Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Wirtschaft mit Rekordanstieg
Corona könnte Aufschwung jedoch bremsen
WIESBADEN/BERLIN (dpa/fmk) Die deutsche Wirtschaft hat mit einem unerwartet kräftigen Wachstum im dritten Quartal einen Teil des coronabedingten Einbruchs wettgemacht. Trotz eines Rekordanstiegs des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 8,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal ist Europas größte Volkswirtschaft aber noch nicht über den Berg. Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet in seiner aktuellen Prognose im Gesamtjahr mit einem Einbruch der Wirtschaftsleistung von 5,5 Prozent.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier sieht die Entwicklung der Konjunktur angesichts der zweiten Corona-Welle am Scheideweg. Zwar erwartet der CDU-Politiker 2020 nun einen geringeren Konjunktureinbruch als zuvor und rechnet im kommenden Jahr mit einem Aufschwung. Er sagte aber zugleich: „Das Pendel kann in die eine oder andere Richtung ausschlagen.“
BERLIN - Die Bundesregierung hat ihre Konjunkturprognose für das laufende Jahr angesichts starker Wirtschaftsdaten nach oben korrigiert – trotz steigender Corona-Fallzahlen. „Die deutsche Wirtschaft zeigt sich erfreulich robust“, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am Freitag in Berlin. Statt einem Minus von 5,8 Prozent erwartet sein Haus nun ein Minus von 5,5 Prozent für das Gesamtjahr. Für die verbleibenden drei Monate erwarten die Experten nun immerhin noch ein kleines Wachstum von 0,4 Prozent.
Auch der Lockdown in einigen Branchen wird nach Ansicht des Wirtschaftsministeriums gesamtwirtschaftlich gesehen kein neues Loch reißen. Die betroffenen Wirtschaftszweige – Gastronomie, Veranstaltungen und Kultur – erwirtschaften rund acht Milliarden Euro, die durch das Sonder-Hilfspaket zumindest rechnerisch aufgefangen werden. Außerdem machen sie nur einen vergleichsweise kleinen Anteil an der gesamten Wirtschaftsleistung in Höhe von 800 Milliarden Euro aus.
Wichtige Impulse für die Industrie macht Altmaier dagegen in Asien aus. Die großen Volkswirtschaften China, Japan, Südkorea und Taiwan haben die Pandemie bereits weitgehend hinter sich gelassen und auf Normalbetrieb zurückgeschaltet. Da auch in der EU keine Grenzschließungen mehr drohen, könne der Export weiterlaufen. Für das kommende Jahr erwartet Altmaier daher trotz Pandemie ein Wachstum von 4,4 Prozent. Das bedeutet: eine ordentliche Erholung, aber noch keine Rückkehr zum Niveau vor der Krise. Erst im übernächsten Jahr soll Corona dann ausgestanden sein.
Altmaier zeigte sich insgesamt zuversichtlich, dass der neue Lockdown wie geplant auf den November beschränkt bleibt. Das konkrete Ziel sei es, die Zahl der täglichen Neuinfektionen auch in den schwer betroffenen Gebieten wieder unter 50 zu drücken. Derzeit sei es „juristisch eindeutig“, dass die Einschränkungen Ende November auslaufen. Es sei aber zu früh, über die danach folgenden Maßnahmen zu sprechen – dazu komme es zu sehr auf die Entwicklung der Lage an. Auch über eine Verlängerung der Mehrwertsteuer-Erleichterung über das Jahresende hinaus wollte er „nicht spekulieren“. Im Gegenteil: Er erhoffe sich gerade von der Begrenzung, dass die Verbraucher Kaufentscheidungen in den Dezember vorziehen. Auch das wirkt stützend auf die Konjunktur.
Ökonomen sehen die betont zuversichtliche Haltung des Ministers zum Teil kritisch. „Altmaiers Prognose erinnert eher an einen auf Optimismus zielenden Durchhalteappell“, sagt Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel von der Universität Bremen. Das Ministerium unterschätze die „systemischen Schäden“, die schon der erste Lockdown hinterlassen habe. Ruinierte Geschäfte, Theater, Restaurant und andere Betriebe werden auch nach Überwindung der Pandemie für die Wirtschaftsleistung ausfallen, deshalb lasse die Erholung vermutlich noch länger auf sich warten. Doch gerade deshalb hält auch Hickel die üppige Förderung der betroffenen Branchen während des November-Lockdowns für richtig: „Der Bund verhindert den unverschuldeten Absturz von Unternehmen.“Damit halte er Produktionsstätten am Markt.
Die Experten erwarten im Gesamtbild einen harten Winter vor dem nächsten Aufschwung. „Das Pandemiegeschehen nimmt Verbrauchern und Unternehmen die Zuversicht“, kommentierte Ökonom Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) am Dienstag. Dabei seien die finanziellen Reserven vieler Unternehmen immer noch von dem Lockdown im Frühjahr aufgezehrt. „Der Aufschwung wird sehr wahrscheinlich deutlich ausgebremst werden.“
Dennoch ist die Ausgangslage für den Corona-Winter besser als noch im Frühjahr erwartet. Der September war für viele Branchen ein guter Monat. Der Einzelhandel verkaufte 6,5 Prozent mehr als im gleichen Monat des Vorjahres, teilte das Statistische
Bundesamt am Freitag mit. Auch hier zeigte sich jedoch ein Trend zu Ausgaben für Wohnung und Familie. Die Leute kauften elf Prozent mehr Einrichtungsgegenstände, Kochutensilien oder Baumarktartikel. Sie sparten dagegen weiter an neuer Kleidung und gingen seltener in Kaufhäuser. Stattdessen floriert vor allem der Onlinehandel.
In den Monaten Juli, August und September erlebte die Wirtschaft einen regelrechten Boom. Das Statistische Bundesamt verzeichnet in seiner Schnellmeldung vom Freitag ein Wachstum in Höhe von 8,2 Prozent. Das ist deutlich mehr, als die Wirtschaftsforschungsinstitute und das Ministerium erwartet haben. Altmaiers Beamte haben in ihrem aktuellen Zahlenwerk übrigens noch mit der alten Prognose von 7,1 gerechnet. Er wolle bei seiner Vorhersage trotzdem eher vorsichtig sein, statt unbegründeten Optimismus zu verbreiten, sagte Altmaier.