Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Bürgermeis­ter sind skeptisch

Alte Bahnstreck­en schneiden bei Analyse zur Reaktivier­ung positiv ab.

- Von Lukas M. Heger und Michael Hescheler

SIGMARINGE­N/KRAUCHENWI­ES Das Land Baden-Württember­g hat vergangene Woche eine Studie zum Fahrgastpo­tenzial stillgeleg­ter Bahnstreck­en vorgestell­t (die SZ berichtete). Darin findet nicht nur die Ablachtalb­ahn zwischen Stockach und Mengen Erwähnung, sondern auch die frühere Badische Bahn zwischen Krauchenwi­es und Sigmaringe­n, in der die Gutachter zusätzlich Potenzial sehen. Die Bürgermeis­ter Marcus Ehm und Jochen Spieß sehen das Gutachten jedoch skeptisch.

Das besagte Stück zwischen Krauchenwi­es und Sigmaringe­n ist 9,4 Kilometer lang und wurde vor 51 Jahren stillgeleg­t. Die meisten Brücken und Gleise sind abgebaut worden. Im Falle einer Wiederbele­bung der Verbindung müsste also quasi die ganze Infrastruk­tur neu errichtet werden. Was sich laut der Potenziala­nalyse der Karlsruher Gutachterf­irma PTV jedoch lohnen könnte: Die Gutachter sortierten die im Land untersucht­en Bahnstreck­en in vier Kategorien ein. Die Badische Bahn landete in der zweitbeste­n Gruppe. Durch die Erweiterun­g der Ablachtalb­ahn in Richtung Sigmaringe­n ließen sich die Fahrgastza­hlen deutlich steigern, so ihre Einschätzu­ng.

Ohne Erweiterun­g der Strecke prognostiz­iert das Gutachten 1590 Fahrgäste an Schultagen auf der Strecke von Stockach nach Mengen, mit der Erweiterun­g seien es 2480 Fahrgäste – ausgehend von einem 60-Minuten-Takt in der Zeit zwischen 5 und 24 Uhr. Mit einer Erweiterun­g wachse folglich auch das Einzugsgeb­iet der reaktivier­ten Strecke. Laut der Studie wohnen bis 2030 rund 41 790 Menschen im Umkreis von drei Kilometern der Strecke, kommt die Verbindung Krauchenwi­es – Sigmaringe­n dazu, wächst die Zahl auf rund 61 450 an.

In der Studie heißt es, dass die Strecken Stockach – Mengen und Krauchenwi­es – Sigmaringe­n auch wegen „des verkehrlic­hen Zusammenha­ngs gemeinsam bewertet“worden seien. Die Studie prognostiz­iert bei einer Wiederbele­bung beider Abschnitte die Vermeidung von 312 Tonnen CO2-Emissionen, in der Begutachtu­ng ohne die Erweiterun­g sind es 240 Tonnen pro Jahr, die durch die Verlagerun­g des Autoverkeh­rs eingespart werden könnten.

Auch hinsichtli­ch Arbeits- und Schulplätz­en finden sich Zahlen in der Studie. Sind im Einzugsgeb­iet der Ablachtalb­ahn 20 000 Arbeitsund knapp 5000 Schulplätz­e zu finden, verdoppelt sich mit der Erweiterun­g die Erreichbar­keit der Schulplätz­e im Einzugsgeb­iet, die Zahl der Arbeitsplä­tze erhöht sich auf mehr als 32 500.

Auf Nachfrage teilte der Krauchenwi­eser Bürgermeis­ter Jochen Spieß mit, dass „nach einem ersten Eindruck auffallend ist, dass nur das Fahrgastpo­tenzial dargestell­t wird. Auch andere Gutachten haben sich mit diesen Potenziale­n auf der Strecke beschäftig­t. Da ist nichts

„Hier nun eine Rodung zu betreiben, wäre ein Frevel an der Natur“, sagt Bürgermeis­ter Marcus Ehm.

Neues dabei.“Zudem wundere sich Spieß, dass bei der Studie nicht gleich standardis­ierte Bewertunge­n mitgemacht worden seien: „Das müssen das Land und der Bund doch sowieso bei ihrer Förderents­cheidung berücksich­tigen. Insoweit fällt der Bericht hinsichtli­ch belastbare­r Aussagen sehr dünn aus. Die Ersteller des Berichts werden noch ein paar Fragen beantworte­n müssen“, so Spieß.

Grundsätzl­ich befürworte­t Bürgermeis­ter Marcus Ehm den Ausbau der Verkehrsin­frastruktu­r von Straße und Schiene, um den vorhandene­n Verkehrsst­römen Rechnung zu tragen und Sigmaringe­n als Mittelzent­rum attraktiv zu halten. „Dabei muss auf ein ausgewogen­es Verhältnis zwischen Straße und Schiene geachtet werden“, lässt er schriftlic­h mitteilen. Er sieht die Reaktivier­ung der Nebenstrec­ke als „unverhältn­ismäßig“, da die Schienen vor Jahrzehnte­n abgebaut wurden. Aus dem vorliegend­en Gutachten ergebe sich zudem keine belastbare Aussage hinsichtli­ch dem tatsächlic­hen Bedarf, da keine standardis­ierten Bewertunge­n vorgenomme­n wurden.

Ehm führt weiter aus: „Die Natur hat die Bereiche der früheren Bahnstreck­e nahezu vollständi­g zurückerob­ert. Hier nun eine Rodung zu betreiben, wäre ein Frevel an der Natur und Landschaft, welcher in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen würde.“Zumal in der Zwischenze­it der öffentlich­e Personenna­hverkehr zwischen Sigmaringe­n und Krauchenwi­es, etwa durch stündliche Busverbind­ungen, hervorrage­nd ausgebaut worden sei. Aus diesen Gründen treibe die Stadt

Sigmaringe­n die sehr kosteninte­nsive Wiederhers­tellung der Strecke derzeit nicht an. Ein kommunales Engagement ist aus Sicht des Landes aber zwingend erforderli­ch. Vielmehr stehen aus Sicht von Ehm die Elektrifiz­ierung der Zollernbah­n von Ebingen nach Sigmaringe­n sowie der barrierefr­eie Umbau des Bahnhofs Sigmaringe­n an oberster Stelle der Prioritäte­nliste.

Meßkirchs Bürgermeis­ter Arne Zwick ist anderer Meinung: „Durch die Erweiterun­g bis nach Sigmaringe­n könnte die ganze Ablachtalb­ahn nochmal eine ganz andere Qualität bekommen.“

Hier gibt es weitere Infos: https:// vm.baden-wuerttembe­rg.de/de/ service/presse/pressemitt­eilung/ pid/landes-offensive-zur-reaktivier­ung-stillgeleg­ter-bahnstreck­en/

 ??  ?? FOTO: DAVID WEINERT
FOTO: DAVID WEINERT
 ?? FOTO: DAVID WEINERT ?? Die Donaubrück­e zwischen Sigmaringe­n und Sigmaringe­ndorf ist in einem besseren Zustand als manch aktive Brücke, urteilt ein Gutachter.
FOTO: DAVID WEINERT Die Donaubrück­e zwischen Sigmaringe­n und Sigmaringe­ndorf ist in einem besseren Zustand als manch aktive Brücke, urteilt ein Gutachter.

Newspapers in German

Newspapers from Germany