Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Bürgermeister sprechen sich für Alternativen aus
Rathauschefs wenden sich in einem offenen Brief an Kretschmann und fordern gesonderte Corona-Maßnahmen
SIGMARINGEN - In wenigen Tagen soll der Lockdown light beginnen, so der Beschluss der Bundesregierung. Doch nicht alle Bürgermeister BadenWürttembergs sind von den angedachten Maßnahmen gänzlich überzeugt. Ein offener Brief, der an Ministerpräsident Winfried Kretschmann gerichtet ist, macht deutlich, dass eine gesonderte, alternative Lösung gewünscht wird.
Mehr als 30 Bürgermeister haben dieses Schriftstück bereits unterzeichnet, aus dem Landkreis haben sich drei Rathauschefs entschlossen, die Aktion zu unterstützen. Neben Hettingens Bürgermeisterin Dagmar Kuster befürworten auch Doris Schröter (Bad Saulgau) und Sigmaringens Bürgermeister Marcus Ehm diese Initiative.
Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, stellt Ehm zunächst klar, „ich habe höchsten Respekt vor der Arbeit und den zu treffenden Entscheidungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Länderchefs“.
Dennoch habe er sich dazu entschlossen, den offenen Brief zu unterzeichnen. Darin wird erklärt, dass unklar ist, nach welchen Kriterien die Bereiche ausgewählt wurden, die ab Montag geschlossen werden. Außerdem machen Kunst, Kultur und Gastronomie das Leben in den Städten aus. „Sie einfach abzuschalten, gefährdet auf Dauer den Bürgersinn, Zusammenhalt und Lebensgeist der Stadtgesellschaft“, ist im Brief zu lesen.
Allerdings, das betont Sigmaringens Bürgermeister, ist den Unterzeichnern der „Ernst der Lage sehr wohl bewusst“. Seien die „weitreichenden pauschalen Schließungsmaßnahmen“im Frühjahr noch vertretbar gewesen, so gebe es nun neue Erkenntnisse, die in die Entscheidung einfließen sollten. Die geplanten Maßnahmen werden „als zu allgemein und undifferenziert gesehen“, sagt Ehm.
Aus seiner Sicht hätten sich keine sogenannten Hotspots, also Ausgangspunkte für Infektionsherde, in den Bereichen entwickelt, die ab Montag wieder vor einem Shutdown stehen. Dazu gehören die örtlichen Gastronomen, Hoteliers und kulturellen Einrichtungen, die ihrerseits Hygienekonzepte nach den Vorgaben des Landes entwickelt und umgesetzt haben. Gleiches gelte etwa für Gesundheitsund Fitnessstudios und im Sport- und Trainingsbereich, ergänzt Ehm. Da es bislang in keinem dieser Bereiche zu Masseninfektionen gekommen sei, seien die erneuten Schließungen in pauschaler Form kaum zu rechtfertigen.
Außerdem gibt Ehm zu bedenken, dass die Gewerbetreibenden die Sigmaringer Innenstadt lebendig halten.
Gleichwohl seien gewisse Maßnahmen für Großstädte wie beispielsweise Berlin oder Stuttgart eher nachvollziehbar, dies müsse aber nicht auch auf eine 17 000 Einwohner-Stadt im ländlichen Gebiet angewendet werden. Ein weiterer Grund für den Brief an den Ministerpräsidenten ist, dass die von der Bundesregierung erarbeiteten Grundsätze wegen des Föderalismusprinzips noch in die jeweiligen Länderrechte umgewandelt werden. Damit, so Ehm, ist der Brief der Kommunalchefs der formal korrekte Weg, um Anregungen abzugeben. Alternativen wären etwa, die angesprochenen
Bereiche unter Beibehaltung der Hygienekonzepte nicht zu schließen, wie es etwa bei Friseursalons der Fall ist. Grundsätzlich stehe für den Bürgermeister die Sicherheit der Menschen im Fokus, er verweist auf die geltenden Hygieneregeln.
Seine Amtskollegin Dagmar Kuster entschied sich aus ähnlichen Gründen dafür, den Brief zu unterzeichnen, da es wichtig sei, zu verifizieren, was die geplanten Maßnahmen betreffe. Mit dem Schreiben wollten die Bürgermeister der Landesregierung aufzeigen, wie „die Stimmung in den Kommunen“ist, sagt Kuster. Die Rathauschefs wollten auf diesem Wege schnell und unbürokratisch bei der Ausgestaltung der kommenden Corona-Verordnung durch die Landesregierung von BadenWürttemberg auf die möglichen Schwierigkeiten bei der Akzeptanz der Bürger aufmerksam machen. Zudem soll es als eine Art Konkretisierungshilfe dienen. Kuster stellt aber klar, dass „wir alle Maßnahmen, die zur Umsetzung kommen sollen, auch umsetzen werden“.