Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Profiteur der Pandemie

Wie der Wangener Biotech-Weltmarktf­ührer Candor den Kampf gegen Corona unterstütz­t

- Von Bernd Treffler

WANGEN - Die Heimat des Weltmarktf­ührers ist in einem verwinkelt­en Hinterhof. Wer die schmale Hofeinfahr­t des Wangener Biotech-Unternehme­ns Candor finden will, der muss in dem kleinen Allgäu-Städchen an hohen Fabrikbaut­en und riesigen Werkhallen vorbeifahr­en, um dann hinter einem Bettenfach­geschäft mit Reinigung links abzubiegen. Die Geschäftsr­äume in einer idyllisch am Waldrand gelegenen Wohnanlage geben der Bezeichnun­g „Hidden Champion“eine völlig neue Bedeutung

Candor-Chef Tobias Polifke hat auf einer Holzverand­a im Garten Platz genommen. Ein Gespräch an der frischen Luft – in Zeiten wieder stark steigender Infektions­zahlen sicher keine schlechte Idee. Und vielleicht auch willkommen­e Gelegenhei­t etwas durchzusch­naufen, nach den stressigen Monaten im Frühjahr und Sommer. „Seit März hat sich unser kompletter Entwicklun­gsbereich auf die Covid-19-Testung konzentrie­rt“, sagt Polifke. „Seit einem halben Jahr ist das unser Hauptgesch­äft.“Und das läuft so gut, dass die Test-Kits, die auf den Produkten des Wangener Unternehme­ns basieren, mittlerwei­le in den wichtigen Märkten weltweit vertreten sind oder kurz vor der Zulassung stehen.

Begonnen hat die Erfolgsges­chichte 2004 in Münster, wo Polifke zusammen mit Angela Zellmer, Sabine Glöggler und Co-Geschäftsf­ührer Peter Rauch die Candor Bioscience GmbH gründete. Wegen der besseren Rahmenbedi­ngungen für junge Unternehme­n erfolgte ein Jahr später der Umzug ins bayerische Weißensber­g, wo sich die Firma anfangs vor allem als Dienstleis­ter bei der Testmethod­enentwickl­ung für Labore einen Namen machte. Als erstes kommerziel­les Produkt entwickelt­e Candor eine Pufferlösu­ng, also eine Flüssigkei­t zur Verdünnung von Proben für die Test-Diagnostik. Mit wachsendem Erfolg stieg der Platzbedar­f, und so zog Candor 2010 nach Wangen.

Mittlerwei­le hat das Unternehme­n mit seinen 13 Mitarbeite­rn für mehr als 1000 Kunden in mehr als 50 Ländern gut 50 Verbrauchs­lösungen für Antikörper­nachweise im Sortiment. Diese Chemikalie­n verbessern laut Candor nicht nur die Richtigkei­t der Ergebnisse enorm, sie machen überdies die Test-Kits haltbarer und beschleuni­gen die Nachweisve­rfahren.

Man kann sich das in etwa so vorstellen: Eine Probe, beispielsw­eise Blut oder Speichel, kommt mit den Candor-Lösungen in Kontakt, die Reaktion führt zu einem entspreche­nden Testergebn­is. Das ist deshalb so zuverlässi­g, weil diverse Störeffekt­e bei der Diagnostik biochemisc­h vermieden werden. In Wirklichke­it sei alles deutlich komplizier­ter, sagt Polifke und vergleicht Candor mit einem Hersteller für Airbags, die – egal ob für Sportwagen, Stadtauto oder

Kleinbus – Sicherheit für Insassen garantiere­n. Anwendungs­gebiete sind darin die Tumor- und Allergiedi­agnostik, Autoimmune­rkrankunge­n und Infektions­krankheite­n.

Für Letztere gibt es seit Monaten nur ein Schlagwort: Covid-19. Und auf die Corona-Tests hat sich Candor mittlerwei­le mit Produkten spezialisi­ert, mit denen man nicht nur Antikörper, sondern auch Antigene und über Schnelltes­ts zudem direkte Erreger nachweisen kann. Dabei ist es der Biotech-Firma gelungen, in Kooperatio­n mit Partnerfir­men und der Virologie am Ulmer Uni-Klinikum ein Protokoll für die Probenbear­beitung zu entwickeln, das die Zuverlässi­gkeit der Diagnostik im Vergleich zu Tests am Anfang der Pandemie immens erhöht – laut Polifke sogar um etwa den Faktor hundert, wie in Validierun­gen mehrfach festgestel­lt worden sei. „Die Folgen von falschen Tests können fatal sein“, sagt der promoviert­e Biologe. „Deshalb ist die Verlässlic­hkeit der Antikörper­tests ein entscheide­ndes Kriterium zur Bewältigun­g der Krise.“

Denn eine zuverlässi­ge Diagnostik ist auch bei den momentan laufenden Zulassungs­studien für Impfstoffe unerlässli­ch, die im kommenden Jahr für die breite Masse verfügbar sein sollen. Bei einigen aktuell vielverspr­echenden Studien internatio­nal bekannter Unternehme­n ist Candor mit seinen Lösungen ebenfalls im Spiel. „Klar, wir sind mit unseren Produkten indirekt auch an der Analytik beteiligt“, sagt der aus Duisburg stammende Polifke. Und stapelt fast schon typisch schwäbisch tief: „Wir wären aber nur ein kleines Rädchen im Getriebe, falls ein CoronaImpf­stoff wirklich schon früher auf den Markt kommt.“

Was nichts daran ändert, dass das Unternehme­n künftig eine größere Rolle im Bereich der Antikörper­nachweise spielen will. Bis Mitte 2022 zieht Candor in Wangen um und vergrößert seine Geschäftsr­äume um den Faktor drei. Zehn Millionen Euro investiert das Unternehme­n. Eine Erweiterun­g, die Candor selbstbewu­sst angeht. „Wir haben eine außergewöh­nliche Technologi­e und sind hier Weltmarktf­ührer“, sagt Polifke. „Wir sind zwar nicht die Preisgünst­igsten, auch weil wir in Deutschlan­d produziere­n, aber wir können mit unserem qualitativ­en Vorteil am Markt bestehen.“Stetig und organisch sei Candor deshalb in den vergangene­n Jahren gewachsen, sei mittlerwei­le eigenfinan­ziert, mit einem Umsatz im niedrigen einstellig­en Millionenb­ereich. Man sehe noch „ziemlich viele kommerziel­le Marktpoten­ziale“, sagt Tobias Polifke. Den Gewinn nennt der Candor-Chef allerdings nicht.

Zunächst gilt es jedoch, mitzuhelfe­n, die Krise zu meistern. Auch wenn Candor finanziell von der Pandemie kräftig profitiert und damit Umsatzrück­gänge in anderen Bereichen der Diagnostik aktuell gut kompensier­en kann. Denn nachdem mit der Entwicklun­g der Verbrauchs­lösungen für die Antikörper­nachweise die Kernaufgab­e bereits nach den ersten Monaten erledigt war, liegt der Schwerpunk­t seit dem Sommer auf der Produktion und dem Vertrieb – beides Bereiche, in denen steigende Corona-Neuinfekti­onen auch wachsenden Umsatz bedeuten. „Letztlich wäre es uns aber lieber, wenn es keinen Anstieg der Fallzahlen gäbe, die Gesundheit­ssysteme wieder die normalen Behandlung­en durchführe­n und sich alle wieder auf andere Themen fokussiere­n könnten“, sagt Polifke. Weil der Trend jedoch derzeit anders sei, werde Corona vermutlich aber noch einmal zu einem „Geschäft“für Candor: „Auf das hätten wir aber gerne verzichtet.“

 ?? FOTO: CANDOR ?? Candor-Mitarbeite­r bei der Überprüfun­g einer Testplatte für Antikörper­nachweise: Auf den zusätzlich­en Umsatz durch die steigenden Corona-Fälle hätte das Unternehme­n gerne verzichtet – sagt auf alle Fälle der Candor-Chef.
FOTO: CANDOR Candor-Mitarbeite­r bei der Überprüfun­g einer Testplatte für Antikörper­nachweise: Auf den zusätzlich­en Umsatz durch die steigenden Corona-Fälle hätte das Unternehme­n gerne verzichtet – sagt auf alle Fälle der Candor-Chef.

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