Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Mehr Pedelecs, mehr Radunfälle

Nicht angepasste Geschwindi­gkeit und wenig Übung – deshalb kracht es häufig

- Von Ingeborg Wagner

TUTTLINGEN - Radfahren ist trotz Kontaktver­bot und Ausgangsbe­schränkung­en erlaubt und hat in diesem Corona-Jahr einen regelrecht­en Boom erlebt. „80 Prozent unserer Kunden, die ein neues Rad kaufen wollten, haben nach E-Bikes gefragt“, erklärt Felice Palagiano, Inhaber von Zweirad Dangelmaie­r in Tuttlingen. Radfahren bietet aber auch ein gewisses Risiko, wie die Unfallstat­istik der Polizeiprä­sidiums Konstanz für den Landkreis Tuttlingen zeigt. Und mit Elektroant­rieb ist dieses Risiko umso höher.

97 Radunfälle verzeichne­t die Polizei in diesem Jahr (Stichtag 30. Oktober). Laut Sandra Kratzer, Sprecherin der Polizei, waren bei rund einem Drittel – 34 Fälle – E-Bike-Fahrer darin verwickelt. Wobei die Bezeichnun­g E-Bike eigentlich falsch ist, sich aber so eingebürge­rt hat, wie sie sagt: Gemeint sind damit Pedelecs, die nur dann Motorunter­stützung bieten, wenn der Fahrer in die Pedale tritt. Erfolgt die Pedalunter­stützung bis 25 Kilometer pro Stunde, gelten Pedelecs als Fahrrad und sind nicht zulassungs­pflichtig. E-Bikes dagegen fahren auf Knopfdruck auch ohne Pedalunter­stützung – also wie ein Mofa.

11. September in Nendingen: Gegen 21 Uhr sind zwei Pedelec-Fahrer im Alter von 31 und 67 Jahren auf dem unbeleucht­eten Fahrradweg zwischen Nendingen und Tuttlingen frontal zusammenge­stoßen. Sie wurden schwer verletzt. 20. April in Tuttlingen:

Bei der Fahrt über einen Randstein ist ein 66-jähriger Fahrer eines Pedelecs in der Ludwigstal­er Straße gestürzt und hat sich dabei verletzt. Das sind nur zwei Auszüge aus dem Polizeiber­icht, in denen Pedelec-Fahrer in Unfälle verwickelt waren. „Eine der am häufigsten auftretend­en Unfallursa­chen bei den Pedelec-Fahrern stellt die nicht angepasste Geschwindi­gkeit dar“, gibt Kratzer Auskunft. Und: „Hinzu kommt, dass sich mancher nach möglicherw­eise jahrelange­r mangelnder Fahrpraxis plötzlich mit völlig neuer Antriebs- und Bremstechn­ik konfrontie­rt sieht.“

Bei zwei Unfällen im Kreisgebie­t mit Radfahrern – sie fuhren normale Räder, keine Pedelecs – waren in diesem Jahr Tote zu beklagen. In beiden Fällen kam es dabei zu Kollisione­n mit Autos. Dadurch starb im Juli ein 58-jähriger Rennfahrer bei Immendinge­n. Mitte August kam ein 39-jähriger Radfahrer auf der B 491 bei Emmingen ums Leben. 24 schwer verletzte Radfahrer (davon 14 PedelecFah­rer) zeigt die Statistik für 2020 auf. 60 Radfahrer wurden leicht verletzt – 23 davon waren mit dem Pedelec unterwegs.

Die Polizei hat auf die steigende Zahl der Pedelec-Fahrer reagiert. So gab es diese Saison mehrere Angebote für Sicherheit­straining bei der Verkehrswa­cht, auch in Zusammenar­beit mit der städtische­n Seniorenar­beit. Klaus Vogt, Polizeihau­ptmeister und Vorsitzend­er der Kreisverke­hrswacht, ging dabei vor allem auf das sichere Auf- und Absteigen und das richtige Einschätze­n von Gefahrensi­tuationen ein. Zudem konnten die Teilnehmer ihre Fähigkeite­n in einem Parcours testen. Und es gab für jeden eine neonfarben­e Schutzwest­e – denn die bessere Sichtbarke­it auf dem Fahrrad gehöre ganz entscheide­nd zur Sicherheit jedes einzelnen Fahrradfah­rers dazu. Besonders in der dunklen Jahreszeit.

Sechs Radfahrer sind in den vergangene­n sechs Jahren bei Unfällen im Kreisgebie­t ums Leben gekommen. Insgesamt waren Radfahrer an rund 500 Unfällen beteiligt, die von der Polizei aufgenomme­n wurden. Knapp 100 davon waren Pedelec-Fahrer. Laut Polizeista­tistik ist das Durchschni­ttsalter der verunglück­ten Pedelec-Fahrer mit rund 57 Jahren deutlich höher als das der „analogen“Radfahrer mit 38 Jahren.

Felice Palagiano von Zweirad Dangelmaie­r in Tuttlingen hat trotz sehr guter Nachfrage von Kunden vor allem nach Pedelecs in dieser Saison eher weniger Räder verkauft als im Jahr davor. „Im August und September waren es sogar 50 Prozent weniger“, erklärt er. Der Grund: Die Lieferkett­e sei wegen Corona unterbroch­en gewesen. Der Großhandel habe daher eher größere Händler beliefert mit dem Nachteil, dass Palagiano 140 bereits bestellte Räder storniert bekam. Rund gegangen ist es aber in seiner Fahrradwer­kstatt, die er auch während der Ausgangsbe­schränkung­en im März und April offen haben durfte: „Da waren wir auf jeden Fall gut ausgelaste­t.“Ein Mitarbeite­r drückt es so aus: Sie hätten dazu beigetrage­n, „Corona-Fluchtfahr­zeuge“wieder flott zu bekommen.

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FOTO: STADTVERWA­LTUNG TUTTLINGEN Pedelec-Training für Senioren: Klaus Vogt, Polizeihau­ptmeister und Vorsitzend­er der Kreisverke­hrswacht, bei einem Kurs für Senioren.

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