Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Plagiat im Präsidentenpalast
Erdogans Boykottaufruf gegen Frankreich wird zum Eigentor – Warum eine Handtasche zum Politikum wurde
ISTANBUL - Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Landsleute diese Woche zum Boykott französischer Waren aufrief, kam die Antwort von Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu postwendend: Wenn es darum gehe, Produkte aus Frankreich zu meiden, dann solle Erdogans Gattin Emine als Erstes ihre teure französische Designerhandtasche der Edelmarke Hermès im Garten des Präsidentenpalastes verbrennen, forderte Kilicdaroglu. Die Hermès-Tasche für 50 000 Euro gehört zu den Luxusaccessoires, für die die First Lady bekannt ist. Das Präsidialamt versuchte daraufhin, dem Eindruck der Prunksucht zu widersprechen – und machte alles nur noch schlimmer. Emine Erdogan trage grundsätzlich nur Plagiate, ließ das Amt verlauten.
Erdogan wirft dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron eine islamfeindliche Haltung vor. In einigen türkischen Städten gab es in den vergangenen Tagen antiranzösische Demonstrationen. Zusätzlich verschärft wurde der Streit durch die Veröffentlichung einer Erdogan-kritischen Karikatur im französischen Satiremagazin „Charlie Hebdo“. Die türkische Regierung nutzt die Auseinandersetzung dazu, von der schlechten Wirtschaftslage im eigenen Land abzulenken: Die Landeswährung Lira sackte am Freitag auf neue Tiefststände gegenüber Dollar und Euro ab und hat seit Jahresbeginn rund 30 Prozent an Wert verloren.
Kilicdaroglus Hinweis auf die Handtasche der Präsidentengattin kam der Regierung deshalb sehr ungelegen. Der extravagante Geschmack von Emine Erdogan erregt schon lange Aufsehen und Unwillen. Als sie ihren Mann vor einigen Jahren auf einem Besuch in Brüssel begleitete, meldeten belgische Medien, mehrere Luxusgeschäfte seien für Normalsterbliche gesperrt worden, damit Frau Erdogan in Ruhe dort einkaufen konnte.
Die Regierung kämpft schon länger gegen die Berichterstattung über die Hermès-Tasche und andere Luxusgüter. In Istanbul steht derzeit der Journalist Ender Imrek vor Gericht, weil er in der linken Tageszeitung „Evrensel“die teure Handtasche der First Lady thematisiert hatte. Die Staatsanwaltschaft wirft Imrek vor, die Präsidentengattin beleidigt zu haben, weil seine Kolumne nichts Positives über sie enthalten habe.
Dank Kilicdaroglu wird jetzt erst recht wieder über die Handtasche diskutiert. „Canta“, das türkische Wort für Tasche, war in der Türkei am Freitag das am häufigsten aufgerufene Schlagwort auf Twitter. Das hatte nicht nur mit dem teuren Accessoire an sich zu tun, sondern auch mit der völlig misslungenen Informationspolitik der Regierung.
Die regierungsnahe Zeitung „Hürriyet“berichtete in einem Artikel der prominenten Journalistin Hande Firat, Emine Erdogan müsse keine Tasche verbrennen, weil sie ohnehin nur Plagiate von MarkenHandtaschen trage. Der Artikel sollte offenbar dem Eindruck entgegenwirken, die Präsidentengattin gebe das Geld mit vollen Händen aus. Doch mit dem Beitrag manövrierte sich die Staatsführung noch tiefer in den PR-Schlamassel: Entweder ist Frau Erdogans Handtasche echt, was die Boykottaufrufe als Heuchelei entlarven würde – oder die First Lady der Türkei unterstützt die Produktpiraterie.
Regierungsgegner genießen die Gelegenheit, Hohn und Spott über Erdogan und der regierungsnahen Presse auszuschütten. Der Menschenrechtsanwalt Kerem Altiparmak machte sich auf Twitter darüber lustig, dass die Regierung erst nach der Kritik der vergangenen Tage plötzlich entdeckt haben wolle, dass die Tasche angeblich nicht echt ist. Auf Import und Export illegaler Kopien von Markenware stehe eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren, merkte der Anwalt Hüseyin Aygün an. Andere Twitter-Nutzer wiesen darauf hin, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einer Handtasche für 295 Euro zurechtkomme. Auch Hande Firat bekam ihr Fett ab: Sie wurde wegen ihrer missglückten Hofberichterstattung als „Plagiats-Journalistin“verhöhnt.