Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Allerheiligen feiern – dem Virus zum Trotz
Gräbersegnung und Totengedenken finden in Corona-Zeiten unter erschwerten Bedingungen statt
Eigentlich sollte der Allerheiligentag für die Familie Bergmann in Ulm so wie in den Vorjahren ablaufen: Nach dem Gottesdienst wollte die Familie die Gräber der verstorbenen Angehörigen aufsuchen und dort auf den Pfarrer warten, der zusammen mit der Familie ein Gebet sprechen und dann die Gräber mit Weihwasser segnen würde: „So haben wir es in den Vorjahren gehandhabt, so wollten wir es in diesem Jahr ebenfalls machen“, sagt Ernst Bergmann. So aber wird es in diesem Jahr wegen Corona nicht möglich sein.
Der November mit seinen eher trüben Tagen ist der Monat des Totengedenkens. Die katholische Kirche feiert am 1. November Allerheiligen. Der eigentliche Totengedenktag ist Allerseelen am Tag drauf. Doch da Allerheiligen in einigen Ländern Feiertag ist, hat es sich durchgesetzt, an diesem Tag die Friedhöfe zu besuchen und die Gräber zu segnen. An Allerheiligen wird der Heiligen gedacht, auch der weniger bekannten. An Allerseelen wird für die Verstorbenen gebetet, damit Gott ihre Seelen in den Himmel aufnimmt. Die evangelischen Christen feiern am 22. November den Totensonntag.
Zur Tradition an Allerheiligen gehört wie in Ulm die Gräbersegnung, viele Gläubige besuchen dabei das Grab ihrer verstorbenen Angehörigen. Ein wichtiges Ritual sei das, findet Prälat Rudolf Hagmann, der lange das Seelsorgeamt der Diözese Rottenburg-Stuttgart geleitet hat, bis vor Kurzem Pfarrer in Tettnang war und nun in Ravensburg im Ruhestand lebt. „Viele haben Angst, die Verstorbenen könnten vergessen werden“, sagt Hagmann. Der Gang zum Grab, das Anzünden einer Kerze seien hier unglaublich wichtig, „das ist keine theoretische Sache“. Zudem stifte dieser Tag Gemeinschaft: „Man ist nicht alleine, wenn man den Friedhof besucht.“
Der individuelle Besuch an den Gräbern ist möglich, doch die Segnung durch den Geistlichen mit Weihwasser an vielen Orten nicht. Die Corona-Pandemie macht auch dieser uralten Tradition einen Strich durch die Rechnung. Seit vielen Monaten sind nicht nur die Weihwasser-Becken an den Eingängen der Kirchen leer, am Allerheiligentag werden nun auch vielerorts die Geistlichen höchstens in Begleitung von Ministranten über die Friedhöfe gehen und die Gräber segnen: Die Begegnung allzu vieler Menschen soll vermieden werden, Abstand halten ist angesagt. Dass er nicht anwesend sein kann, wenn Weihwasser auf die Gräber fällt, bereitet nicht nur dem Ulmer Ernst Bergmann Unbehagen.
Gerade die Symbolkraft des Wassers ist zutiefst christlich, wie Prälat Hagmann weiß: „Schon in der Schöpfungsgeschichte, im Buch Genesis, ist vom Geist Gottes, der über den Wassern schwebte, die Rede. Wasser bedeutet in der ganzen Bibel: Leben.“
Weiter erinnert Hagmann an Moses, der im Alten Testament das Volk Israel aus der Gefangenschaft herausführt. In der Wüste droht das Projekt zu versanden, das Volk hat Durst. Moses klopft an einen Felsen: „Und der harte Felsen wird weich. Wasser fließt aus ihm heraus. Das Volk trinkt. Sein Durst kann gelöscht werden. Das Volk hat wieder Kraft für den Weg durch die Wüste. Es hat Lebensmut gewonnen“, schreibt der Benediktinerabt Albert Altenähr.
„Das Wasser steht ganz stark für die Zusage Gottes an die Menschen, dass sie getragen werden, dass sie leben können, dass Er sie stärkt“, erklärt Hagmann, „darum ist bei der Taufe Wasser unabdingbar.“Dabei wird dem in die Kirche Aufzunehmenden Wasser über den Kopf gegossen. Und der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick ergänzt: „Wasser erinnert an die Taufe und stärkt die Verbindung mit Jesus Christus und seiner Kirche, schenkt Segen und Schutz an jedem Tag."
Die Erinnerung an die eigene Taufe erleben katholische Christen immer dann, wenn sie eine Kirche betreten: Weihwasserbecken stehen meist an den Eingängen der Gotteshäuser. Beim Betreten benetzen Christen ihre Fingerkuppen mit dem Wasser und bekreuzigen sich. Seit Monaten sind die Weihwasserbecken leer. Zu groß ist die Ansteckungsgefahr.
Wenn nun am Allerheiligentag die Gräber mit Weihwasser gesegnet werden, bedeutet dies nach christlichem Verständnis: Die Verstorbenen, die am Anfang ihres irdischen Lebens mit dem Wasser des Lebens getauft wurden und eine enge Verbindung mit Gott eingingen, leben nun, nach ihrem Tod, in Christus weiter. Daher dürfe die Segnung der Gräber nicht ausfallen, fordern die katholischen Bischöfe: „Die Gläubigen sollen ermutigt werden, selbst mit Weihwasser die Gräber zu segnen“, heißt es in einer Erklärung der Freisinger Bischofskonferenz, der Zusammenkunft der bayerischen Bischöfe. „Für Gottesdienste im Freien und den Gräbergang an Allerheiligen sollen technische Möglichkeiten voll ausgeschöpft werden“, heißt es in dem Papier weiter. „Die Bischöfe ermutigen die Pfarrgemeinden, die besondere Prägung dieser Zeit zu leben und alle Möglichkeiten an Gottesdiensten und im Brauchtum auszuschöpfen.“
Derweil regt die Pandemie auf der Suche nach Lösungen für den hygienischen Umgang mit Weihwasser die Kreativität an: Die Verantwortlichen der Basilika Birnau am Bodensee bieten in der barocken Wallfahrtskirche in Uhldingen-Mühlhofen ihren Besuchern einen fast kontaktlosen Weihwasserspender an. „Eine Gottesdienstbesucherin kam beim Blick auf den Desinfektionsspender auf die Idee und wir setzten diese um“, sagt eine Sprecherin der Basilika. „Not macht erfinderisch.“Der Apparat funktioniere genau wie der ursprüngliche Desinfektionsspender: Das Weihwasser komme heraus, wenn man mit dem Ellbogen auf den Bogen drücke.
Inzwischen gebe es solche Weihwasserspender aber auch zu kaufen, sagt die Sprecherin weiter. So stellt beispielsweise die Firma Foottec in der bayerischen Oberpfalz Spender her. Sie rüstete dafür eines ihrer Produkte um: kontaktlose Senf- und Ketchup-Spender für Imbissbuden. Nach Angaben einer Firmensprecherin haben mittlerweile rund 25 Kirchen deutschlandweit einen Weihwasserspender. Ein Exemplar sei auch nach Schweden geliefert worden.
Der Spender soll demnächst auch der Deutschen Bischofskonferenz vorgestellt werden. FoottecGründer Tobias Sturm ist sich sicher, dass der berührungslose Spender Zukunft hat, auch nach Corona. „Das wird bleiben. Gerade zur Weihnachtszeit sind alle verschnupft und langen dann in das Weihwasserbecken rein“, sagt er.
Albern oder einfallsreich? Die Gemeinde von Pfarrer Tim Pelc liegt im US-Bundesstaat Michigan, der besonders von der Corona-Pandemie betroffen ist. Pelc greift deshalb zu außergewöhnlichen Methoden – und sorgt sich darum, was der Vatikan wohl dazu sagt. Er hält Gläubige mithilfe einer Wasserpistole auf Abstand. Auf Facebook zeigen Fotos, wie Pfarrer Tim Pelc mit einer Spielzeugpistole Weihwasser verspritzt. Ausgerüstet mit Maske, Gesichtsschild und Handschuhen segnet der 70-Jährige im Auto mitgebrachte Gegenstände. Pelc verriet auf „BuzzFeed News“, er sei etwas besorgt gewesen, was man wohl im Vatikan über diese Fotos denken werde, die sich im Internet wie ein Lauffeuer verbreiteten. Bislang habe er aber nichts gehört.
Eine weitere Idee kommt aus dem Rheinland. Dort gilt Peter Heuser als der Erfinder vom „Weihwasser to go“. Er ließ kleine Tüten mit feuchten Weihwassertüchern, über die ein Segensgebet gesprochen wurde, anfertigen. Die Idee kam dem Bauunternehmer nach einem Jagdabend und einem kühlen Kölsch. Bislang hat er 18 000 Tütchen auf eigene Kosten herstellen lassen und sie verschenkt. Der Absatz sei reißend, heißt es. Doch die Deutsche Bischofskonferenz fragt auf ihrem offiziellen Facebook-Auftritt:
„Hat das noch etwas mit dem eigentlichen Sinn, dem Gedächtnis an die Taufe beim Bekreuzigen mit den befeuchteten Fingern, zu tun?“
Zurück zum Ravensburger Geistlichen Rudolf Hagmann, der diese Innovationen und Ideen durchaus kritisch sieht: „Man sollte Weihwasser nicht verdinglichen! Im Neuen Testament sagt Jesus: Dein Glaube hat dir geholfen!“Er erinnert an die Legende der elsässischen Adeligentochter Ottilie. Sie wurde blind geboren. Aber: Ein blindes Kind zu haben, wurde im 7. Jahrhundert als Schande für die Familie angesehen. So beschloss ihr Vater, Ottilie töten zu lassen. Ihre Mutter, die dies nicht zulassen wollte, gab das Mädchen zur Obhut in das Kloster Palma in Baume-les-Dames. Dort wuchs Ottilie auf. Als sie zwölf Jahre alt war, kam der Bischof von Regensburg in das Kloster Palma. Er sollte Ottilie taufen. Als das geweihte Wasser ihre Augen berührte, wurde sie der Legende nach von ihrer Blindheit befreit und weihte ihr Leben fortan Gott.
Hagmann, der als Seelsorger jahrzehntelang an Allerheiligen Gräber segnete, ermutigt die Gläubigen ausdrücklich, in diesem Glauben ihre Tradition weiterzuführen, ob mit oder ohne Geistlichen. „Familien können am Grab einen Psalm oder das Vaterunser beten, sie können der Toten gedenken und natürlich selbst das Grab mit Weihwasser, das sie aus der Kirche mitnehmen oder dort bekommen, segnen.“Ihm ist wichtig: „Stehen Sie nicht sprachlos am Grab, bis der Priester kommt! Zünden Sie eine Kerze an, bringen Sie Blumen mit!“
„Stehen Sie nicht sprachlos am Grab, bis der Priester kommt! Zünden Sie eine Kerze an, bringen Sie Blumen mit“,
bittet der Ravensburger Geistliche Rudolf Hagmann.