Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Herdenschutz als alleiniges Ziel wäre viel zu gefährlich“
RAVENSBURG - Ab dem kommenden Montag gelten wieder strengere Kontaktbeschränkungen. Denn trotz immer weiterer Anpassungen der Regeln steigen die Infektionszahlen drastisch an. Daniel Hadrys wollte von Virologe Thomas Mertens wissen, welche Berechnungen den Entscheidungen zu strengeren Maßnahmen zugrunde liegen könnten.
Kann man davon ausgehen, dass es durch die bisher geltenden Maßnahmen eine Obergrenze für die täglichen Neuinfektionen gibt? Gibt es dazu Modellrechnungen?
Mit Modellrechnungen hat man abgeschätzt, wie sich die Infektionszahlen in verschiedenen Ländern weiterentwickeln werden. Eine Obergrenze möglicher Infektionen ergibt sich letztlich durch die Anzahl infizierbarer Menschen. Unter der Voraussetzung, dass mehrfache Infektionen des gleichen Wirtes keine wesentliche Rolle spielen. Hier kommt die Frage des sogenannten Gemeinschaftsschutzes (Herdenimmunität) ins Spiel. Leider wissen wir über Dauer der Immunität nach Sars-CoV-2-Infektion oder zukünftiger Impfung immer noch nicht genau Bescheid. Damit sind Aussagen über Herdenschutz vorläufig. Weltweit sind sich fast alle Virologen und Epidemiologen absolut einig, dass man das Erreichen eines möglichen Herdenschutzes nicht als alleiniges Ziel von Maßnahmen definieren kann (ursprünglich mal „Schwedisches Modell“). Das wäre viel zu gefährlich und könnte Folgen nach sich ziehen, die medizinisch und wirtschaftlich am Ende noch viel schlimmer wären als die jetzigen Einschränkungen. So haben sich auch alle deutschen Virologen in einer eindringlichen Stellungnahme geäußert, in der auch die einzelnen Argumente aufgeführt werden. Diese ist auf der Webseite der Gesellschaft für Virologie einsehbar.
Es gibt Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass die Versorgung mit Vitamin D als Therapie sinnvoll sein kann. Was bewirkt Vitamin D im Körper?
Vitamin D hat eine allseits bekannte Bedeutung für den Knochenstoffwechsel. Es gibt eigentlich keinen Zweifel daran, dass Vitamin D bei fast allen Immunmechanismen irgendwie beteiligt ist. Die Datenlage ist hier aber ziemlich kompliziert. Alle Zellen des Immunsystems haben Rezeptoren für Vitamin D. Experimentell kann man im Labor auch Effekte durch Vitamin D nachweisen. Insgesamt reguliert Vitamin D das Immunsystem in Richtung „antientzündlich“. In Tierexperimenten kann man mit fast toxischen (giftigen) Konzentrationen auch gewisse Effekte gegen Infektionen/ Entzündungen zeigen. Solche Mengen an Vitamin D kann man aber Menschen nicht verabreichen. Die widersprüchliche Studienlage beim Menschen lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass es keinen Beweis für eine therapeutische Wirksamkeit von Vitamin D (also durch Gabe bei Erkrankung) gibt. Eine kleine, nicht gut durchgeführte Studie aus Spanien ändert daran auch nichts. Hier brauchen wir noch viele gute Untersuchungen. Was man wohl sagen kann, ist, dass ein bestehender Vitamin-D-Mangel ungünstig ist für den Verlauf einiger Atemwegsinfektionen. Insofern sollte man einen bestehenden Vitamin-D-Mangel durch Nahrungszusatzstoffe ausgleichen, ohne zu übertreiben. Sonst kann es unerwünschte Nebenwirkungen wie beispielsweise Nierensteine geben.