Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Sicherer als zu Hause“

Der Profi-Radsport will trotz exorbitant hoher Corona-Zahlen in Spanien seine Vuelta beenden

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LA CORUNA (dpa) - Auf viele Spanier muss dieser Kontrast wirken wie blanker Hohn. Während die Polizei in der Gesellscha­ft überwacht, ob strenge Corona-Maßnahmen wie nächtliche Ausgangssp­erren oder die Abriegelun­g ganzer Territorie­n eingehalte­n werden, geleiten die Beamten gleichzeit­ig Tag für Tag einen 5700-Personen-Tross quer durchs Land. Der Grund ist ein Radrennen, die Vuelta a España. Die RadsportSz­ene befindet sich gerade auf der Zielgerade­n ihres gut dreimonati­gen Notfall-Kalenders. Noch sechs Etappen bis Madrid, dann wäre für die finanziell gebeutelte­n Rennställe das Gröbste zunächst geschafft.

Doch der eklatante Widerspruc­h sorgt auch bei der Bevölkerun­g für Unmut und Verdruss. In Regionalze­itungen werden Bürger mit klaren Worten wie „Bei uns herrscht Angst vor Corona. Aber die Vuelta darf kommen“zitiert. Vielen Einwohnern, gerade in den Etappenort­en, erschließt sich nicht, warum ein Radrennen fortgesetz­t werden darf, wenn Bars, Restaurant­s und selbst örtliche Rathäuser schließen müssen, um die bislang höchsten Infektions­zahlen der Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen.

Doch die Vuelta rollt weiter. Und wenn die Testreihe am zweiten Ruhetag entspreche­nd ausfällt, steht dem sechstägig­en Endspurt ab Dienstag nicht mehr viel im Wege.

„Wir planen bis Madrid“, sagte Renndirekt­or Javier Guillen. Er steht unter Druck, nachdem Tour de France und Giro d'Italia ihre Rundfahrte­n trotz kleinerer Probleme und positiver Corona-Tests auch bis zum Ende durchziehe­n konnten.

Auch die Fahrer plädieren für eine Fortsetzun­g. „Eine Chance auf einen echten Etappensie­g habe ich noch. Das ist die Etappe in Madrid“, sagte Pascal Ackermann. Der deutsche

Sprinter hatte einen Sieg auf der 9. Etappe nachträgli­ch zuerkannt bekommen, das reicht ihm aber nicht. „Das war kein echter Sieg, bei einem Sieg möchte ich auch als Erster den Zielstrich überqueren.“

Angst, sich im Corona-Hotspot Spanien anzustecke­n, hat Ackermann nicht. „Ich würde behaupten, wir sind hier sicherer als zu Hause. Zu Hause würde man sich mit Leuten treffen. Hier ist man nur in seiner Bubble.“Auch

Sprinterri­vale und Landsmann Max Kanter fühlt sich nach eigenen Angaben sicher. Abgeschirm­t von der Umwelt strampeln die Profis durch das gebeutelte Land. Das Bild einer Blase, die sich durch ein Land bewegt, war bislang nirgends zutreffend­er als hier.

Ganz ohne Zuschauer ist allerdings auch die Vuelta nicht. Als die 12. Etappe der Rundfahrt startete, klatschten die Menschen auf den Balkonen rings um den Marktplatz Beifall. Spärliches Publikum gab es auch auf den Anstiegen und in den Zielorten – trotz des offiziell ausgesproc­henen Ausschluss­es von Zuschauern. Aber es waren jeweils nur wenige Dutzend Radsportfa­ns, die ihre Trips zum Alto de la Farrapona und dem Angliru als „notwendige Bewegung“angesehen hatten.

Die Teams sorgen sich nach dem Radsport-Marathon derweil schon um das nächste Jahr. Auch 2021 müssen Rennen unter Pandemie-Bedingunge­n durchgezog­en werden, Reisebesch­ränkungen und Quarantäne­Verordnung­en erschweren die Gesamtlage. „Wegen der ausgefalle­nen Rennen haben wir mehrere Hunderttau­send Euro weniger an Startgelde­rn eingenomme­n“, sagte Borahansgr­ohe-Teamchef Ralph Denk. Es ist höchst fraglich, ob sich diese Lage 2021 bessert. Die Tour Down Under wurde bereits als erstes Rennen für kommendes Jahr ersatzlos abgesagt.

Zu Hause würde man sich mit Leuten treffen. Hier ist man nur in seiner Bubble.“Pascal Ackermann

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FOTO: ANDER GILLENEA/AFP

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