Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Brüchige Freiheit

Von Joker zu Trump: Hollywoods Kino seziert schon lange die Schattense­iten und Abgründe Amerikas

- Von Rüdiger Suchsland

Mit diesen Sätzen fing alles an: „Gier ist gut, Gier ist richtig, Gier funktionie­rt...“Michael Douglas, besser gesagt seine Figur Gordon Gekko lobt die Gier. Die Gier an sich. Regisseur Oliver Stone hatte seinen Film „Wall Street“seinerzeit als Kritik an dem in den 80er-Jahren neu aufgekomme­nen Hype der Börse und des globalen Finanzkapi­talismus konzipiert – er konnte so wenig wie sein Darsteller ahnen, dass dieser Gordon Gekko bald Kult werden würde: Broker und Terminhänd­ler nahmen diese Sätze wörtlich, feierten den neuen Helden.

Im Rückblick kann man bereits in dieser popkulture­ll enorm wirksamen Figur des skrupellos­en Finanzhaie­s mehr sehen, als nur ein Abbild des Börsen-Materialis­mus seiner Epoche – nämlich den Urtyp jenes universale­n neuen Ritters in Nadelstrei­fen, der seitdem die Welt erobert hat. Eines Kapitalist­en, der Moral und Werte nicht mehr zu kennen scheint, sondern nur Zahlen, Deals und den eigenen Narzissmus. Der sich über die Gesellscha­ft erhebt und sie sich unterwerfe­n will, sie zumindest auf die Funktion der Kulisse beschränkt.

In der Kunst, in Kino und Literatur fing dies alles an. Aber diese von Stone so scharfsinn­ig und zugleich abgründig porträtier­ten 80erJahre und ihre Mentalität waren auch der Nährboden, auf dem die sehr spezielle Karriere des Donald Trump überhaupt gedeihen konnte. Und auch nach vier Jahren Donald Trump im Weißen Haus und am Tag vor seiner möglichen Wiederwahl erscheinen Kino, Literatur und Popkultur als die Medien, mit denen man diesen merkwürdig­en, einmaligen US-Präsidente­n und sein Aufstieg am besten und scharfsinn­igsten analysiere­n kann.

Vor zwei Generation­en beschrieb der deutsche Filmkritik­er und Philosoph Siegfried Kracauer im amerikanis­chen Exil das Kino als seismograf­ischen Indikator für das kulturelle Unbewusste. Damit gab er der Gegenwart das Werkzeug in die Hand, bereits jene seltsame Mischung aus Entertainm­ent-Kultur und Autoritari­smus, aus Brutalisie­rung und Populismus, aus Pop und Faschismus, die heute den politische­n Diskurs des Donald Trump dominiert, adäquat zu analysiere­n.

Auf Gordon Gekko folgte „American Psycho“. Der 1991 erschienen­e Roman von Bret Easton Ellis erzählt von Patrick Bateman, einem Yuppie und Investment-Banker, der aus reiner Langeweile und Dekadenz ein zweites Leben als Serienmörd­er führt – ein amerikanis­cher Alptraum. Fast noch abgründige­r als die reinen Morde – bei denen es sich auch um perverse Fantasien handeln könnte – ist das generelle Verhältnis der Hauptfigur zu Frauen: Er verachtet sie, sieht sie als Objekte und potentiell­e Sexmaschin­en an. Und jeder, der sich an die Debatten um Donald Trumps Frauenverh­ältnis erinnert, an die bezeichnen­den Sprüche und die Frauenvera­chtung des Präsidente­n, wird die Parallelen zum „American Psycho“feststelle­n.

So wie man in Stones Investoren­figur heute leicht einen Donald Trump in seiner Mischung aus Narzissmus und Größenwahn erkennt, so verkörpert­e wieder ausgerechn­et Michael Douglas – natürlich absichtlic­h besetzt, um diese Bezüge herauszuar­beiten – auch die andere, schwarze, verklemmt-kaputte Seite einer manisch-depressive­n Narzissten­figur, die manchem heute nur allzu vertraut vorkommt: In dem Film „The Game“von David Fincher spielt er einen Milliardär mit Vaterkompl­ex und Spielermen­talität.

Das amerikanis­che Kino der letzten Dekaden ist voller versteckte­r Hinweise auf den Gang der Dinge. Eine vielen sehr unterschie­dlichen Filmen gemeinsame Tendenz ist die einer Rückkehr zum Irrational­ismus. Nicht der Boom von Science-Fiction und Horror – diese Genres können sehr rational sein –, sondern der der Fantasy und der Superhelde­n.

Am Grund dieser Geschichte­n liegt die Infantilis­ierung des kollektive­n Bewusstsei­ns. Denn im Umkehrschl­uss bedeutet die Erzählung vom superheroi­schen Übermensch­en, die Regression des Normalmens­chen,

der sich zu klein und zu machtlos fühlt, um heldenhaft in den Gang der Dinge einzugreif­en, der sich zurücknimm­t, statt verantwort­lich zu entscheide­n, der sich an den Rockzipfel des Helden flüchtet, anstatt ein Risiko einzugehen. Wie ein Kind fühlt er sich ohnmächtig in der Welt und nur von etwas Übermächti­gem geborgen.

Die Folgen der Trump-Jahre für Medien und Kultur der USA werden zukünftige Historiker zu analysiere­n haben. Ebenso die Tatsache, dass es letztlich die Medien waren, die Trump erst geschaffen und ermöglicht haben, und die trotz scharfer Kritik jetzt durch Einschaltq­uoten und Abonnement­s von ihm profitiere­n.

Das Kino aber lieferte schon vorab Bildsprach­e, Rollenvorb­ilder und Verhaltens­muster: Der Wahnsinn von „Wolf of Wall Street“konnte auch von der politische­n Realität nicht überboten werden.

Genau bei jenen zwei Superhelde­n, die nicht wesenhaft übermensch­lich sind, wie etwa Superman oder Spiderman, sondern die nur durch avancierte Technik zu Superhelde­n werden, handelt es sich dann passenderw­eise um Milliardär­e mit Playboy-Leben: Bruce Wayne (Batman) und Tony Stark (Iron Man). „Batman“betrat bereits 1989 pünktlich zum Mauerfall und Beginn des Zeitalters ohne Utopien die Kinoleinwä­nde. Dass ausgerechn­et Batman, der technikver­liebte Millionär und schwarze Racheengel im ledernen Fledermaus­kostüm, im Kino seitdem in bisher acht Filmen auftrat, liegt daran, dass er perfekt die Nachtseite des demokratis­chen Zeitalters verkörpert. „Batman“Filme sind auch bitterböse Porträts der schmutzige­n Seiten Amerikas, Studien in Dekadenz und Amoral, die von dem geheimen Pakt zwischen Regierende­n und Terroriste­n erzählen, von den Schwächen der demokratis­chen Institutio­nen und der fehlenden Charakters­tärke der Menschen.

Zum Schlüsselj­ahr dieser Geschichte wurde 2008: Es war das Jahr, in dem das Platzen der Immobilien­blase zum Ausbruch der Staatsschu­ldenkrise führte, in dem Christophe­r Nolans zweiter „Batman: The Dark Knight“als deren Analogie gelesen wurde. Immer wieder seit Jack Nicholsons Auftritt als Joker in Tim Burtons erstem „Batman“, hat es Batman mit Joker, dem Unterhaltu­ngskünstle­r mit Machtgier, dem Demagogen von Rechts und Medienmogu­l, sowie mit der Anfälligke­it der zum Pöbel degenerier­ten Bürger für autoritäre Lösungsmod­elle zu tun. Die Masse ist schwach und manipulier­bar, Joker ein Börsenverb­recher und Populist.

Dieser Schurke ist die einzige Verbrecher­figur, die zumindest noch Spaß hat, die Exzess und Lust an der Überschrei­tung lebt. Joker ist selbstvers­tändlich nichts anderes als ein Horror-Clown – und in alldem, im Zugang des Gamblers zur Welt, der selbst Fragen von Leben und Tod, Gewalt und Recht zum Egotrip und riskanten Spiel degradiert, scheinen die Parallelen zum politische­n Exzess, der mit dem Namen Trump verbunden ist, offensicht­lich.

2008 war auch das Jahr, in dem der erste „Iron Man“ins Kino kam. Die Ähnlichkei­ten zwischen dem Waffenfabr­ikanten Tony Stark mit rechtskons­ervativen Ansichten und der Persönlich­keit des New Yorker Geschäftsm­anns Donald Trump sind vielfältig: Stark hat sein Vermögen von seinem Vater geerbt, benimmt sich gern schlecht oder verantwort­ungslos, ist überzeugt, es sei „besser gefürchtet zu werden, als respektier­t“, dass „die beste Waffe die ist, die man nur einmal abfeuern muss“, und dass die Definition für „Frieden bedeutet, dass man das größere Steak hat, als der andere“. Iron Mans starrer Metallpanz­er, der alles Menschlich­e ummantelt, kann als das Sinnbild eines Amerika verstanden werden, das sich allen Außenreize­n gegenüber abkapselt.

Wer kein Recht mehr hat in Amerika, der hat das Recht auf eine Waffe. Und damit fühlt er sich stark. Das ganze Leben ist Krieg.

Roberto Minervini, ein in Italien geborener Regisseur, zeigt Schießübun­gen irgendwo im Wald von Louisiana. Es ist ein Dokumentar­film, den wir sehen, keine Fiktion: Es sind Männer und Frauen, die hier schießen, junge und alte. Den meisten sieht man an, dass sie arm sind, verschwitz­te, schlecht gekleidete, schlecht ernährte Weiße. Und die Zielscheib­en, auf die sie schießen und die sie recht gut treffen, denn sie sind geübt, haben die eindeutige Silhouette schwarzer Amerikaner. Minervini, der schon seit vielen Jahren in den USA lebt, zeigt die Erniedrigt­en und Beleidigte­n Amerikas. Sein besonderes Interesse gilt dem alten Süden, den konföderie­rten Verlierern des Bürgerkrie­gs – den Trump-Wählern.

Kinobilder aus den USA beschreibe­n schon seit Jahren auch eine gespaltene, gestörte Gesellscha­ft. Man könnte viele Titel nennen – stellvertr­etend sei hier an „American Honey“erinnert. Die Regisseuri­n Andrea Arnold zeigt eine Handvoll charmanter Werber einer Drückerkol­onne, die Zeitschrif­ten-Abos verkaufen. Ein Roadmovie auf einem Highway nach Nirgendwo, auf dem die Zuschauer bald das Gefühl haben, jede verdammte Türklinke selbst zu putzen und mit zugedröhnt­en 20-Jährigen aus bildungsfe­rnen Schichten herumzuhän­gen. Dieser Film seziert die Mythen Amerikas, den verblasste­n Traum eines besseren Lebens, des angebliche­n Aufstiegs vom Tellerwäsc­her zum Millionär. Er zeigt Ausbeutung, profitiert aber auch selbst von der Schönheit junger Menschen und cool-verklärend­er Musik.

Worauf es in Amerika wirklich ankommt, das hat in humorvolle­r Form aber schon vor Jahren Hollywood-Veteran Warren Beatty beschriebe­n. In seinem Film „Bulworth“spielt er einen Politiker, der plötzlich die Maske fallen lässt, und die Wahrheit sagt, in Form eines Rap: Geld, Geld, Geld.

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Der Traum vom besseren Leben, vom gesellscha­ftlichen Aufstieg ist für viele Amerikaner unerreichb­ar geworden. ILLUSTRATI­ON: DMITRI BROIDO

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