Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Wie Jugendliche zu Intensivtätern werden
Jugendreferentin der Polizei und Sozialpädagoge berichten.
SIGMARINGEN - Sie gehören zur Gruppe der Intensivtäter. Vier junge Männer und eine junge Frau werden im Kreis häufig straffällig: „Das Mädchen ist gewaltbereit, auch gegen Polizisten“, sagt die Jugendreferentin der Polizei, Alexandra Nabholz.
Einen der fünf Intensivtäter näher beschreiben, möchte der Sozialpädagoge Wolfgang Renn vom Jugendamt lieber nicht, weil die Jugendlichen sich sonst wiedererkennen und dies als Ansporn verstehen könnten. „Ich lasse mir einen einfallen“, sagt der Mann, der seit Jahrzehnten für die Jugendhilfe im Strafverfahren arbeitet. Ein Jugendlicher fängt im Alter von 13 Jahren mit dem Kiffen an, gleichzeitig kauft er „bargeldlos ein“, wie es Renn formuliert. Erst stiehlt er kleinere Sachen, später wird das Diebesgut größer, auch mal eine Stereoanlage ist dabei. „Wenn einer seinen Ausbildungsbetrieb bestiehlt, führt dies zur fristlosen Kündigung“, sagt Renn. Anfangs verhängen die Behörden Geldstrafen und soziale Arbeitsstunden – ihre Strafen steigern sich immer weiter, bis der Jugendliche für vier Wochen im Arrest in Göppingen einsitzt.
Was sonst auf das Konto der Intensivtäter geht, liest sich wie ein Auszug aus dem Strafgesetzbuch: Sachbeschädigung, Nötigung, Einbruch, Raub und mit Drogen werden die Heranwachsenden im Alter zwischen 16 und 20 Jahren häufiger erwischt. Aktuell sind vier von ihnen in Haft.
Was allen fünf Heranwachsenden – vier von ihnen haben einen Migrationshintergrund – gemein ist: Der Draht zum Elternhaus ist eingeschränkt oder ganz abgerissen. Für einige von ihnen sind Mutter oder Vater sogar „das erste Feindbild“, wie es die Jugendreferentin der Polizei formuliert. Wenn sich die kriminellen Heranwachsenden vom Elternhaus entfernen, wird für sie der Freundeskreis, die Clique immer wichtiger.
Sie gibt ihnen Halt, sie ist ihnen Heimat. „In ihrer Clique zeigen die Jugendlichen, dass sie sich was trauen“, sagt die Jugendreferentin.
Straftaten als Mutprobe sozusagen: Sie lügen einem Polizisten ins Gesicht oder beleidigen ihn und erarbeiten sich so die Anerkennung in ihrem Freundeskreis. Anerkennung, die sie in der Familie vermissen.
Obwohl die Clique eine wichtige Rolle spiele, in den Banden treten die Jugendlichen nicht auf, sagt die Polizei. Da vier der fünf Intensivtäter im Kreis aus Sigmaringen stammen, kennen sich viele von ihnen zwar, doch die Polizei stuft sie als Einzeltäter ein.
Die Strafbehörden schenken den Heranwachsenden eine größere Aufmerksamkeit, wenn 20 Delikte insgesamt oder fünf Gewaltdelikte auf ihr Konto gehen. Ab einem Alter von 14
Jahren gelten diese Grenzen, bei Kindern unter 14 Jahren schaut der Staat schon ab zehn Delikten oder drei Gewaltdelikten genauer hin. „Diese Zahlen sind für uns zwar ein Anhaltspunkt, aber wir gehen nicht nur nach ihnen vor“, sagt Ulrich Neuburger, der Leiter des Polizeireviers Sigmaringen.
Wie gehen die Strafbehörden mit den Intensivtätern um? Dranbleiben, möglichst nah, ist das Stichwort. Immer, wenn die Heranwachsenden etwas Ausfressen, weiß Alexandra Nabholz Bescheid – alle Akten gehen über den Schreibtisch der Jugendreferentin. Wie bei erwachsenen Straftätern ist das Gefängnis auf der Klaviatur des Richters eine der letzten Maßnahmen. Ein Schulverweis
kann ein Anfang sein. „Weil wir den Intensivtätern in den Schulen nicht die Plattform bieten wollen, sich durch Schlägereien zu profilieren“, sagt Sachbearbeiterin Nabholz.
Die Mitarbeiter im Jugendamt sind für die Polizei wichtiger Partner. Sie sind immer dabei, wenn die Strafbehörden aktiv werden. „Wir haben eine Art Doppelfunktion“, sagt Hubert Schatz, der Leiter des Sigmaringer Jugendamts. Einerseits arbeiten seine Mitarbeiter mit den Jugendlichen sozialpädagogisch, andererseits beraten sie die Gerichtsbarkeit. Bevor ein Richter eine Strafe verhängt, wird das Jugendamt eingebunden: „Die Staatsanwaltschaft gibt mir den groben
Rahmen für eine Strafe vor“, sagt Wolfgang Renn von der Jugendhilfe. Ein Aggressions-Training, das Ableisten von Sozialstunden, ein Täter-Opfer-Ausgleich sind mögliche Ansatzpunkte. Corona habe die Arbeit mit den Intensivtätern nicht einfacher gemacht. Vorher kamen die Sozialpädagogen in den elterlichen Haushalt, jetzt arbeiten sie vorwiegend übers Telefon. „Wir haben so leider oft kein Bild mehr“, sagt Sozialpädagoge Wolfgang Renn.
Was er und die Polizei beobachten: Wenn die Intensivtäter einen Freund und Partner außerhalb ihrer Clique finden, verhalten sich die Jugendlichen häufiger wieder so, wie es das Gesetz vorschreibt.