – was genau er machen will, weiß er noch nicht – oder will er eine Profisportlerkarriere anstreben, was Olympia als sein nächstes Ziel definieren würde? „Ich bin mir noch nicht sicher“, sagt der 18-Jährige. Erst einmal will er das Abitur so gut wie mög- lich bestehen. In Kiel gebe es die Möglichkeit, länger zu studieren und sich nebenher auf die Olympiade – frühestens für 2024 – vorzubereiten. Sein Hobby aufzugeben, kommt jedenfalls nicht infrage. „Das Segeln verändert einen“, sagt Jonathan Steidle. „Ich bin zwar tatsächlich etwas wasserscheu und werde nicht so gerne nass“, sagt der Sportler grinsend. „Aber ansonsten ist Wasser für mich alles.“