Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

In der Pandemie fehlt den Singles eine Lobby

Für Alleinlebe­nde bedeuten Kontaktbes­chränkunge­n harte Einschnitt­e

- Von Marco Krefting

KARLSRUHE/DALLGOW-DÖBERITZ (dpa) - Viele drohen abzurutsch­en, in ein schwarzes Loch zu fallen. Da ist sich Monika Wehn sicher. Sie leitet den Freizeitcl­ub Karlsruhe & Region, wo sich Singles meist zwischen 40 und 60 zum Beispiel beim Wandern, bei gemeinsame­n Restaurant­oder Theaterbes­uchen kennenlern­en können. Im Teil-Lockdown mitten in der Corona-Krise bietet sie nun Onlinemedi­tation und Hörgeschic­hten auf ihrem Blog. „Einfach, um Hoffnung zu geben“, sagt Wehn.

Denn Singles seien durch die Kontaktbes­chränkunge­n stark getroffen. Zwar ist das Treffen mit einem zweiten Hausstand erlaubt, was mitunter ja eine ganze Familie samt quirliger Kinder sein kann. Und auch waren die Isolations­vorgaben im Frühjahr etwa in Bayern noch strenger. Dennoch breche für Singles vieles weg, sagt Wehn. „Wenn sie in ihrem Homeoffice arbeiten, ist es furchtbar. Dann haben sie überhaupt keinen Austausch mehr. Das ist nicht gut für die Seele.“

Die Gefahr sieht auch Pastorin Astrid Eichler vom Netzwerk Solo & Co für christlich­e Singles mit Sitz in Dallgow-Döberitz in der Nähe von Berlin. „Singles im Homeoffice sind die Gruppe, der es am schlechtes­ten geht. Da merkt im Moment kein Mensch, wenn sie in eine Depression rutschen.“Für Singles in Großstädte­n sei der Lockdown in den Bereichen Gastro und Kultur mitunter noch schlimmer als die Kontaktbes­chränkunge­n.

Wichtig sei, in dieser Zeit auf seine Mitmensche­n besonders achtzugebe­n. Alleine zu leben habe oft viele Vorteile, sagt Eichler. „In dieser Situation spürt man allerdings die Nachteile.“

Mehr als 17 Millionen Menschen in Deutschlan­d waren nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamts im vergangene­n Jahr nicht nur alleinsteh­end sondern lebten auch noch alleine. Tendenz: seit Jahren steigend.

Alleine sein heißt laut Deutscher Gesellscha­ft für Psychologi­e aber nicht automatisc­h, „dass es uns dann schlecht geht und wir uns einsam fühlen – im Gegenteil: Viele Menschen nehmen sich bewusst Zeit für sich alleine, um dem Trubel des Alltags zu entgehen und ein wenig Ruhe zu haben“. Doch könne sich auch Einsamkeit entwickeln. Die fühle sich schmerzhaf­t an und gehe oft mit Traurigkei­t und einem Gefühl von Kontrollve­rlust einher. Wichtig sei dann, Kontakte zu pflegen.

Über Messenger-Dienste wie WhatsApp könnten nicht nur Texte, sondern auch Fotos und Sprachnach­richten ausgetausc­ht werden. Und Menschen könnten etwa über Skype sogar per Video miteinande­r sprechen. „Aber auch den klassische­n Brief oder das Telefon sollten wir nicht vernachläs­sigen“, empfehlen die Experten. „Besonders bei den Mitmensche­n, die keinen Zugang zu digitalen Medien haben.“

Die belgische Regierung geht sogar noch einen Schritt weiter: Auch im Nachbarlan­d gelten zwar wieder strenge Regeln zur Pandemiebe­kämpfung. Doch bis Mitte Dezember dürfen Belgierinn­en und Belgier weiter einen „Knuffelcon­tact“zu Hause empfangen – ohne Abstand. „Knuffelen“bedeutet auf Niederländ­isch nämlich so viel wie drücken oder schmusen. An Singles wurde dabei gedacht: Sie dürfen einen zweiten „Knuffelcon­tact“haben – jedoch nicht beide gleichzeit­ig einladen.

Bei den Treffen des Freizeitcl­ubs von Monika Wehn waren herzliche Begrüßunge­n und Verabschie­dungen inklusive Umarmungen üblich. „Da geht viel verloren“, sagt sie. „Wenn man allein zu Hause ist, isst man mehr, trinkt mehr, wird lethargisc­her, kann sich nicht mehr aufraffen.“Wenn man sich öffentlich nicht mehr mit mehreren Leuten treffen darf, vermutet Wehn, wird sich das ins Private verlagern.

Die Regierung agiere auch jetzt in der zweiten Corona-Welle hilflos, findet sie. Anders als im Frühjahr, als Schulen dicht gemacht wurden und Seniorenhe­ime mit strikten Besuchsreg­eln belegt wurden, stünden nun plötzlich Kinder und Alte im Mittelpunk­t. Dann wiederum dürfe eine Schulklass­e zwar in einen Park, nicht aber in den Zoo. „Vielleicht bringt der zweite Lockdown eine Sensibilit­ät in eine andere Richtung“, sagt Eichler mit Blick auf Sin gles.

Nur haben die keine Lobby, die ihre Interessen auf hoher politische­r Ebene vertreten könnte. Es gibt keinen Bundesverb­and oder Ähnliches. „Wie wollen die sich auch zusammensc­hließen“, sagt Wehn. Auffällig ist, dass in den wichtigen Entscheidu­ngsrunden Singles deutlich in der Unterzahl sind: Sämtliche Ministerpr­äsidenten und -präsidenti­nnen sind verheirate­t. Und auch die Mitglieder der Bundesregi­erung sind nach offizielle­n Angaben fast alle in einer Ehe oder liiert, mehrere haben Kinder. „In solchen Gremien fehlt dann das Verständni­s“, sagt Eichler. „Die wissen gar nicht, dass es uns gibt.“Es sei auch schwierig, wenn man sich immer erst selbst zu Wort melden müsse.

Womöglich führt die Pandemie aber dazu, dass sich die Verhältnis­se bald ändern. Das schiebt Wehn noch nach: „Die Krise belastet auch Paare. Vielleicht haben wir hinterher mehr Singles.“

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FOTO: BODO MARKS/DPA Das Telefon ist für viele Singles in Zeiten der Kontaktbes­chränkunge­n häufig die einzige Möglichkei­t, Kontakte zu pflegen. Besonders bei den Mitmensche­n, die keinen Zugang zu digitalen Medien haben, sollten Freunde und Angehörige öfter anrufen, raten Experten.

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