Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Ausschreitungen bei „Querdenken“-Demo
Tausende ignorieren Auflagen der Behörden zum Corona-Schutz
LEIPZIG (dpa) - Eine große „Querdenken“-Demonstration in Leipzig mit unzähligen Verstößen gegen Hygieneregeln hat im Bund und in Sachsen den Ruf nach Konsequenzen laut werden lassen. Am Samstag hatten im Zentrum der Stadt mindestens 20 000 Menschen gegen die CoronaBeschränkungen demonstriert. 90 Prozent der Teilnehmer trugen laut Polizei keine Masken. Am Abend erzwang die Masse einen Gang über den symbolträchtigen Leipziger Ring, obwohl ein Aufzug ausdrücklich nicht gestattet war. An einer Polizeisperre flog Pyrotechnik, und es gab Rangeleien. Zahlreiche Politiker warfen der Leipziger Polizei und dem sächsischen Innenminister am Sonntag Versagen vor.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sagte am Sonntag, keiner in der sächsischen Regierung habe Verständnis für diese Art von Demonstrationen. Innenminister Roland Wöller (CDU) sprach von einem fatalen Signal. „Es ist mir unverständlich, dass mitten in einer sich verschärfenden CoronaPandemie eine Versammlung von über 16 000 Teilnehmern in der Innenstadt von Leipzig genehmigt werden kann. Die Veranstalter und Teilnehmer haben schon im Vorfeld klar gemacht, dass sie keine Masken tragen und keinen Mindestabstand einhalten wollen.“Bei solchen Teilnehmerzahlen sei eine wirksame Kontrolle durch die Polizei unmöglich.
Eine gewaltsame Auflösung einer friedlichen Demonstration habe aber nicht zur Debatte gestanden.
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Bautzen hatte die Demonstration in der Innenstadt erst am Samstagmorgen erlaubt. Die Stadt hatte die Kundgebung wegen des Infektionsschutzes eigentlich an den Stadtrand verlegen wollen.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) forderte eine „gründliche Aufklärung“. „Die Demonstrationsfreiheit ist keine Freiheit zur Gewalt und zur massiven Gefährdung anderer“, erklärte sie. Tausende dicht an dicht ohne Masken seien ein Gipfel der Verantwortungslosigkeit und des Egoismus.
Linke, Grüne und SPD in Sachsen verlangten eine Aufarbeitung der
Geschehnisse in einer Sondersitzung des Innenausschusses. Der Leipziger Polizeipräsident Torsten Schultze verteidigte das Vorgehen der Polizei. Der Einsatz habe drei Ziele gehabt: die Gewährleistung eines friedlichen Verlaufs, die Verhinderung möglicher Gewalttaten und die Durchsetzung des Infektionsschutzes. Die ersten beiden Ziele seien weitgehend erreicht worden, das dritte Ziel nicht.
Wegen des Verstoßes gegen die Auflagen löste die Stadt Leipzig die Versammlung kurz vor 16 Uhr auf. Doch nur wenige Teilnehmer verließen wie aufgefordert das Stadtzentrum. Die Masse verlangte, um den Ring zu ziehen, den Ort der Montagsdemonstrationen gegen die DDR-Führung im Jahr 1989. Gegen 18 Uhr ließ die Polizei die vielen Tausend Menschen laufen. Man habe die Masse über den Ring ziehen lassen, weil man sie nur unter Einsatz massiver Gewalt hätte zurückhalten können, sagte Polizeisprecher Olaf Hoppe.
Während die „Querdenker“über den Ring liefen, griffen Unbekannte in Leipzig-Connewitz die Polizei an. Die Scheiben eines Polizeipostens wurden mit Steinen beworfen. Später wurden Barrikaden angezündet. Die Polizei rückte mit Wasserwerfern an. Schon am Freitagabend hatten Vermummte die Polizei in dem als linksalternativ geltenden Stadtteil angegriffen.