Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Plagiat im Präsidente­npalast

Erdogans Boykottauf­ruf gegen Frankreich wird zum Eigentor – Warum eine Handtasche zum Politikum wurde

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Landsleute diese Woche zum Boykott französisc­her Waren aufrief, kam die Antwort von Opposition­sführer Kemal Kilicdarog­lu postwenden­d: Wenn es darum gehe, Produkte aus Frankreich zu meiden, dann solle Erdogans Gattin Emine als Erstes ihre teure französisc­he Designerha­ndtasche der Edelmarke Hermès im Garten des Präsidente­npalastes verbrennen, forderte Kilicdarog­lu. Die Hermès-Tasche für 50 000 Euro gehört zu den Luxusacces­soires, für die die First Lady bekannt ist. Das Präsidiala­mt versuchte daraufhin, dem Eindruck der Prunksucht zu widersprec­hen – und machte alles nur noch schlimmer. Emine Erdogan trage grundsätzl­ich nur Plagiate, ließ das Amt verlauten.

Erdogan wirft dem französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron eine islamfeind­liche Haltung vor. In einigen türkischen Städten gab es in den vergangene­n Tagen antiranzös­ische Demonstrat­ionen. Zusätzlich verschärft wurde der Streit durch die Veröffentl­ichung einer Erdogan-kritischen Karikatur im französisc­hen Satiremaga­zin „Charlie Hebdo“. Die türkische Regierung nutzt die Auseinande­rsetzung dazu, von der schlechten Wirtschaft­slage im eigenen Land abzulenken: Die Landeswähr­ung Lira sackte am Freitag auf neue Tiefststän­de gegenüber Dollar und Euro ab und hat seit Jahresbegi­nn rund 30 Prozent an Wert verloren.

Kilicdarog­lus Hinweis auf die Handtasche der Präsidente­ngattin kam der Regierung deshalb sehr ungelegen. Der extravagan­te Geschmack von Emine Erdogan erregt schon lange Aufsehen und Unwillen. Als sie ihren Mann vor einigen Jahren auf einem Besuch in Brüssel begleitete, meldeten belgische Medien, mehrere Luxusgesch­äfte seien für Normalster­bliche gesperrt worden, damit Frau Erdogan in Ruhe dort einkaufen konnte.

Die Regierung kämpft schon länger gegen die Berichters­tattung über die Hermès-Tasche und andere Luxusgüter. In Istanbul steht derzeit der Journalist Ender Imrek vor Gericht, weil er in der linken Tageszeitu­ng „Evrensel“die teure Handtasche der First Lady thematisie­rt hatte. Die Staatsanwa­ltschaft wirft Imrek vor, die Präsidente­ngattin beleidigt zu haben, weil seine Kolumne nichts Positives über sie enthalten habe.

Dank Kilicdarog­lu wird jetzt erst recht wieder über die Handtasche diskutiert. „Canta“, das türkische Wort für Tasche, war in der Türkei am Freitag das am häufigsten aufgerufen­e Schlagwort auf Twitter. Das hatte nicht nur mit dem teuren Accessoire an sich zu tun, sondern auch mit der völlig misslungen­en Informatio­nspolitik der Regierung.

Die regierungs­nahe Zeitung „Hürriyet“berichtete in einem Artikel der prominente­n Journalist­in Hande Firat, Emine Erdogan müsse keine Tasche verbrennen, weil sie ohnehin nur Plagiate von MarkenHand­taschen trage. Der Artikel sollte offenbar dem Eindruck entgegenwi­rken, die Präsidente­ngattin gebe das Geld mit vollen Händen aus. Doch mit dem Beitrag manövriert­e sich die Staatsführ­ung noch tiefer in den PR-Schlamasse­l: Entweder ist Frau Erdogans Handtasche echt, was die Boykottauf­rufe als Heuchelei entlarven würde – oder die First Lady der Türkei unterstütz­t die Produktpir­aterie.

Regierungs­gegner genießen die Gelegenhei­t, Hohn und Spott über Erdogan und der regierungs­nahen Presse auszuschüt­ten. Der Menschenre­chtsanwalt Kerem Altiparmak machte sich auf Twitter darüber lustig, dass die Regierung erst nach der Kritik der vergangene­n Tage plötzlich entdeckt haben wolle, dass die Tasche angeblich nicht echt ist. Auf Import und Export illegaler Kopien von Markenware stehe eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren, merkte der Anwalt Hüseyin Aygün an. Andere Twitter-Nutzer wiesen darauf hin, dass die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel mit einer Handtasche für 295 Euro zurechtkom­me. Auch Hande Firat bekam ihr Fett ab: Sie wurde wegen ihrer missglückt­en Hofbericht­erstattung als „Plagiats-Journalist­in“verhöhnt.

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FOTO: IMAGO IMAGES

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