Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Zwei Weltreisende stranden in Zollenreute
Ruth und Richard Dreher erhalten zurzeit auf dem Dornbuschhof „Corona-Asyl“
ZOLLENREUTE - Wer hat nicht schon einmal davon geträumt, alles hinter sich zu lassen, die Welt zu bereisen, fremde Kulturen kennenzulernen und so lange irgendwo zu bleiben, wie es einem gefällt? Ruth und Richard Dreher, beide kurz vor dem offiziellen Rentenalter und ursprünglich in Ravensburg zu Hause, haben diesen Schritt „Raus aus der Komfortzone, rein ins Abenteuer“gewagt. Das Ehepaar, das so gar nicht in das typische Bild von „Aussteigern“passt, macht nun coronabedingt auf dem Dornbuschhof in Zollenreute eine Reisepause.
Während der Ausbildung unternahm Ruth eine Studienreise nach Ecuador. „Dort habe ich Feuer gefangen“, sagt sie rückblickend. Ihr Berufsweg führte sie in die Arche nach Ravensburg. Gemeinsam mit Richard unternahm die Arbeitserzieherin viele mehrwöchige Urlaubsreisen – die erste, wie könnte es anders sein, ging nach Ecuador. „Geheiratet haben wir in Thailand“, erzählt er und wirft seiner Frau einen liebevollen Blick zu. Ruth berichtet, dass der Wunsch, den Urlaub beliebig verlängern zu können, mit jedem Lebensjahr stärker geworden sei. Als sein Arbeitgeber Personal abbaute und ihm das Angebot einer Abfindung machte, war Richard 55 Jahre alt. „Plötzlich lautete die Frage für uns nicht mehr, ob, sondern wann wir auf Reisen gehen“, berichtet der Techniker. „Uns war klar, dass dies eine einmalige Chance ist, unseren großen Traum zu verwirklichen. Wir beschlossen, das Wagnis einzugehen, um nicht in 20 Jahren eine verpasste Gelegenheit zu bedauern.“
In der nächsten Phase wurden konkrete Pläne geschmiedet. Die Einlagerung des gesamten Besitzes scheiterte an den Kosten, weshalb Loslassen angesagt war. Dieser Schritt sei teilweise sehr schmerzlich gewesen, gesteht Richard offen zu. Aber zu einem Aufbruch gehöre stets auch ein Bruch. Ruth berichtet von einem Ratschlag aus einem Buch, der ihr geholfen habe, Unwichtiges von Wichtigem zu trennen. So habe sie jeden Gegenstand mit der Frage, brauche ich das oder nicht, ans Herz gehalten. Sie sei überrascht gewesen, wie viele Dinge sie mit Leichtigkeit in die Rubrik „Brauche ich nicht mehr“einordnen konnte. „Den Großteil dieser Rubrik haben wir verkauft oder verschenkt, wobei schöne Begegnungen entstanden sind“, blickt Ruth lächelnd zurück. „Es war zugleich aber auch schwere Arbeit“, betont Richard. Seine Seele sei mit jedem Stück ein wenig freier geworden. Übrig geblieben sind einzig zwei große Kisten mit dem Allernotwendigsten, die bei Verwandten eingelagert sind.
Anfang Juli 2017 war es dann soweit und das Abenteuer, die große, weite Welt zu entdecken, begann. Bepackt mit zwei großen Rucksäcken ging es zuerst auf Abschiedstour durch Deutschland, anschließend folgten die osteuropäischen Länder. In Goa (Indien) lernte das Paar zuerst ein halbes Jahr die englische Sprache, andernorts besuchten sie einen Vortrag des Dalai Lama. Tausende Kilometer legten sie mit den unterschiedlichsten Verkehrsmitteln zurück. Sri Lanka, Malaysia, Borneo und Thailand waren weitere Ziele, und in jedem Land trafen sie interessante Menschen, schlossen Freundschaften mit Einheimischen und durften hautnah fremde Kultur erleben.
„Wir haben schnell gelernt, dass wir in unserem Alter langsamer reisen müssen, nicht von einem Ort zum anderen hetzen“, lautet das erste Fazit der beiden. Nur so könne man eintauchen, sich einlassen. Richard konnte sich nicht vorstellen, tagelang in einem Wüstencamp ohne fließendes Wasser und Strom zu sitzen und in die Wüste oder den Himmel zu blicken. Und dann sei genau dies zu einem unvergesslich bewegenden Erlebnis geworden. „Derartiges Reisen ist eng mit Abschied verbunden“, berichtet Ruth, man lasse viele liebgewonnene Menschen zurück.
Bevor sie wegen Corona ausreisen mussten, lebte das Paar auf Teneriffa. Für den Heimaturlaub 2020, der alljährlich für Familien- und Arztbesuche eingeplant war, hatten sie das Appartement der Dornbuschgemeinschaft gemietet. „Es war Fügung, dass wir bereits früher kommen konnten“, freut sich Ruth, die den Leiter der Lebensgemeinschaft Dornbusch, Diakon Siegfried Hornung, noch aus der Zeit ihrer Berufstätigkeit in seiner Eigenschaft als Seelsorger und Supervisor kennt. Die ökumenische Gemeinschaft gehört der Evangelischen Landeskirche an. „Hier in dieser Hofgemeinschaft, an diesem gesegneten Ort inmitten der herrlichen Natur leben zu dürfen, ist für uns ein zusätzliches, weiteres Geschenk auf unserem Reiseweg“, versichern die Gestrandeten abschließend.