Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Über Respekt, Toleranz und Perspektiven
Der Autor Fadi Saad disktuiert mit Schülern über Andersartigkeit und Brennpunkte
ALTSHAUSEN - Im Rahmen der jährlichen Frederickwoche der Literaturinitiative des Landes BadenWürttemberg hat die Herzog-Philipp-Verbandsschule Fadi Saad eingeladen. Am Freitag machte der Berliner Autor auf seiner Lesereise durch Süddeutschland dort Halt, um vor der achten Klasse aus seinem Buch „Der große Bruder aus Neukölln - ich war einer von ihnen“vorzutragen.
Als jener, der er einmal war, wolle er nicht mehr so gerne bezeichnet werden, erzählt er der „Schwäbischen Zeitung“. Mittlerweile seien es alte Kamellen, die 30 Jahre alten Geschichten über seine Jugendzeit in einer Berliner Jugendgang, über sein Bösesein und Schuleschwänzen. „Das ist schon seit ewigen Zeiten vorbei“, sagt der heute 41-jährige Familienvater. Dass die Erfahrungen dieser Phase mit zu seinem Wissen beigetragen haben, wie man mit Menschen und Situationen in Berliner Problem-Stadtteilen umzugehen hat, wie man sie erreicht und versteht, stehe für ihn außer Frage. Als hauptberuflicher Polizeibeamter in der operativen Ermittlung bei der Kriminalpolizei Berlin und dort zuständig für die Brennpunkte, muss es das auch.
Saad arbeitet neben seiner Autorentätigkeit also dort, wo es keiner gerne tut, wo das Hinsehen schmerzen kann und die eigenen Bemühungen manchmal nicht fruchten, sondern frusten. Diese Strecke, die jetzt die Generation nach ihm auf den Straßen der Brennpunkte läuft, ist er meilenweit selbst gegangen. „Alles war eine Identitätsfindung, das ganze Leben ist eine Identitätsfindung. Je weiter vorangeschritten das Alter, desto lauter ruft die Frage in einem: Wer bin ich, was stelle ich dar, und wie werde ich von außen gesehen?“, erzählt er.
Und davon handle auch sein erstes Buch, mit dem er bis Freitag auf Lesereise durch Süddeutschland war. Als Autor war er in Schulen unterwegs, nicht als Polizeibeamter. Er erzählt nicht von seinem Hauptberuf, sondern von sich als Autor und seinen persönlichen Lebenserfahrungen. An der Herzog-Philipp-Verbandsschule in Altshausen stellte er sich vor die Schüler der achten Klassen im Alter zwischen 13 und 15 Jahren, deren Klassenlehrerin Silke Weißenrieder und Schulsozialarbeiterin Brigitte Reißer und erzählte nicht nur aus seinem Buch, sondern warf den jungen Menschen Fragen entgegen, erwartete Antworten von ihnen: „Glaubt ihr mir, dass ich kein Deutscher bin, obwohl ich akzentfrei deutsch spreche? Nein? Warum sagt ihr es nicht? Habt ihr Angst, als Rassisten abgestempelt zu werden? Wenn ja, warum?“, stellte er provokativ in den Raum.
Zunächst kam verhaltenes Schweigen aus dem Publikumsraum zurück. Dann wurde die Schulklasse lockerer, Gespräche entstanden, auch Episoden aus der eigenen Erfahrung wurden kurzweilig diskutiert. Es wurde miteinander gelacht, um kurz darauf entspannt in die Tiefe zu gehen: „Was ist Respekt? Was ist Religion? Was ist Stolz, Ehre, Herkunft, Kultur? Wo ordnet ihr welches Verhalten ein?“, fragte Saad als Redner, der es vermag, in kurzer Zeit eine unbequeme Stimmung aufzulockern und die Jugendlichen in einem Gesprächsmiteinander zusammenzubringen, ein Kursdozent, der fürs Leben unterrichtet. „Ungefähr so gelangt man an die Gründe der Perspektivlosigkeit mancher Jugendlicher“, erzählt er später im Interview. „Jeder, der will, findet einen Weg. Wer nicht will, sucht noch nach Gründen“, so seine Lebenslehre. Schuld für das eigene Misslingen sei dann die Gesellschaft, die Politik, das Umfeld, die Herkunft, fehlende Chancen.
„Die Gründe werden zumeist nie in sich selbst gesucht. Aber bei mir selbst beginnt die Veränderung“, sagt er mit Blick auf seinen holprigen Lebensweg. „Ich habe irgendwann die Lebenskehrtwende gemacht. Ich war auf der Hauptschule, habe meine Ausbildung absolviert und nach dem vierten Versuch meinen Wunschausbildungsplatz zum Polizisten erhalten.“
Aber solche Mutmach-Geschichten hören viele nicht mehr, wenn man sie ihnen nicht erzählt, sie zum Zuhören regelrecht auffordert, sondern bleiben im blinden Sumpf stecken. „Wir leben zwar in einer Stadt, in einer Straße, sogar in einem Haus. Aber wir kennen uns nicht wirklich, weil in der Gesellschaft echte Begegnung, Berührung, die Bereitschaft, Fremdes, Andersartiges wirklich kennenzulernen, fehlt“, sagt er. Und die Toleranz, meint er. „Alle Welt spricht über Respekt, selbst in der Jugendsprache ist der Begriff gelandet. Doch kaum einer kann beschreiben oder erläutern, wie man Respekt lebt.“
Überhaupt: die Jugendsprache: Was ihm aus den Ohren quelle, seien die Begriffe „Oha“und „Tschüsch“.„Wisst ihr, was ihr da sagt? Mit Oha und Tschüsch stoppen in der Türkei Bauern ihre Esel. Wenn ich euch so reden höre, komme ich mir vor wie auf einem Bauernhof. Völlig bekloppt!“, meint er. Das meine er ebenfalls mit Bewusstsein und Wissen, um das, was man tut und sagt, mit seiner Bitte um Reflexion. Ebenso um den Filter, welchem Wissen man als Jugendlicher Wert beimesse. „Wer ist der Bundespräsident? Wer ist Wirtschaftsminister? Was wisst ihr über die verschiedenen Religionen?“Saad regte in seinem Vortrag nicht nur zum Lachen an, sondern forderte zum Nachdenken auf. Und darum geht es auch in seinem Buch. Die Seiten sind gefüllt mit solchen Geschichten, ohne jedoch, dass Saad den mahnenden Zeigefinger allzu hoch hält. Er ist ein Erzähler, weniger lehrend als aufrüttelnd, eher konfrontierend als frontal.
„Wenn ich in Jugendstrafanstalten Vorträge halte, fangen die Jugendlichen an zu weinen“, sagt er. Saad weiß, wo und wie man Menschen erreicht, das Leben selbst hat es ihn gelehrt. Den bösen Buben nimmt man dem mit einer Christin verheirateten Palästinenser heute nicht mehr ab. Für sein soziales und kulturelles Engagement wurde Fadi Saad mehrfach ausgezeichnet.