Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Bürgermeister sind skeptisch
Alte Bahnstrecken schneiden bei Analyse zur Reaktivierung positiv ab.
SIGMARINGEN/KRAUCHENWIES Das Land Baden-Württemberg hat vergangene Woche eine Studie zum Fahrgastpotenzial stillgelegter Bahnstrecken vorgestellt (die SZ berichtete). Darin findet nicht nur die Ablachtalbahn zwischen Stockach und Mengen Erwähnung, sondern auch die frühere Badische Bahn zwischen Krauchenwies und Sigmaringen, in der die Gutachter zusätzlich Potenzial sehen. Die Bürgermeister Marcus Ehm und Jochen Spieß sehen das Gutachten jedoch skeptisch.
Das besagte Stück zwischen Krauchenwies und Sigmaringen ist 9,4 Kilometer lang und wurde vor 51 Jahren stillgelegt. Die meisten Brücken und Gleise sind abgebaut worden. Im Falle einer Wiederbelebung der Verbindung müsste also quasi die ganze Infrastruktur neu errichtet werden. Was sich laut der Potenzialanalyse der Karlsruher Gutachterfirma PTV jedoch lohnen könnte: Die Gutachter sortierten die im Land untersuchten Bahnstrecken in vier Kategorien ein. Die Badische Bahn landete in der zweitbesten Gruppe. Durch die Erweiterung der Ablachtalbahn in Richtung Sigmaringen ließen sich die Fahrgastzahlen deutlich steigern, so ihre Einschätzung.
Ohne Erweiterung der Strecke prognostiziert das Gutachten 1590 Fahrgäste an Schultagen auf der Strecke von Stockach nach Mengen, mit der Erweiterung seien es 2480 Fahrgäste – ausgehend von einem 60-Minuten-Takt in der Zeit zwischen 5 und 24 Uhr. Mit einer Erweiterung wachse folglich auch das Einzugsgebiet der reaktivierten Strecke. Laut der Studie wohnen bis 2030 rund 41 790 Menschen im Umkreis von drei Kilometern der Strecke, kommt die Verbindung Krauchenwies – Sigmaringen dazu, wächst die Zahl auf rund 61 450 an.
In der Studie heißt es, dass die Strecken Stockach – Mengen und Krauchenwies – Sigmaringen auch wegen „des verkehrlichen Zusammenhangs gemeinsam bewertet“worden seien. Die Studie prognostiziert bei einer Wiederbelebung beider Abschnitte die Vermeidung von 312 Tonnen CO2-Emissionen, in der Begutachtung ohne die Erweiterung sind es 240 Tonnen pro Jahr, die durch die Verlagerung des Autoverkehrs eingespart werden könnten.
Auch hinsichtlich Arbeits- und Schulplätzen finden sich Zahlen in der Studie. Sind im Einzugsgebiet der Ablachtalbahn 20 000 Arbeitsund knapp 5000 Schulplätze zu finden, verdoppelt sich mit der Erweiterung die Erreichbarkeit der Schulplätze im Einzugsgebiet, die Zahl der Arbeitsplätze erhöht sich auf mehr als 32 500.
Auf Nachfrage teilte der Krauchenwieser Bürgermeister Jochen Spieß mit, dass „nach einem ersten Eindruck auffallend ist, dass nur das Fahrgastpotenzial dargestellt wird. Auch andere Gutachten haben sich mit diesen Potenzialen auf der Strecke beschäftigt. Da ist nichts
„Hier nun eine Rodung zu betreiben, wäre ein Frevel an der Natur“, sagt Bürgermeister Marcus Ehm.
Neues dabei.“Zudem wundere sich Spieß, dass bei der Studie nicht gleich standardisierte Bewertungen mitgemacht worden seien: „Das müssen das Land und der Bund doch sowieso bei ihrer Förderentscheidung berücksichtigen. Insoweit fällt der Bericht hinsichtlich belastbarer Aussagen sehr dünn aus. Die Ersteller des Berichts werden noch ein paar Fragen beantworten müssen“, so Spieß.
Grundsätzlich befürwortet Bürgermeister Marcus Ehm den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur von Straße und Schiene, um den vorhandenen Verkehrsströmen Rechnung zu tragen und Sigmaringen als Mittelzentrum attraktiv zu halten. „Dabei muss auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Straße und Schiene geachtet werden“, lässt er schriftlich mitteilen. Er sieht die Reaktivierung der Nebenstrecke als „unverhältnismäßig“, da die Schienen vor Jahrzehnten abgebaut wurden. Aus dem vorliegenden Gutachten ergebe sich zudem keine belastbare Aussage hinsichtlich dem tatsächlichen Bedarf, da keine standardisierten Bewertungen vorgenommen wurden.
Ehm führt weiter aus: „Die Natur hat die Bereiche der früheren Bahnstrecke nahezu vollständig zurückerobert. Hier nun eine Rodung zu betreiben, wäre ein Frevel an der Natur und Landschaft, welcher in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen würde.“Zumal in der Zwischenzeit der öffentliche Personennahverkehr zwischen Sigmaringen und Krauchenwies, etwa durch stündliche Busverbindungen, hervorragend ausgebaut worden sei. Aus diesen Gründen treibe die Stadt
Sigmaringen die sehr kostenintensive Wiederherstellung der Strecke derzeit nicht an. Ein kommunales Engagement ist aus Sicht des Landes aber zwingend erforderlich. Vielmehr stehen aus Sicht von Ehm die Elektrifizierung der Zollernbahn von Ebingen nach Sigmaringen sowie der barrierefreie Umbau des Bahnhofs Sigmaringen an oberster Stelle der Prioritätenliste.
Meßkirchs Bürgermeister Arne Zwick ist anderer Meinung: „Durch die Erweiterung bis nach Sigmaringen könnte die ganze Ablachtalbahn nochmal eine ganz andere Qualität bekommen.“
Hier gibt es weitere Infos: https:// vm.baden-wuerttemberg.de/de/ service/presse/pressemitteilung/ pid/landes-offensive-zur-reaktivierung-stillgelegter-bahnstrecken/