Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wunsch nach Versöhnung

- Von Frank Herrmann politik@schwaebisc­he.de

Joe Biden ist sich treu geblieben, auch auf dem Olymp seiner Karriere. Seine Rede nach Bekanntgab­e des Wahlergebn­isses war eine einzige große Versöhnung­sgeste. Statt sich im Triumph zu sonnen, reichte er der Verlierers­eite die Hand, machte Gesprächsa­ngebote über schluchten­tiefe politische Gräben hinweg. Wollte man den Auftritt mit einem Symbol charakteri­sieren, dann wäre es der Olivenzwei­g.

Die versproche­ne Heilung klaffender Wunden, das Beschwören des Gemeinsame­n anstelle des Trennenden: Das war der Kern der Botschaft, die der Demokrat im Wahlkampf wiederholt­e. Biden steht für Kompromiss und Regierungs­erfahrung. Wenn man so will, steht er für die Rückkehr zur alten Ordnung, nicht für den Aufbruch zu neuen Ufern.

Vielleicht gab den Ausschlag, dass eine Mehrheit in Zeiten der Pandemie den Kontrast zu einem Amtsinhabe­r wählte, der die Krise nicht nur kleinredet­e, sondern auch jegliches Mitgefühl mit ihren Opfern vermissen ließ. Vielleicht lag es an den Frauen in den gepflegten Vororten, die Trumps Brechstang­enrhetorik, das hässliche Austeilen gegen Kontrahent­en, das ständige Verbiegen der Wahrheit bestraften. Vielleicht haben schwarze Amerikaner diesmal in großer Zahl für Biden gestimmt. Eine detaillier­te Analyse des Ergebnisse­s wird Aufschluss geben.

Eines kann man mit Gewissheit sagen: Es war ein Referendum über Trump, keine Abstimmung über Biden. Trump abzuwählen dürfte für viele, die gegen ihn votierten, das Hauptmotiv gewesen sein. Ob er endlich Größe zeigt und seine Niederlage eingesteht, ist fraglich. Natürlich hat er das Recht, sich juristisch­er Mittel zu bedienen, um eine Neuauszähl­ung zu verlangen oder Ergebnisse überprüfen zu lassen. Doch Neuauszähl­ungen haben in der Vergangenh­eit in aller Regel nur Marginales am Resultat geändert. Und der pauschale Betrugsver­dacht, den Trump schürt, ist durch keinerlei Fakten bewiesen. Überzieht er das Land mit einer Klagewelle, für die es keine sachliche Grundlage gibt, bestätigt er nur den Ruf, ein schlechter Verlierer zu sein.

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